Samstag, 31. Oktober 2009

Debatte und deren Prüfungen

Dieser Oktober war vollständig damit gefüllt, dass die anderen Mönche sich stark auf ihre Debattierprüfungen vorbereiteten und diese dann innerhalb von fünf Tagen, bis vorgestern, abhielten. In der Vorbereitungszeit und auch jetzt noch, fand zu fast jeder freien Minute eine mündliche Textübertragung, ein Lung, von Chöden Rinpoche statt, zu den Texten die speziell in Sera Jey zum Studienprogramm gehören.
Die Debattierprüfungen finden zeitlich getrennt statt, von den anderen Prüfungen die es hier gibt, wie die Auswendiglernprüfung, die Grammatikprüfung und die schriftliche Prüfung mit Fragen zum Verständnis. 5 Tage lang versammeln sich die Mönche morgens und nachmittags einige Stunden lang auf dem Debattierhof. In großen Kreisen sitzen alle um die Prüfer, die nur zuhören und das Ende der Prüfung für den jeweiligen Prüfling signalisieren, und die beiden Debattierenden. In den ersten drei Jahren darf man sich seine Debattierthemen noch selbst aussuchen und vorbereiten. In den restlichen Jahren zieht man sich Themen direkt vorher aus der Gesamtheit aller Themen des letzten Jahres. Die Reihenfolge, in der man dran kommt, geht in den ersten drei Jahren danach, wann man sich für die Klasse angemeldet/eingeschrieben hat. Danach ist die Reihenfolge dementsprechend sortiert, wie gut man im vorherigen Jahr war. Dadurch debattieren dann immer ungefähr gleich gute Mönche miteinander. Jeder steht jeweils einmal als "Angreifer" in der Mitte, wo man dann einige Minuten Zeit bekommt seine Debatte am jeweiligen Thema zu entfalten, und sitzt einmal als "Verteidiger" in der Mitte, wo man dann versucht möglichst ohne sich in Widersprüche zu verstricken, auf diese Thesen zu antworten. Am Ende werden die Bewertungen öffentlich bekannt gegeben. Trotz der mehrstündigen Prüfungen morgens und nachmittags, finden abends regulär die gewöhnlichen Debattiersitzungen statt.

Jetzt sind die Prüfungen zwar zu ende und der normale Rhythmus ist wieder etwas mehr hergestellt, aber dennoch durchziehen den Tag die Sitzungen mit Chöden Rinpoche, zu der aber nicht alle Mönche hingehen. Dank des bis oben hin gefüllten Zeitplan, der sich für die Mehrheit der Mönche so ergibt, hat leider mein Tibetischlehrer auch weiterhin keine Zeit sich mit mir zu treffen, wie schon den ganzen Monat. Das ist aber kein großes Hindernis, denn eine Sprache wie Tibetisch zu lernen, erfordert eh hauptsächlich Dinge wie Lernen von Vokabeln oder das Sprechen mit den Tibetern. Zumindest für mich auf der Ebene, auf der ich mich zur Zeit bewege. Die Grammatik ist nicht so sehr kompliziert, dass ich sie nicht auch aus den Büchern verstehen könnte, so dass sich selten Fragen ergeben die mir von ihm beantwortet werden müssten. Wir haben aber vorher eine Strategie für mich entwickelt, die es mir ermöglicht zur Zeit Fortschritte auch und gerade allein zu machen. Wenn sich dann doch Fragen ergeben sollten - meistens eher dazu wie bestimmte Ausdrücke korrekt benutzt werden als zur Grammatik - dann kann ich sie mir entweder aufschreiben und sammeln oder am Abend kurz für eine halbe Stunde zu ihm kommen und ihn fragen. Da ich aber weiß wie wenig Zeit er gerade hat, werde ich dies nur tun wenn es wirklich sein muss.

Im Januar wird Seine Heiligkeit der Dalai Lama in Bodhgaya unterrichten und Rituale anleiten und es wird eine Langlebens-Puja für ihn durchgeführt werden. Viele der Mönche meines Hauses fahren hin. Da ich bisher außerhalb des Klosters noch wenig von Indien gesehen habe und auch gerade Bodhgaya, Varanasi und Saranath und natürlich Seine Heiligkeit erleben möchte, werde auch ich mich anschließen. Auch Mönche aus Nalanda werden vermutlich dort sein, weil sie gerade zu dem Zeitpunkt eine Pilgerreise mit Geshe Jamphel durch Indien veranstalten. Die Fahrt dauert 5 Stunden nach Bangalore und von dort aus zweieinhalb Tage mit dem Zug. (Ich erspare es mir und den Lesern an dieser Stelle Horrorgeschichten über Indische Züge zu schreiben, wenn es derer auch mehr gibt als Sandkörner im Flussbett des Ganges.) Aus Zeitgründen würden Lhawang und ich es nicht schaffen noch rechtzeitig anzukommen, wenn wir mit dem Zug hin führen, weshalb wir auf dem Hinweg fliegen werden und nur auf dem Rückweg mit dem Zug fahren. Da er sich die Reise nicht leisten kann, bezahle ich seine ganzen Reisekosten, die sich wegen des Fluges ganz schön summieren. Für indische Verhältnisse. Aber zum einen kostet der Flug kaum das doppelte von der Zugreise, braucht aber nur 2 Stunden anstelle der zweieinhalb Tage, und zum anderen ist Lhawang in seinem Leben noch nie geflogen, hat selten ein Flugzeug auch nur von außen gesehen, und ist deshalb voller ekstatischer Begeisterung, wie ein kleines Kind, dass er jetzt Ende Dezember tatsächlich selbst einmal in einem mitfliegen darf. Wir kommen dann am letzten Tag dieses Jahres in Bodhgaya an und verbringen dort den Jahreswechsel, dort wo Buddha unter dem Bodhi-Baum die Erleuchtung anzeigte. Wenn dieses Datum auch eher zufällig so ist, und die Inder dem christlichen Jahreswechsel, wie mir versichert wird, keinerlei Bedeutung zumessen, werde ich trotzdem dieses Sylvester als ein besonderes erleben.

