Samstag, 18. Juli 2009

Vom Monsun in den Westen

Der Tag meines Aufbruches nach Deutschland ist nahe. Obwohl ich während meines Heimatbesuches sicherlich die Zeit finden könnte neue Einträge zu verfassen, wird es doch in meiner Abwesenheit nichts neues für mich über das Leben in Sera zu berichten geben. Kommen allerdings Fragen seitens der Leser dieser Einträge, werde ich sie gerne beantworten.

Der Monsun verdient sich gerade seinen Ruf, es regnet in einer Intensität die mir unbekannt war. Verlässt man überdachte Bereiche ist es, als hätte man einem den Wasserhahn über dem Kopf aufgedreht, es dauert keine drei Sekunden bis zur vollkommenen Durchweichung. Trägt man in der heißen Zeit keine Socken, weil es zu warm wäre, so vermeidet man sie jetzt, weil sie ständig nass blieben. Beim Waten durch die Bäche, die einst Straßen waren, sind feste Schuhe sogar im Nachteil gegenüber Sandalen, weil sie sich zusätzlich unvorteilhaft mit Wasser und Schlamm füllen. Kommt man von draußen, werden zuerst mal die Füße gewaschen. Ich genieße es, als Abwechslung zur Hitze. Auf Dauer wäre mir die Unmöglichkeit die Roben zu waschen jedoch unangenehm, nicht zuletzt wegen all der Schlammspritzer. Man wird vorsichtig. Noch vorsichtiger.

Für meine Ausreise musste ich mal wieder nach Mysore, zum Superintendent of Police, um einen Antrag auf Ausreisegenehmigung zu stellen. Einer der vielen Ringe durch die man als Inhaber eines Studentenvisums springen gelassen wird. Das Verfassen des Antrages dauerte drei Minuten, das Warten auf den Stempel sieben Stunden. Ich muss aber nochmal wiederkommen vor meiner Abreise, um weitere Papiere abzuholen, die ich am Flughafen abzugeben habe. Bei der nächtlichen Rückkehr ins Kloster hatte sich eine Schraube meiner Brillen ausreichend gelockert, um das rechte Glas herausfallen zu lassen. Es zerbrach. Dies war bereits die Ersatzbrille, deshalb brach ich am nächsten Tag gleich wieder nach Mysore auf um mir eine neue Brille zu besorgen, denn ohne eine solche sind Augen- und Kopfschmerzen unausweichlich. Diesmal Übernachtung in Mysore, um nicht wieder in der Nacht zurückkehren zu müssen.

Es gibt neue, frisch gebackene Geshes in Sera und unser Haus hat ebenfalls einen, Päldsche Dorje. Große Freude allerseits, gründlicher Hausputz und feierliche Katag-Übergabe von unzähligen Gratulanten, die wieder den gesamten Tag in Anspruch nimmt.

Rührend, wie mich jeder Mönch hier einzeln fragt wann ich fliege und vor allem wann ich zurück kehre, mit der herzlichen Bitte ganz schnell nach Sera zurück zu kommen. Dann, wie um Nachdruck zu verleihen, die Begründung in Form von Auflistung meiner angeblichen Qualitäten. "Kehre schnell zu uns zurück!"
Vorhin auch: Mönche unseres Hauses sitzen zusammen und preisen in Anekdoten und Beschreibungen Geshe Pema Samtens große Qualitäten. Im Vordergrund: trotz seiner großen Autorität niemals ein zorniges Wort zu seinen Schülern oder allgemein, immer sein herzliches Lachen und schier unendliche Geduld, Liebe, Mitgefühl!

Mein Tibetischlehrer wird mir in der Zeit meiner Abwesenheit Fragen per Email beantworten, jeden Dienstag. Es freut mich sehr, dass wir diese wöchentliche Korrespondenzveranredung haben.
Eigentlich hätte ich nicht viel Gepäck gehabt, nur eine kleine Tasche Handgepäck. Da aber sehr viele Mönche mir Geschenke für Geshe Pema Samten, ihre Sponsoren und andere Leute mitgaben, muss ich jetzt doch mit einem schweren - wahrscheinlich zu schweren, das werde ich am Flughafen sehen weil ich hier keine Wage habe - Koffer reisen, der zu über 80% aus Transportgut für andere besteht. Ich hoffe nur der Koffer geht nicht verloren und ist nicht schwerer als erlaubt.

