Sonntag, 17. Mai 2009

Ein Tropfen der sprudelnden Fontäne

Meine Teilnahme an der Chödra, der Debatte, habe ich erstmal noch verschoben, weil ich merkte, dass alleine die Vorbereitungen auf die Debattiersitzungen all meine Zeit so weit konsumierten, dass keine Zeit mehr für das Erlernen der Umgangssprache übrig blieb. Wenn meine Sprachkenntnisse ausgeweiteter sind hingegen werde ich vermutlich auch mit wesentlich weniger Vorbereitungen teilnehmen und davon profitieren können.

Vor 2 Wochen wurde ich von einem kleinen Tier gebissen (oder gestochen), welches für mich wie ein kleiner Skorpion aussah, der auf meinem Unterarm saß. Ich sah ihn erst, als er schon dabei war mir sein Gift zu injizieren, weil mich der stechende Schmerz erschrak. Die betreffende Stelle wurde schnell recht rot und schmerzte ungewöhnlich stark. Im Laufe der nächsten Tage schwoll mein Arm auf doppelten Umfang und tat
stark weh, jedoch gerade als alle Ärzte geschlossen hatten. Nach einer Woche ließen Schmerz und Schwellung aber schon wieder ab und inzwischen ist der Arm, einige Zentimeter um die Stelle herum, nur noch leicht verfärbt.

Letzten Dienstag kam Tsondru rüber zu mir und wir haben erst zusammen Nudeln gekocht, für die ich vorher in Kushalnagar die Zutaten eingekauft hatte. Ich bekam sogar Tomatenmark und Tsondru, der geübte Koch, schaffte es daraus eine ziemlich originale italienische Soße zu basteln, da er all die entsprechenden Gewürze bei sich auf Vorrat hat. Es war ziemlich nett mal wieder nicht-indisches Essen zu essen, bzw. heimisches. Danach gingen wir lange spazieren; wir wanderten zu und auf einen nahen Berg. Die indische Landschaft ist wirklich beeindruckend. Ich machte viele Photos, doch leider merkte ich schon während des photographierens, dass sich diese monumentalen Schluchten, Berge, Jungel und Gewässer nicht vernünftig einfangen lassen, jedenfalls nicht von mir mit meiner Digitalkamera. Während das menschliche Auge diese strahlenden, bunten Farben problemlos aufnimmt, sehen die Photos fad und vergleichsweise farblos, sogar dunkel (trotz heftiger Sonne) aus. Auch sieht das Auge
noch in weiter Ferne die anderen Berge in den Himmel ragen, während die Kamera den Horizont zu einem einzigen Brei vermischt als läge das Land im Nebel.

Auf den Berg hinauf führte ein offenbar uralter Steinweg, den ich versucht bin Treppe zu nennen, aber befürchte damit falsche Assoziationen hervorzurufen, denn es sah beinahe nicht von Menschen gemacht aus, sondern eher wie zufällige aus dem Boden ragende Steine die zufällig das Bergsteigen erleichterten. Zwischen den Steinen waren
diverse Schlangen, auf die wir mehrfach beinahe getreten wären, dank ihrer guten Tarnung, was für uns vermutlich sehr schlimm ausgegangen wäre, da sie giftig und wir nur in Sandalen unterwegs waren. Oben auf dem Berg war ein alter verlassener Hindu-Tempel und darüber am Gipfel tibetische Gebetsfahnen. Die Aussicht war spektakulär und wir verweilten etwas.



Der Weg zum Berg und zurück führte uns durch ein kleines indisches Dorf wie es ärmlicher nicht sein könnte. Es gab Stroh- und einfache Steinhütten, von denen kaum eine die Größe meines Zimmers erreichte. Türen waren nicht vorhanden, so sah man schnell, dass diese Hütten allesamt vollständig leer waren, keinerlei Einrichtung, nur der Erdboden, dafür aber bewohnt von Familien mit etlichen Kindern. Wirklich
unglücklich wirkten sie aber nicht. Das Dorf besaß sogar ein Gebäude, wieder nur vier Wände mit Dach, das wir als Schule identifizierten. Auf dem Rückweg musizierten einige der Bewohner gerade und es schien allgemein eine leichte Feierstimmung aufzukommen.


Sobald die Sonne nicht mehr so extrem auf das Kloster herunter brennt, findet man viele der Mönche auf den Dächern sitzen. Dort weht eine leichte, kühlere Briese und man kann sich entweder miteinander unterhalten oder Texte rezitieren/auswendig lernen. Sogar auf den Dächern der Restaurants und kleinen Einkaufsläden des Klosters sitzen dann oft Mönche. Es ist sehr schön, auch wenn für mich zur Zeit noch fast jedes Gespräch den Charakter einer Unterrichtsstunde annimmt, weil ich doch häufig bitten muss Worte zu wiederholen oder mir dieses oder jenes Wort zu erklären. Lustiger Weise erfahre ich dann meist am nächsten Tag beim richtigen Tibetischunterricht mit meinem Lehrer, dass die Worte und sogar die Grammatik oft doch stark vom Dialekt der Kham-Region geprägt ist und lerne dann wie es "richtig" heißt. Mit richtig meine ich hier eine Variante, die möglichst viele Tibeter verstehen werden wenn ich sie benutze und nicht nur die Khampas. Vor einigen Tagen schlug ich meinem Tibetischlehrer einen Wechsel in der Art des Unterrichts vor. Ich fand es war ein Punkt erreicht, an dem es hilfreicher wäre mehr miteinander Konversation zu üben, anstatt gemeinsam durch das Grammatikbuch zu gehen, wo dies doch einfach genug ist um auch größtenteils von mir alleine bearbeitet zu werden, was ich zur Vorbereitung eh schon immer getan habe. Erst schien er skeptisch,
denn er scheint es zu mögen mir Fragen zur tibetischen Grammatik zu beantworten, aber ich glaube sein häufiges Loben meiner Fortschritte zeigte dann schließlich seine Zustimmung zu dieser Methode. Idealer Weise wird sich eine Mischung aus Grammatikfragen und praktischen Übungen einpegeln.