Gestern und heute hatten wir mal wieder kein Wasser in unserem Haus. Diese Situation hatten wir zuletzt immer mal wieder einige Tage lang vor dem Monsun, in der richtig heißen Zeit. Das ist besonders unangenehm wenn es darum geht sich zu waschen oder auf Toilette zu gehen, ist aber scheinbar für niemand sonst hier ein sonderlich unangenehmer Umstand. Alles Yogis um mich herum. Warmes Wasser haben wir ja sonst auch nicht, und Strom ungefähr ein knappes Viertel des Tages zu variierenden Zeiten, aber ob wir überhaupt Wasser haben oder nicht macht für mein Wohlbefinden jedenfalls zur Zeit noch einen nicht unerheblichen Unterschied. Aber glücklicherweise kam es vorhin vorläufig zurück.

Es wurde in einem Kommentar gefragt, ob bei all der Debatte hier im Kloster das Studium nicht zu kurz käme. Studium und Debatte sind in unserer Tradition keine voneinander leicht zu trennenden Dinge, ich bin sogar versucht die Debatte als das Studium anzusehen und die restlichen Aktivitäten nur als deren Unterstützung. Die Debatte hat natürlich in dieser Art wenig mit den Monologen zu tun, die wir im Westen darunter verstehen, sondern ist ein intensiver und schneller Dialog, der durch seine genauen Regeln für ein gleichmäßiges Hin und Her zwischen beiden Teilnehmern sorgt. Dabei ist der Nutzen nicht nur, dass man den Stoff immer wieder von allen Seiten durchleuchten muss, durch die ständig wechselnden Partner auch von viel mehr Seiten als man dort alleine in seinem Kämmerlein drauf kommen könnte, wodurch der Stoff selbst und auch das analytische Denken, wie es in der analytischen Meditation dringend gebraucht wird, trainiert wird. Man bekommt zusätzlich einen flexibleren Geist, weil die eigenen Ansichten wieder und wieder widerlegt werden, so dass man sich neue bilden muss, dass man die Konzentration schult, denn Unkonzentriertheit führt unmittelbar zu Selbstwidersprüchen, die mit viel Gelächter auf eigene Kosten quittiert werden, und nicht zuletzt bekommt man ein tieferes Verständnis dafür wie die ganzen Themen alle zusammen hängen, denn in der Debatte kommt man nicht selten vom hundertste ins tausendste, hangelt sich hinab in die Untiefen der Realität, um zu erkunden wo der Fehler in der Logik einer vertretenen Meinung liegen könnte. Kompliziert wird es manchmal vor allem für den "Angreifer", der dann, nachdem in solche Untiefen abgestiegen wurde, den ganzen Pfad rückwärts wieder aufsteigen muss, um darzulegen wie der Selbstwiderspruch des Verteidigers bei dem einen Thema, sich auswirkt auf das ursprüngliche. Dies erfordert einiges an Training und Konzentration.
Die Debatte macht den größten Teil des Verständnisses aus, und naturgemäß bleibt dabei wesentlich mehr, und dies auch wesentlich tiefer, hängen, als wenn man sich lediglich bei einem Vortrag berieseln ließe. Aber auch dies ist komplementär wichtig, um Anregungen für die Debatte zu geben. Dies findet am Nachmittag statt, anfangs 1 Stunde täglich, später dann nicht mehr jeden Tag. Vor allem Nachts bleibt dann noch etwas Zeit auch diverse Kommentare der großen Gelehrten zu lesen, um wiederum neue Ideen zu bekommen und auch seine Stellungnahmen durch Zitate belegen zu können. Um zitieren zu können, ohne ein Buch zur Hand zu haben, muss natürlich viel auswendig gelernt werden, was morgens und Abends ebenfalls geschieht, sogar verpflichtend. Dies alles ist kein Selbstzweck, sondern es sind perfekt zusammen passende Teile eines großen Systems, das meiner Meinung nach eine optimale Methode der Entwicklung von vollständigem und tiefgründigen Verständnis ist.