Lhawang begleitet mich nach Bangalore zum Flughafen. Obwohl ich eigentlich nur kurz verreise, sind Katag-Übergabe und ähnliche Bräuche bei der Verabschiedung und Rückkehr quasi obligatorisch. Ich bin gespannt auf mündliche Rückmeldungen bezüglich meines Blogs wenn ich in Deutschland auf Leser treffen sollte.

Freitag, 3. Juli 2009

Sponsorenbriefe, eine kleine Pilgerreise und Lhamo

Mit zunehmendem Systemausfall meines Schreibgerätes steigen die Schwierigkeiten hier Einträge zu verfassen. Deshalb ist es diesmal fast schon ein ganzer Monat, seit ich zum Letzten mal geschrieben habe. Ich bin zuversichtlich diese Probleme beheben zu können, wenn ich Ende Juli bis August Deutschland besuche.

Im August stehen diverse Prüfungen an, deshalb sind die Mönche noch fleißiger und beschäftigter als sonst schon. Jetzt fängt man bereits zwischen 5 und 5:30 Uhr mit dem Rezitieren bzw. Auswendiglernen an, geht von 6:30 Uhr bis 7 Uhr zur Morgenpuja, in der das Frühstück ausgeteilt wird, und lernt danach sofort weiter. Für die nächste Zeit ist sogar die morgentliche Debattiersitzung ausgesetzt, so dass ein realistisches Ausmaß an Zeit zum notwendigen Auswendiglernen gegeben ist. Da Auswendiglernen eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit ist, reicht dieses Ausmaß an Zeit aber wirklich nur dann, wenn man ausgesprochen gut darin trainiert ist. Ich hoffe nicht, dass es notwendig ist an dieser Stelle die enormen Vorzüge des auswendigen Beherrschens der Texte mit all den Definitionen, Unterteilungen, Beispielen und Erklärungen zu beschreiben, doch da wir Westler in unserer Kultur das Auswendiglernen verbannt haben und es schlicht kaum noch können, stoße ich oft auf den Kommentar, Verstehen sei besser als Auswendiglernen, und ich möchte für diesen Fall nur zu bedenken geben, dass Auswendiglernen und Verständnis nicht im Gegensatz zueinander stehen, sondern sich gegenseitig fördern und ab einem bestimmten Punkt ein tieferes Verständnis kaum noch entwickelt werden kann, ohne die Basis einer exzellenten Textkenntnis. Es wird nicht eine „korrekte“ Lehrmeinung auswendig gelernt, so dass ein Verständnis obsolet wird, sondern alle denkbaren Lehrmeinungen werden verinnerlicht und in der Debatte versucht zu verteidigen und anzugreifen, bis man für sich selbst einen Standpunkt gefunden hat, den man in der Debatte erfolgreich halten kann, ohne sich selbst zu widersprechen. So ein komplexes Verfahren ist undurchführbar ohne stabile, zitierbare Textkenntnis der Begründer der grundlegenden Lehrmeinungen.

Wenn die Mönche meines Hauses Briefe von ihren Sponsoren bekommen freuen sie sich enorm. Neulich hat Lhawang beispielsweise mit meiner Hilfe extra einen Emailaccount für sich angelegt, weil eine Sponsorin ihre Emailadresse geschrieben hatte. Nachdem er mir zwei Emails für sie diktiert hat, die ich dann ins Englische für ihn in die Email übersetzt habe, kam er wochenlang ständig zu mir und wollte, dass ich für ihr schauen gehe, ob eine Antwort eingetroffen ist. Seine fast schon nervöse Hoffnung mit der auf eine Antwort wartete, war richtig rührend. Er konnte es kaum erwarten. Gestern kam ein tibetischer Junge, auch Mönch unseres Hauses, auf mich zu und hielt mir einen Brief hin und fragte mich, ob das Deutsch sei oder Englisch. Es war Deutsch. Es gibt in unserem Haus nur einen tibetischen Mönch der ein bisschen Englisch kann, und dann noch meinen auf der anderen Seite von Sera wohnenden Tibetischlehrer. Es ist schon ein großer Aufwand für die Tibeter, wenn sie Briefe bekommen die nicht auf Tibetisch sind. Wenn sie jemanden gefunden haben der ihnen sagt was drin steht, denn eine schriftliche Übersetzung würde noch mehr Zeit und Qualifikation erfordern, müssen sie sich den Inhalt merken und dann irgendwann viel später, wenn sie wieder jemanden gefunden haben der sogar Englisch schreiben kann, aus dem Gedächtnis beantworten. Im Internetforum des Tibetischen Zentrums wurden einstmals Verwunderungen geäußert, weshalb die meisten Paten-Mönche auf Briefe nicht oft und wenn nur oberflächlich antworten würden. Die Erklärung ist also nicht nur die wenige freie Zeit, die die Mönche dafür zur Verfügung haben, sondern auch der dafür benötigte Aufwand, der nicht selten 3 Mönchen pro Brief Zeit kostet. Für Brieffreundschaften keine gute Voraussetzung. Für die Chance auf einen regeren Austausch müssten entweder müssten die Briefe daher auf Tibetisch verfasst werden, oder noch ein oder zwei Jahrzehnte abgewartet, bis mehr Mönche in der Schule Englisch gelernt haben.

