Dienstag, 4. Mai 2010

Kleine Debattierklasse und Aufforderungen zu mehr Meditation

Wiedereinmal liegt mein letzter Eintrag wesentlich länger zurück als gewünscht, bevor ich nun endlich dazu komme einen neuen zu verfassen. An mangelnden Vorsätzen einen zu verfassen lag es nicht, jedoch ist der einzige Tag, an dem ich eine realistische Chance habe sie umzusetzen, Dienstag, unser einziger freier Tag. Da unter der Woche für nichts Zeit ist außerhalb des Studiums, konzentrieren sich alle anderen Tätigkeiten, vom Waschen bis zum Einkaufen, auf diesen einen Tag.

Meine Debattierklasse ist noch sehr klein, weil das (tibetische) Jahr noch jung ist, aber vor allem wegen des generellen Schrumpfungstrends der neuen Klassen von Jahr zu Jahr. Es wird den Tibetern seit langem zunehmend schwerer gemacht aus Tibet zu fliehen, und ohne den Strom neuer Flüchtlinge bleiben hier auch die neuen Mönche aus. Es ist noch nicht lange her, da war es kaum vorstellbar eine neue Klasse aus unter hundert Mönchen zu haben. Meine Klasse hat zur Zeit zwischen 30 und 50. Zu meiner Erleichterung gehöre ich mit meinen 27 Jahren noch nicht zur Spitze der Alterspyramide, sondern liege beinahe genau im Durchschnitt, der bei Anfang/Mitte 20 liegen dürfte. Es gibt wenige die knapp unter 20 sind und sehr wenige über 30. Dass es überhaupt welche jenseits der 40 gibt, die noch mit dem Studium beginnen, welches nicht zu vergessen inzwischen gut 20 Jahre dauert, finde ich bemerkenswert.

Zur Zeit bin ich der einzige Westler in meiner Klasse, aber mehrere kommen aus der Mongolei, Sikkim, Nepal und so weiter. Teilweise sind deren Kenntnisse der tibetischen Sprache noch sehr schwach, sogar aus meiner Perspektive, und so existiert zwischen uns eine implizite Verbundenheit. Doch auch mit den meisten Tibetern macht mir das Debattieren viel Spaß, sofern sie sich nicht gerade ihrem Dialekt aus Amdo hingeben oder die Definitionen und Unterteilungen nicht gut kennen. Es kann zwar ganz nett, beinahe entspannend sein, wenn der Debattierpartner sich mit jedem zweiten Satz direkt und wiederholt widerspricht, aber neue Denkansätze und Weltbild umstoßende Ideen bringen mir eher diejenigen Debatten, in denen durch cleveres Nachfragen die Lücken im eigenen Verständnis zu Tage gefördert werden.

Saka Dawa als Anlass, werden mehrere Mönche aus Sera, unter anderem auch mein Zimmernachbar Lhawang, für anderthalb Monate nach Sikkim reisen, um dort Pujas durchführen. Und in wenigen Wochen wird leider auch Gen Tsewang Tobden, mein Peti-Gen, für 50 Tage Sera verlassen, weil er nach Taiwan eingeladen wurde. Er berichtete mir, dass er eigentlich gar nicht gehen wolle, weil er so viele Schüler hier allein lassen müsse, und daher versucht hat seine Gastgeber herunter zu handeln, weil sie ihn eigentlich für 90 Tage haben wollten. Mich stellt seine bevorstehende Abwesenheit vor das Problem in der Zeit keinen Unterricht erhalten zu können, der normalerweise die Debatte begleitet und befruchtet. Sönam Wangden, mein (zur Zeit ehemaliger) Tibetischlehrer, hat sich bereit erklärt mir bei Bedarf ersatzweise Erklärungen zu geben. Ich hoffe das wird reichen. Aber irgendwie wird es klappen. In letzter Zeit komme ich immer mehr zu einer sehr entspannten Haltung was mein Studium hier angeht, vor allem durch die Betrachtung des Ganzen als ein unglaublich langer Zeitraum. Selbst wenn mir jetzt aus dem einen oder anderen Grund etwas entgehen sollte, spielt das langfristig keine Rolle, denn es wird wieder und wieder dran kommen. Außerdem ist dieses Studienprogramm, wie mir auch von anderen bestätigt wurde, gar nicht darauf ausgelegt jedem zur gleichen Zeit jede mögliche Betrachtungsweise des aktuellen Gegenstandes bei zu bringen, sondern eher auf einer Meta-Ebene die Art zu denken und zu analysieren beizubringen, den Geist daran zu gewöhnen und ihn zu trainieren, und ihn so zu befähigen später alles selbst zu untersuchen. Zu versuchen jetzt tatsächlich jede mögliche Debatte zu einem Thema einmal zu führen und zu erwarten dies auch zu erreichen, ist also nicht nur vergeblich, sondern auch in gewisser Weise am Thema vorbei. Schließlich geht es hier nicht darum einen Titel zu bekommen, Preise zu gewinnen oder Fachwissen anzuhäufen, sondern ein guter Mensch zu werden und dabei möglichst vertraut mit der Lehre zu werden. Die letzten zwei Wochen, bis gestern, bin ich durch eine Lebensmittelvergiftung vom Studium abgehalten worden, wobei ich aber wenigstens keine Peti verpasst habe, weil Gen Tsewang Tobden eh in Mysore war um etwas zu erledigen und daher mich nicht unterrichten konnte. Doch anstatt mich jetzt zu sorgen, ob ich vielleicht zurückgeworfen sein könnte, freue ich mich darauf meinen Wissensdurst nun wieder am klaren Quellbach des Dharma stillen zu dürfen.