Dienstag, 29. September 2009

Das Rains Retreat und seine Ferien am Ende

Nachdem das Rains-Retreat offiziell zuende war, sind die Ferien für eine Woche ausgebrochen. Dies steht sogar so im den vom Buddha gelehrten klösterlichen Regeln. Während des Rains Retreats darf eine gewisse Barriere um das Kloster nicht überschritten werden, man darf keine Gartenarbeit verrichten, sollte sich besonders intensiv dem Studium hingeben und auf gar keinen Fall Streitigkeiten aufkommen lassen. Gibt es doch mal Missverständnisse, sind diese nicht vor dem Ende des Rains Retreats anzusprechen, denn Harmonie ist in dieser Zeit eine strikte Regel. Aber hier unter den Tibetern ist auch sonst nichts von Disharmonie zu spüren, und so macht diese Regel zumindest keinen praktischen Unterschied. Nach dem Rains Retreat findet ein Ritual statt und die Mönche sollten dann bewusst die Grenze überschreiten und eine Weile Ferien machen. Die Mönche meines Hauses haben einen schönen, sehr typisch tibetisch verzierten Stoff vom Geländer meines Stockwerks schräg runter auf den Boden, quer über den Garten gespannt, so dass man sowohl bei glühendem Sonnenschein (Vormittags/Mittags) als auch bei leichtem Regen (Nachmittags/Abends) gemütlich im Garten sein kann. Oft waren sie dort aber nicht, denn wir hatten erstaunlicher Weise beinahe durchgehend Strom und so wurden auch ungebremst nacheinander im Tempel Videos geschaut. Die Ferienzeit ist ja die einzige Zeit in der es überhaupt gestattet ist Filme zu schauen, den Rest des Jahres ist der Fernseher weggeschlossen.

Zu Beginn der Ferien war ich mit Tsondru, einem Tibetischen Mönch und einem Italiener, den wir zum Flughafen gebracht haben, in Bangalore, wo Tsondru sich Einrichtung für das neue Haus gekauft, in das er gerade eingezogen ist, und von dem Italiener gebaut wurde, und ich habe mir auch die eine oder andere Kleinigkeit besorgt. Beispielsweise eine Batterie, die in der Lage sein soll eine Stromsparlampe für 7 Stunden zu betreiben (oder drei Stück für 7 / 3 Stunden), einen Wasserkocher, mehrere Luft dichte Gefäße für Zucker und ähnliches und eine Batterie betriebene LED-Schreibtischlampe, damit ich auch Abends/Nachts beim Lernen nicht meine Augen an einer Kerze verderbe. Was mit noch fehlte waren ein Schreibtisch, ein Regal und eine Stehlampe für die neue 7-Stunden Batterie. Auch eine schöne Beleuchtung für den Altar suche noch vergebens. Wo kaufen die anderen wohl ihre Lichterketten? Ich sollte mal eine Umfrage starten.
Leider habe ich am Tag unserer Reise nach Bangalore erfahren, dass ich für mein neues Protected Area Permit, welches ich brauche um mein Visum verlängern lassen zu können, dieses Mal ein Einladungsschreiben des Klosters hätte mitschicken müssen. Dieses konnte ich da aber nicht ausstellen lassen, weil auch im Büro Ferien waren. Der Prozess für solche Dinge ist übrigens gerade um einiges komplizierter geworden; die Tibeter scheinen ihre Bürokratie auf indische Art umstellen. Ich muss mir jetzt von einer anderen Verwaltungsinstanz ein Schreiben ausstellen und woanders bestätigen lassen, dieses dann zum Hauptbüro tragen und dort damit das Einladungsschreiben anfordern, um damit danach zum Abt des Klosters zu laufen und dieses nochmal von ihm persönlich bestätigen zu lassen. Wenigstens wird von mir nicht gefordert diesen Prozess mit inoffiziellen Geldgeschenken am Laufen zu halten.

In den Ferien, auf dem Rasen vor unserem Haus, genau vor meinem Zimmer stand ein provisorischer, brüllend lauter, alter Generator, der zwei drittel des Tages, während wir keinen Strom hatten, einen starken Lärm verursacht hat. Dieser Generator hat es ermöglicht im Tempel weiterhin Filme zu schauen, die Zimmer hatten aber keinen Strom. Ich habe mich dann am Nachmittag oft mit Tsondru getroffen und mit ihm Schach gespielt, Tee getrunken und anschließend den Altar in seinem neuen Haus eingerichtet oder ähnliches. Er hat wirklich hübsche und große Thangkas (Rollbilder für die Wand) und Statuen dort drinnen. Die gehören fast alle nicht ihm sondern dem Besitzer des Hauses. Tsondru wohnt dort in dem Haus, weil der Besitzer nur 3 Monate im Jahr hier sein wird und dort jemand leben muss. Er hat noch keine Gasflasche in dem neuen Haus, also kann er nichts kochen oder sich auch nur Tee machen, weshalb ich ihm meinen neuen Wasserkocher sofort ausgeliehen habe. Er hat auch noch keinen Strom gelegt bekommen, deshalb hat er sich ein über 100 Meter langes Stromkabel vom Nachbarn abgezwackt und zu sich ins Wohnzimmer gelegt. In dieser Woche hatten wir ca. von 14 bis 21 Uhr und dann nochmal von 23 Uhr bis 4 Uhr morgens Strom, also sehr angenehm lange.