Zu dem Thema Briefkontakt: es freut mich sehr, dass ich inzwischen noch ein paar Briefe bekommen habe. Ich habe vor die Briefe noch zu beantworten, bitte aber um Geduld. Es kann durchaus eine Weile dauern, bis ich dazu komme, da ich es sorgfältig tun will.

Dienstag (30.06.2009) haben Lhawang, Tsondru und ich, nach einer morgentlichen Tara-Puja für Geshe Pema Samten unseres Hauses, einen heiligen Berg in der Nähe bestiegen; eine Miniatur-Pilgerreise gemacht. Der Weg dorthin dauert ungefähr 2 Stunden, bestehend aus Rickshaw, Bus und Fußweg, und der Aufstieg auch nochmal einige Stunden. Der Berg ist sowohl für Hindus als auch für Buddhisten ein Heiligtum. Diverse hinduistische Tempel und Tempelruinen liegen auf dem Berg verteilt. Den Gipfel darf man nur ohne Schuhe betreten. Für Buddhisten ist er heilig, weil ein großer Buddhistischer Meister dort meditiert und seine Schüler unterrichtet hat. Da leider keiner von uns ortskundig war, konnten wir die Meditationshöhle zwar nicht finden, hatten aber trotzdem eine schöne Zeit. Auf dem Gipfel liegt einer der alten Hindutempel und nachdem wir ihn umrundet hatten setzten wir uns und führten eine spontane Lama Chöpa durch und rezitierten den Lobpreis an die 21. Taras und das Herzsutra auf Tibetisch. Um den Berg herum gewitterte es und in der weiten Ferne konnte man zwei sehr helle, silbern aus dem Regen heraus leuchtende Punkte sehen: die goldenen Dächer der Haupttempel vom Kloster Sera.
Als wir den Abstieg begannen verschwand das Gewitter um den Berg herum wieder, so dass wir den ganzen Tag ein ziemliches Glück mit dem Wetter hatten.

Lhawang on the mountain Tsondru, Lhawang and Khedrub after Puja on the mountaintop Tsondru, Lhawang, Khedrub after spontaneous mountaintop puja Lhawang, Tsondru, Khedrub at mountaintop temple

Bereits am Dienstag vor zwei Wochen wollten Lhawang und ich eigentlich zu diesem Berg pilgern, es kam aber derzeit ein Festessen dazwischen, welches unserem Haus gesponsert wurde, an dem er sehr gerne teilnehmen wollte. Um zur Freude des Tages beitragen hatte ich die Idee, den Mönchen meines Hauses Eis zu kaufen. Einige Tage zuvor hatte ich nämlich zufällig, als ich mit Lhawang in Kushalnagar war, entdeckt, dass es dort an manchen Läden Eis am Stiel zu kaufen gibt, und Lhawang, als ich ihm eins kaufte, von diesem ziemlich begeistert war. Also fuhr ich mit Lhawang nach Kushalnagar und kaufte für die an diesem Tag 65 anwesenden Mönche 85 Eis am Stiel, von mehreren verschiedenen Läden, da niemand so viele vorrätig hatte. Ich kaufte absichtlich zu viele, damit manche bei Bedarf auch zwei essen konnten. Diese Rechnung ging auf, denn als wir wieder im Kloster ankamen und ich das Eis nach dem Essen reihum verteilte, konnten alle die wollten zwei Stück haben und es waren noch welche übrig um den Kindern sogar drei zu geben. Besonders die Kinder und die alt ehrwürdigen Geshes haben sich ganz besonders sichtlich gefreut. Obwohl ich versucht habe das beste und teuerste Eis zu kaufen, das ich finden konnte, kostete das gesamte Eis nur knapp 20 Euro, die sich als sehr lohnende Investition herausstellten. Diese Art von Luxus ist sehr ungewöhnlich hier.