In den letzten Wochen oder Monaten begegnet es mir immer öfter, dass Lehrer hier in Sera uns ganz direkt und von Dringlichkeit beseelt dazu raten mehr zu meditieren. Meditation soll studiumsbegleitend eingeübt werden und wäre sehr wichtig, da ansonsten das Studium sogar ein Gift werden kann. Ohne die Meditation kann es schnell passieren, sobald man auch nur ein klein wenig verstanden hat, dass man stolz entwickelt und auf die anderen herab schaut, vielleicht sogar ärgerlich wird, wenn sie einem widersprechen oder "die eigene Zeit verschwenden". Dann ist das Studium zu einem Gift geworden. Ich fühlte mich tief berührt, als Gen Tsewang Tobden mir zu diesem Thema neulich eine aus seiner eigenen Erfahrung entspringende Belehrung gab. Betreffend meiner Lehrer bin ich durch und durch mit kostbarsten Juwelen überhäuft.

4 Kommentare:

  1. Lieber Losang Khedrub,

    vielen Dank für den Bericht aus Sera.
    du schreibst:
    "Ohne die Meditation kann es schnell passieren, sobald man auch nur ein klein wenig verstanden hat, dass man Stolz entwickelt und auf die anderen herab schaut, vielleicht sogar ärgerlich wird, wenn sie einem widersprechen oder "die eigene Zeit verschwenden". Dann ist das Studium zu einem Gift geworden."

    - Kann das nicht passieren, dass man stolz wird, wenn man meditiert und die anderen nicht?

    Viele Grüße aus Hamburg
    Wolfgang

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  2. Vielen Dank für deinen Kommentar!

    Wenn die Meditation korrekt durchgeführt wird, gewöhnt sie den Geist an heilsame Geisteszustände, die ein Gegengift gegen Stolz u.ä. darstellen.
    Sollte dies nicht der Fall sein, würde ich dringend raten nochmal die eigene Methode zu prüfen.
    Deswegen gehören Studium und Meditation auch zusammmen.

    In unserem konkreten Fall ging es um Meditationen zu Je Tsongkhapas "Die drei Hauptaspekte des Pfades". Wenn man aus denen mit Stolz hervorginge, wäre man schon ziemlich auf dem Holzweg. :-)

    Die drei Hauptaspekte des Pfades

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  3. Gilt dasselbe nicht auch für das Studium alleine?

    Wenn das Studieren "richtig" durchgeführt wird, dann ist man doch nicht auf dem Holzweg, oder?
    Sonst müsste ja was am Inhalt des Studiums oder an der Didaktik etwas falsch sein.

    Oder sonst bestände ja bei allen anderen Lernenden oder Gelehrten, die nicht meditieren (und das sind wohl noch eine ganze Menge in der Welt), leicht die Gefahr des Stolzes.
    Meine Erfahrung ist allerdings, dass die Menschen, die etwas wissen, sehr unterschiedlich sind, was den Stolz darauf betrifft.

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  4. Meditation bedeutet [im Kontext] mit dem Geist heilsame Geisteszustände zu üben, sich diese anzugewöhnen.
    Das intellektuelle Erlernen, Studieren, hat auch Einfluss auf den Geist. Welchen, bestimmt vor allem die Motivation. Um eine gute Motivation zu erzeugen und langfristig zu halten, [unter anderem] dafür gibt es die Meditation.

    Ein rein intellektuelles Studium der "Grundlage aller guten Eigenschaften" und das Verständnis aller subtilen Details, beispielsweise, wird deine Leidenschaften vermutlich nur wenig bekämpfen, und eine Überheblichkeit gegenüber Unstudierten ist - je nach Veranlagung (und Aufwand des Studiums) - nicht unwahrscheinlich.
    Ähnliches gilt, setzt man sich unvorbereitet hin und macht irgendetwas mit dem Geist, das man für Meditation hält. Je nach persönlicher Veranlagung und Aufwand der "Meditation" kann man dabei seine geistigen Leidenschaften, die Geistesgifte, dramatisch kultivieren.

    Ist das Ziel die Entwicklung der guten Qualitäten des Geistes, reicht ein intellektuelles Studium alleine nicht aus.
    Warum? Weil Verständnis alleine nicht ausreicht.


    Ich muss mich übrigens korrigieren, die primäre Empfehlung war "Die Grundlage aller guten Eigenschaften", "Die drei Hauptaspekte des Pfades" waren nur eine Sekundärempfehlung.

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