Einmal war ich mit einem Mönch meines Hauses viele Stunden in Kushalnagar um einen Zimmermann zu finden. Wir waren bei mehreren, aber ich war ziemlich enttäuscht von den Preisen. Der Mönch, Tenzin Dargye, meinte die Preise in Indien für alles mögliche würden jährlich stark ansteigen. Zwar bekommt man hier noch immer in jedem Restaurant einen Tee für 7 Cent, aber Indien erlebt trotzdem eine große Preissteigerung. Für ein Regal und einen Schreibtisch aus Pressholz musste ich mit 150 bis 200 Euro rechnen. Deutsche Preise bei indischer Qualität. Ich habe mich jetzt für 175 Euro bei einem halbwegs vertrauenswürdig aussehendem Schreiner entschieden. 5 Tage später sollte es abholbereit sein. Letztendlich sind der Schreibtisch und das Regal qualitativ recht mangelhaft ausgefallen. Ganz davon abgesehen wie dreckig sie geliefert wurden, und mancher Dreck lässt sich offenbar nicht mit meinen Mitteln wegputzen, sind auch Stücke des Furniers abgebrochen, die eine Schublade schließt nicht, das Pressholz ist stellenweise gesplittert, das Regal ist höher als abgesprochen, der Magnetverschluss der Glastür ist defekt, weder der obere Teil mit der Glastür noch der untere mit der Holztür schließt vollständig, sondern es ist ein mehrere Millimeter breiter Spalt zu allen Seiten und die eine Holztür ist schon jetzt vom oberen Scharnier abgebrochen. Es sind nur manche Seiten überhaupt furniert, der Rest ist aus Kostengründen nur gelb/braun angemalt. Angeblich sollen die gravierendsten, behebbaren Mängel noch repariert werden, bisher kam der Tischler aber nicht wie abgesprochen vorbei.,
Trotz der Mängel trägt er bereits jetzt zu meinem Lerneifer bei. Auch, da ich mir zur Regel gemacht habe nichts darauf abzulegen, was nicht direkten Bezug zum Lernen hat, um ihn nicht unordentlich werden zu lassen und ihn als Ort des Lernens zu etablieren.

Wie es sich in der Ferienzeit gehört, wurde von den Mönchen unseres Hauses jeden Tag mehrmals für die ganze Hausgruppe gekocht. Die Momos (tibetische gefüllte Teigtaschen) waren die leckersten, die ich je gegessen habe.
Tsondru hatte irgendwann spontan die Idee mit mir nach Mangalore zu fahren, einen Tag hin, dann einen Tag dort und am nächsten Tag wieder zurück. Die Busreise kostet kaum 3 Euro mit dem Bus und das Hotel auch nur 30 Euro, wobei wir uns den Preis ja teilten. Es sind gut 6 bis 7 Stunden Busfahrt quer durch den Jungel, bergauf, bergab. Wir hatten viel Spaß, auch wenn die Busfahrt mit den staatlichen Bussen über so lange Zeiträume in glühender Hitze nur für Leute zu empfehlen ist, die an ihrer Entsagung arbeiten wollen.

Eine sehr lustige Sache die ich inzwischen sowohl in Bangalore als auch in Mangalore gesehen habe ist, wenn Inder, obwohl sie reich genug sind um in die Einkaufszentren gehen zu können, sich partout nicht trauen auf Rolltreppen zu steigen. Es befinden sich immer Trauben von Leuten um die Rolltreppen, die sich nicht überwinden können auf dieses, bei uns seit Jahrzehnten normale, Wunderwerk der Technik zu steigen. Manche schaffen es dann doch, aber die meisten weichen nach einer Weile dann lieber auf Treppe und Fahrstuhl aus.

Nachdem im sechswöchigen Rains Retreat unter vielem anderen keine Garten- oder größeren Hausputzarbeiten stattfinden durften und auch in der anschließenden Ferienwoche daran nicht zu denken war, kam anschließend der große Tag an dem alle das Haus und den Garten auf Vordermann brachten. Tags darauf wurde ein Mönch meines Flures groß gefeiert, wiedermal kamen den ganzen Tag aus ganz Sera Gratulanten und brachten ihm Geldumschläge und Katags. Der Anlass war, dass er jetzt in die Lharampa Geshe Klasse gekommen ist, und also, sofern er in den nächsten Jahren alle Prüfungen besteht, dann auch den höchsten der Geshe Abschlüsse bekommen wird. Alleine schon in diese Klasse aufgenommen zu werden ist eine Auszeichnung und wird entsprechend gefeiert.