Ebenfalls zum Thema Hör-Verstehen: seit kurzem habe ich einen großen Inspirationsschub in meiner Yamantaka-Praxis bekommen und höre/lese auch vermehrt Kommentare zu der Praxis, und mir fiel sehr positiv auf, dass ich doch schon recht viel verstehe, wenn ich mir die Aufnahmen der Geshes anhöre. Ich brauche natürlich trotzdem noch die Übersetzung, aber die unerwartete Feststellung dieses Fortschrittes freute mich dennoch.

Die tibetischen Mönche haben tagsüber Teppiche auf ihren Betten, in der Art einer Tagesdecke. Dies hat, wie ich finde, nicht nur einen optisch ansprechenden Effekt auf den Raum, sondern macht auch einen psychologischen Unterschied, indem es den Raum von einem Schlafzimmer in einen Raum verwandelt, der hauptsächlich auch Studierzimmer ist. Dazu sei angemerkt, dass Stühle und (hohe) Tische hier äußerst unüblich sind, weshalb die Betten ziemlich viele Funktionen erfüllen müssen. Man sitzt dort mit anderen zusammen zum Tee oder zum Lesen, zum Meditieren oder auch Studieren. Da diese Teppiche lediglich (umgerechnet) 10€ kosten, habe ich mir ebenfalls einen gekauft. Es hilft tatsächlich.
Mein nächstes Raumgestaltungsprojekt, um diesen noch praxistauglicher zu machen, ist die Organisation von großen Abbildungen von Geshe Pema Samten, Tsongkhapa und Yamantaka. Um mir entsprechende Thangkas leisten zu können muss ich wohl eine ziemlich lange Zeit sparen, deshalb werde ich zunächst Versuchen große Ausrucke anfertigen zu lassen. Aber auch dafür muss ich erst entsprechendes, ausdruckbares Bildmaterial auftreiben.

Auf den ersten Blick ist hier in Sera für einen Westler ja vieles anders als vielleicht erwartet, besonders was das nicht sehr achtsam oder ruhig wirkende Verhalten der meisten Mönche betrifft. Zwar ließe sich auch darüber vieles zur Rechtfertigung oder zur Ergänzung des Bildes sagen, denn auch all die "wilden" Mönche besitzen zumeist außerordentliche Qualitäten, die über das Offensichtliche hinaus gehen, worauf ich jedoch hier hinaus will, ist die große Inspiriation, die mir
jene heiligen Meister sind, die hier ganz offensichtlich und dennoch unscheinbar ihre segensreichen Aktivitäten vollbringen. Es versetzt mir noch immer kalte Schauer beim Gedanken daran am gleichen Ort sein zu können, der von diesen manifesten Buddhas und Bodhisattvas durch ihre Anwesenheit und ihre Belehrungen gesegnet wurde/wird. Es ist mir schier unbegreiflich wie viel positives Potential stetig an diesem Ort angesammelt wird. Eine unaufhörlich sprudelnde Fontäne des Heilsamen,
von der ich mich sehr glücklich schätzen kann, wenn ich auch nur einen Tropfen dazu beitragen kann.


Gerade als ich diesen Eintrag abschicken wollte, klopfte es an meine Tür und mir wurde mitgeteilt, dass jetzt sofort eine Puja stattfindet. Um 21:30 Uhr hatte ich damit heute nicht gerechnet und machte mich sofort auf den Weg. Sie fand hier im Tempel in unserem Garten statt, aber es kamen Mönche von überall, wir waren schließlich mehrere hundert, von denen bestimmt 70% nicht im Tempel Platz fanden, sondern sich in mehreren Reihen um diesen herum setzten. Der Anlass war der Todestag
eines vor über 13 Jahren verstorbenen hohen Lehreres des Hauses. Es war wirklich wunderschön, mit einem kleinen Meer aus Butterlampen in der Dunkelheit. Viele Lehrer hatten Geld gespendet, so dass alle Mönche haufenweise Geldscheine und Süßigkeiten ausgeteilt bekamen, insgesamt mehrere Euro pro Person. Die Atmosphäre war sehr ruhig und dem Anlass gewidmet und dennoch heiter. Sämtliche Fenster des Tempels waren offen, so dass eigentlich doch alle zusammen saßen und rezitierten. Die Puja dauerte bis kurz vor Mitternacht, als alle gut gelaunt auseinanderströmten.