An dem darauf folgendem Dienstag ging ich Nachmittag zum IMI-Haus, also dem Haus wo die restlichen Injis („Engländer“ - also für die Tibeter alle Westler) leben, jedenfalls fast alle, und wir hatten Tee und Kekse und super Gespräche, vor allem über die tibetische Sprache und das Zusammenleben mit den Tibetern. Es ist immer wieder sehr erfrischend für mich die Erfahrungen der anderen, als sie die Sprache selbst noch neu lernten, mit meinen eigenen zu vergleichen und daraus meine Lehren zu ziehen. Zusätzlich bekomme ich ganz konkrete Vorschläge, beispielsweise welche Vokabeln zwar in den Büchern stehen aber nie verwendet werden und anders herum.
Danach gingen Tsondru und ich spazieren – mein Haus und das IMI-Haus sind sehr nahe der, ja bilden fast die, Grenze von Sera – zu den nahen Hügeln außerhalb des Klosters, auf der Seite auf der ich noch nie spazieren war. Eine sehr schöne Landschaft. Der Weg führte uns an dem Stein vorbei, auf dem die toten Mönche verbrannt werden. Sehr interessant zu sehen, aber der Geruch war etwas aufdringlich dort. Irgendwo setzten wir uns dann hin, auf einem wiesigen Abhang mit grandioser Aussicht und einem frischen Wind, der von dem ca. 100 Kilometer entfernten Ozean herüber getragen wurde. Bei der starken Nachmittagsonne, unterbrochen von gelegentlichem Nieselregen, war die Mischung sehr angenehm, und um die Atmosphäre zu perfektionieren führten wir angeregte Gespräche über den Dharma.

Derzeit versuche ich intensiv Konversation zu trainieren und das klappt auch schon ziemlich gut oder sogar sehr gut, wenn mein Gesprächspartner sich Mühe gibt von mir verstanden zu werden und möglichst dialektfrei spricht.
Eines Abends ging ich mit Thu-tob, einem Mönch meines Hauses, einen Tee trinken, in einem Restaurant das so versteckt gelegen ist, dass ich es in dem halben Jahr, das ich schon hier bin, noch nie entdeckt habe. Es wird, welch' Ironie, von meinem Zimmernachbarn betrieben. Dort hatten wir zu siebt eine vielschichtige lange Unterhaltung, selbstverständlich vollständig auf Tibetisch, und es ging wirklich flüssig. Natürlich mache ich diverse Grammatikfehler, vor allem beim schnelleren Reden, aber ich kann mich ausdrücken, werde verstanden und verstehe. Nicht jedes Wort, aber genug um zusammen mit dem Kontext folgen und passend antworten zu können. Vor allem aber lerne ich endlich neues Vokabular hinzu durch die bloße Unterhaltung. Es ist ein großer Spaß Zeit mit meinen tibetischen Brüdern zu verbringen und schon dadurch Neues zu lernen und Gelerntes zu üben. Ein Höhepunkt für mich war aber, als dann auch noch der, in dem Restaurant beheimatete Kater kam, und Schnur stracks auf mich zu ging und zu schmusen anfing. Die anderen, die sich schwer um seine Aufmerksamkeit bemühten, ignorierte er, und verbrachte 1 Stunde auf meinem Schoss, bis wir wieder Heim gingen. Es war sehr schön für mich alten Katzen-Narren mal wieder so angeschnurrt zu werden. Der Kater heißt angeblich Lhamo, auch wenn ihm der Name, wie mir scheint, spontan im Scherz gegeben wurde. Seltsam: er ist 16 Jahre alt und trotzdem wenig größer als normale europäische Katzenbabys und sieht auch noch total jung aus. Ich hätte ihn auf 1 Jahr geschätzt, niemals auf 16. Alle Katzen hier sind sehr klein, was wohl mit den Lebensbedingungen zu tun hat. Menschen wurden ja in der Geschichte auch nur größer wenn es genügend und gutes Essen gab.
Wenn ich hier im Haus spontan mal keinen Gesprächs(übungs)partner finde, gehe ich seit dem Abend oft in dieses Restaurant, denn dort finde ich nicht nur fast garantiert jemanden der Zeit hat zu reden, sondern auch noch den zahnlosen Lhamo.