Freitag waren die Ferien zuende, aber heute ist wiedermal Dienstag und also schon wieder frei. Gerade, nachdem ich mit Lhawang meinen traditionellen Dienstagsspaziergang hatte, ging ich an dem einem Restaurant vorbei, vor dem an Feiertagen und Dienstagen auf einer Decke ein Buchhändler seine tibetischen Bücher ausstellt, und habe mir bei der Gelegenheit zwei neue Bücher gekauft. Neu ist in sofern übertrieben, als die Bücher dort meist alles andere als neu zu sein scheinen, eher sehr benutzt aussehen, aber diese beiden sind in ordentlichem Zustand. Das eine ist ein Buch an Kinder und "Erwachsene die an ihren Träumen festhalten" und heißt གཡག་ལ་སྤུ་རིད་པོ་ཇི་ལྷར་བྱུང་། (ich hoffe an dieser Stelle werden bei allen Lesern die tibetischen Schriftzeichen korrekt angezeigt) bzw. "Wie das Yak zu seinem langen Haar kam", es ist liebevoll bebildert aber vor allem zweisprachig, Tibetisch/Englisch. Es könnte ganz nützlich und unterhaltsam sein. Das andere ist ein kleines handliches Englisch-Tibetisch Wörterbuch. Tibetisch-Englisch gibt es ja recht viele, aber brauchbare in die andere Richtung empfinde ich als selten. Dies hier ist dünn genug um es mit mir herum zu tragen und da zu sein wenn ich schnell etwas spezielles präzise sagen möchte und scheinbar vollständig genug um das hier benötigte alltägliche Vokabular gut abzudecken. Beide Bücher kosteten 180 Rupien, ca. 2,5 Euro.
Bücher sind hier glücklicherweise sehr sehr günstig.
Im Mönchsparadies.

Mittwoch, 9. September 2009

Zurück in Sera und einige Bemerkungen zur Lehrer-Schüler-Beziehung

Liebe Leser,
mein Besuch in Deutschland war sehr schön. Ich habe es sehr genossen Geshe Pema Samten, meine Familie und, vor allem beim Besuch Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama in Frankfurt, die anderen westlichen Ordinierten wieder zu treffen. Es ist eine wundervolle Gelegenheit jedes Jahr für all die Mönche und Nonnen wieder mal zusammen zu kommen, für die inspirierenden Belehrungen Seiner Heiligkeit. Leider konnten nicht alle meiner Brüder aus dem Kloster Nalanda in Südfrankreich kommen, in welchem ich voriges Jahr gelebt habe. Es ergab sich hin und wieder, dass ich mit Gen Pema Samten alleine war und mich mit ihm auf Tibetisch verständigen musste und vor allem konnte. Hin und wieder hat er mir auch neue Worte beigebracht. Es erleichterte mich festzustellen, dass ich in dem knappen Monat meiner Abwesenheit aus Sera mein bisheriges Tibetisch nicht wieder verlernt habe.

Bei meiner Rückkehr nach Indien am Flughafen Bangalore wurden sehr viele Sicherheitsmaßnahmen bezüglich der Schweinegrippe sichtbar. Besonders Leute, die aus gefährlichen Ländern wie Mexiko oder Deutschland einreisten, mussten ziemlich viele Fragen beantworten. Jeder trug eine Atemschutzmaske, und auch ich kaufte mir dann lieber schnell eine solche. In der Zeitung am nächsten Tag konnte ich lesen, dass alleine in Bangalore am Tag meiner Ankunft 38 Neuinfektionen festgestellt wurden. Im Kloster jedoch: alles wie immer. Es hat einige Tage gedauert mich wieder richtig angekommen zu fühlen. Warmes Wasser, Strom, Lebensmittelvielfalt und Internet sind doch etwas, an das ich mich zu schnell wieder gewöhnen konnte. Aber natürlich bin ich auch sehr froh wieder hier sein zu dürfen, hatte Sera in mancherlei Hinsicht auch schon etwas vermisst, und hoffe jetzt mal wieder ein paar Fortschritte auf meinem langen Weg zu machen.

Thutob hat mir kürzlich in seinem Zimmer über die alten Zeiten erzählt, als es den ersten Stock noch nicht gab, Gen Pema Samten unter seinem jetzigen Zimmer wohnte und er sein Zimmernachbar war. Er erzählte, dass es damals diese (auch jetzt noch schlichten, niedrigen und schön harten) Betten und ähnliche Dinge noch nicht gab, sie auch wenig Essen und Trinken hatten. Mit dem Brot konnte man, angeblich, Nägel in den Boden schlagen und musste es, vor dem Essen, eine ganze Weile in Wasser aufweichen lassen. Ich schaute etwas ungläubig, weil es mir übertrieben schien, aber er meinte ich solle in Deutschland Geshe Pema Samten fragen wie es früher gewesen sei. Der Punkt seiner Geschichte aber war der Hinweis auf die große Zufriedenheit und Weite des Geistes die damals trotzdem, vor allem auch bei Geshe Pema Samten, vorhanden war. Immer fröhlich, sanftmütig, gütig. Die drei Juwelen in ihm makellos vereint.

Ab 21:30 Uhr wird täglich von uns erwartet auf den Fluren oder dem Garten auf und ab zu gehen und dabei durch sehr lautes Rezitieren auswendig zu lernen. Eben sah ich zum ersten Mal die als "Lama Polizei" bezeichnete Patrouille mit der Taschenlampe durch unseren Garten gehen, um zu prüfen, ob dieser Verpflichtung auch nachgegangen wird. Eine Taschenlampe ist nötig, weil hier unten, so nah am Äquator, rund um das Jahr die Sonne zur gleichen Zeit unter geht, nämlich zwischen 18 und 19 Uhr. Deshalb wird hier übrigens keine Umstellung zwischen Sommer- und Winterzeit benötigt.

Letzten Freitag war Sojong und danach musste ich nach Mysore zum Superintendant of Police, um mich zurück zu melden. Da immer noch alle mitten in den Prüfungen stecken und besonders rigoros lernen, fuhr ich natürlich alleine. Der für die Studenten-Visums-Registrierungen zuständige Sachbearbeiter Mr. Singh machte einige spaßige Bemerkungen über die Sicherheitsmerkmale der Deutschen Reisepässe, als er versuchte eine Kopie davon zu machen und sich das lächel-freie Passbild anschaute. Ich erklärte ihm, dass wir in Deutschland auf Passphotos nicht mehr Lächeln dürfen, wegen der Raster. Dies kommentierte er mit einem Vergleich zu unserem Wappentier, dem Adler, dessen Schnabel in einer solchen Weise verbogen ist, als fletschte er die Zähne (obwohl Vögel bekanntlich keine haben) und verzieht dabei ziemlich wütend das Gesicht. Der wütende deutsche Bundesadler. Ich musste sehr darüber lachen, da es auch für mich tatsächlich so aussieht. Er riet mir schließlich noch, schon jetzt mein neues Protected Area Permit zu beantragen, damit danach so rasch wie möglich eine Visa-Verlängerung in Erwägung gezogen werden kann. Ende Januar laufen Visum und PAP nämlich aus und danach bin ich, bis zur eigentlichen Gewährung einer Verlängerung, nur noch "Under Consideration", darf also Aus- aber dann nicht wieder Einreisen. Leider ist dies alles nicht nur mit einem spürbaren finanziellen Aufwand verbunden, sondern auch mit sehr viel Papierarbeit und Warten auf Stempel bei Ämtern und Banken. Das Prozedere hatte mich zwischen Januar und März schon einige Wochen gekostet.

Die Briefe, die ich von Lesern dieses Weblogs bekommen habe, sind inzwischen alle beantwortet, insofern sie einen Absender enthielten. Wer mir also einen mit Absender ausgestatteten Brief geschrieben hat und darauf in den nächsten Wochen noch keine Antwort erhalten hat, wird damit rechnen können, dass entweder der eigene Brief oder meine Antwort darauf in der indischen oder deutschen Post verloren gegangen ist. Ich habe aber bewusst ein vielfaches des Portos bezahlt um den Versand zu versichern, und hoffe daher etwas berechtigter auf einen reibungsloses Ankommen.

Die Geshe-Examen sind beinahe zu Ende und wir nähern uns, wie mir zu meiner Überraschung mitgeteilt wurde, der zweiten Ferienperiode, die, genauso wie das tibetische Neujahr, ungefähr eine Woche gefeiert wird. Es ist das Ende des Rains-Retreat. Dann wird wieder der Ausnahmezustand ausbrechen, niemand studiert oder debattiert mehr sondern es werden Fernseher aufgestellt und Rekorde im Dauer-Actionfilm-Schauen aufgestellt, nur unterbrochen von Stromausfällen, die mit Carom-Spielen ausgefüllt werden. Mir war zuvor bloß die eine Ferienzeit bekannt, eben die Woche nach Losar. Da ich diese aber sehr genossen habe, denn so pausenlos die Tibeter auch ansonsten fleißig studieren können, so rigoros entspannen sie sich in den Ferienzeiten auch, freue ich mich schon auf diese bevorstehende Ferienwoche. Wobei ich hier wieder mal anmerken möchte, dass der bewundernswerte Fleiß der Tibeter nicht mit einem engen oder überspannten Geist einher geht, sondern sie sich in einem Zustand befinden, in welchem sie zwar jede Minute für das Studium nutzen, sich jedoch auch die Zeit für andere nehmen, die Arbeit beiseite legen und sich ganz auf den anderen einlassen, sollte man sich zu ihnen setzen und Gesprächsbedarf anzeigen. Völlig unverkrampft und unverbissen, dafür tatkräftig und offenherzig. In den Ferien ist es ebenso, nur dass sich die Tätigkeit ein anderes Objekt sucht.

Es wurde gefragt was auch Mönchen wird, wenn sie das Studium abschließen und den Geshe Titel erhalten. Ich glaube dazu muss ich noch einige Hintergrundinformationen geben. Manche Mönche merken im Laufe des Studiums, dass ihnen das viele Studieren eigentlich nicht liegt und melden sich dann vermehrt freiwillig für praktische Arbeiten wie das Betreuen der Klosterverwaltung, der klostereigenen Restaurants oder Kaufläden. Diese sind übrigens nicht profitorientiert sondern sollen nur den Mönchen das Nötigste verfügbar machen, damit sie nicht für jede neue Zahnpasta das Kloster verlassen müssen. Erreicht der eigene Jahrgang, bei welchem man eingeschrieben ist, den Abschluss des Studiums, erhält man selbst ebenfalls den Geshe-Titel, selbst wenn die meiste Zeit damit verbracht wurde für das Kloster zu arbeiten. Diese Geshes haben dann natürlich ein vergleichsweise mageres Wissen erreicht und werden trotz des Titels eher weiter hier arbeiten, als irgendwo als Lehrer eingesetzt zu werden. Die anderen studierten Geshes können dann entweder hier bleiben und je nach Qualifikation eine angemessene Tätigkeit finden, oder beispielsweise an ihre Heimatklöster zurückkehren und dort beispielsweise unterrichten oder sich zur Meditation zurück ziehen. Dann gibt es noch eine ganz andere Art, denn die aller besten Studenten bekommen die Chance einige Jahre vor dem Abschluss des eigentlichen Geshe-Studiums in die Lharam-Klasse einzutreten. In dieser werden einige sehr komplexe Themen nochmal enorm vertieft, so dass sich quasi eine Elite bildet. Diese Klasse endet, einige Jahre nachdem die anderen des ursprünglichen Jahrgangs bereits den Geshe Titel erlangt haben, mit dem Abschluss des Lharampa Geshe. Traditionell gehen die Lharam-Geshes danach erstmal für einige Zeit in ein Tantra-Kloster um dort die Feinheiten der Rituale und deren Bedeutungen zu erlernen. Um diese wenigen, in höchstem Maße qualifizierten Gelehrten reißen sich anschließend natürlich alle, um sie als Lehrer gewinnen zu können. Das Tibetische Zentrum (in Hamburg) war ja seit je her in der glücklichen Position, von Lehrern dieses Kalibers stetigen Unterricht empfangen zu dürfen.
Es wurde auch gefragt, wie das Lehrer-Schüler-Verhältnis aussieht. Das ist eine so komplexe Angelegenheit, dass ich kaum ihre Oberfläche zu überblicken vermag. Hier gibt es natürlich verschiedene Ebenen, da es viele verschiedene Arten von Lehrern/Meistern gibt. Beim Eintritt in den Orden gibt es für die verschiedenen Stufen der Ordination verschiedene Arten von Meistern und Äbten, dann gibt es Lehrer die im Kloster für dein korrektes Verhalten zuständig sind und andere die dich unterrichten, und schließlich die tantrischen Lehrer/Meister, die Initiationen, Transmissionen und Unterweisungen geben. Man kann also nicht sagen jeder Schüler hätte genau einen Lehrer, denn es ist, zumindest für uns, ein ganzer Blumenstrauß an Lehrern, die alle unterschiedliche Funktionen und Bedeutungen haben. Der Stellenwert, dem man den verschiedenen Lehrern beimisst, ist sehr individuell. In meinem Fall sind mein Ordinationsabt und -meister und mein Tantrischer Guru glücklicherweise die gleiche Person, bei der ich niemals eine Schwierigkeit hatte sie als leibhaften Buddha anzusehen. Jedoch ist dieser gütige und gelehrte Lehrer bisher nicht derjenige, bei dem ich den meisten formellen Dharma-Unterricht erhalten habe. Dies bildet jedoch nicht unbedingt einen Widerspruch, besonders wenn man es schafft die Lehrer als Emanation des eigenen Gurus zu begreifen. Diese Situation mit den Massen an verschiedenartigen Lehrern ist hier in einer Klosteruniversität natürlich auch die Spitze getrieben. Doch auch hier gibt es trotz allem den eigenen hochverehrten Lehrer meist den einen, mit dem man eine ganz spezielle und besonders tiefe Verbindung eingeht. Auf dieses heikle Thema möchte ich an dieser Stelle ungern tiefer eingehen, und es abschließen mit einem Zitat des Dalai Lama aus "The Union of Bliss and Emptiness": "If the buddhas are engaged in helping all sentient beings, including oneself, it is definitley only through the guru that they perform these activities."

Es gab noch eine Frage zur Debatte, doch um diese zu beantworten werde ich vermutlich weiter ausholen müssen, und verschiebe die Antwort noch etwas.

Dieser Eintrag, sowie alle anderen hier verfassten, stellt nur einen kleinen Ausschnitt meiner subjektiven Wirklichkeit dar. Für die vielen Fehler, Missverständnisse und Ungenauigkeiten bitte ich um Verzeihung und stelle sie nur aus der vagen Hoffnung dennoch in den öffentlichen Raum, dass doch ein Leser trotzdem Inspiration zum Heilsamen daraus gewinnen möge.

Samstag, 18. Juli 2009

Vom Monsun in den Westen

Der Tag meines Aufbruches nach Deutschland ist nahe. Obwohl ich während meines Heimatbesuches sicherlich die Zeit finden könnte neue Einträge zu verfassen, wird es doch in meiner Abwesenheit nichts neues für mich über das Leben in Sera zu berichten geben. Kommen allerdings Fragen seitens der Leser dieser Einträge, werde ich sie gerne beantworten.

Der Monsun verdient sich gerade seinen Ruf, es regnet in einer Intensität die mir unbekannt war. Verlässt man überdachte Bereiche ist es, als hätte man einem den Wasserhahn über dem Kopf aufgedreht, es dauert keine drei Sekunden bis zur vollkommenen Durchweichung. Trägt man in der heißen Zeit keine Socken, weil es zu warm wäre, so vermeidet man sie jetzt, weil sie ständig nass blieben. Beim Waten durch die Bäche, die einst Straßen waren, sind feste Schuhe sogar im Nachteil gegenüber Sandalen, weil sie sich zusätzlich unvorteilhaft mit Wasser und Schlamm füllen. Kommt man von draußen, werden zuerst mal die Füße gewaschen. Ich genieße es, als Abwechslung zur Hitze. Auf Dauer wäre mir die Unmöglichkeit die Roben zu waschen jedoch unangenehm, nicht zuletzt wegen all der Schlammspritzer. Man wird vorsichtig. Noch vorsichtiger.

Für meine Ausreise musste ich mal wieder nach Mysore, zum Superintendent of Police, um einen Antrag auf Ausreisegenehmigung zu stellen. Einer der vielen Ringe durch die man als Inhaber eines Studentenvisums springen gelassen wird. Das Verfassen des Antrages dauerte drei Minuten, das Warten auf den Stempel sieben Stunden. Ich muss aber nochmal wiederkommen vor meiner Abreise, um weitere Papiere abzuholen, die ich am Flughafen abzugeben habe. Bei der nächtlichen Rückkehr ins Kloster hatte sich eine Schraube meiner Brillen ausreichend gelockert, um das rechte Glas herausfallen zu lassen. Es zerbrach. Dies war bereits die Ersatzbrille, deshalb brach ich am nächsten Tag gleich wieder nach Mysore auf um mir eine neue Brille zu besorgen, denn ohne eine solche sind Augen- und Kopfschmerzen unausweichlich. Diesmal Übernachtung in Mysore, um nicht wieder in der Nacht zurückkehren zu müssen.

Es gibt neue, frisch gebackene Geshes in Sera und unser Haus hat ebenfalls einen, Päldsche Dorje. Große Freude allerseits, gründlicher Hausputz und feierliche Katag-Übergabe von unzähligen Gratulanten, die wieder den gesamten Tag in Anspruch nimmt.

Rührend, wie mich jeder Mönch hier einzeln fragt wann ich fliege und vor allem wann ich zurück kehre, mit der herzlichen Bitte ganz schnell nach Sera zurück zu kommen. Dann, wie um Nachdruck zu verleihen, die Begründung in Form von Auflistung meiner angeblichen Qualitäten. "Kehre schnell zu uns zurück!"
Vorhin auch: Mönche unseres Hauses sitzen zusammen und preisen in Anekdoten und Beschreibungen Geshe Pema Samtens große Qualitäten. Im Vordergrund: trotz seiner großen Autorität niemals ein zorniges Wort zu seinen Schülern oder allgemein, immer sein herzliches Lachen und schier unendliche Geduld, Liebe, Mitgefühl!

Mein Tibetischlehrer wird mir in der Zeit meiner Abwesenheit Fragen per Email beantworten, jeden Dienstag. Es freut mich sehr, dass wir diese wöchentliche Korrespondenzveranredung haben.
Eigentlich hätte ich nicht viel Gepäck gehabt, nur eine kleine Tasche Handgepäck. Da aber sehr viele Mönche mir Geschenke für Geshe Pema Samten, ihre Sponsoren und andere Leute mitgaben, muss ich jetzt doch mit einem schweren - wahrscheinlich zu schweren, das werde ich am Flughafen sehen weil ich hier keine Wage habe - Koffer reisen, der zu über 80% aus Transportgut für andere besteht. Ich hoffe nur der Koffer geht nicht verloren und ist nicht schwerer als erlaubt.

Lhawang begleitet mich nach Bangalore zum Flughafen. Obwohl ich eigentlich nur kurz verreise, sind Katag-Übergabe und ähnliche Bräuche bei der Verabschiedung und Rückkehr quasi obligatorisch. Ich bin gespannt auf mündliche Rückmeldungen bezüglich meines Blogs wenn ich in Deutschland auf Leser treffen sollte.

Freitag, 3. Juli 2009

Sponsorenbriefe, eine kleine Pilgerreise und Lhamo

Mit zunehmendem Systemausfall meines Schreibgerätes steigen die Schwierigkeiten hier Einträge zu verfassen. Deshalb ist es diesmal fast schon ein ganzer Monat, seit ich zum Letzten mal geschrieben habe. Ich bin zuversichtlich diese Probleme beheben zu können, wenn ich Ende Juli bis August Deutschland besuche.

Im August stehen diverse Prüfungen an, deshalb sind die Mönche noch fleißiger und beschäftigter als sonst schon. Jetzt fängt man bereits zwischen 5 und 5:30 Uhr mit dem Rezitieren bzw. Auswendiglernen an, geht von 6:30 Uhr bis 7 Uhr zur Morgenpuja, in der das Frühstück ausgeteilt wird, und lernt danach sofort weiter. Für die nächste Zeit ist sogar die morgentliche Debattiersitzung ausgesetzt, so dass ein realistisches Ausmaß an Zeit zum notwendigen Auswendiglernen gegeben ist. Da Auswendiglernen eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit ist, reicht dieses Ausmaß an Zeit aber wirklich nur dann, wenn man ausgesprochen gut darin trainiert ist. Ich hoffe nicht, dass es notwendig ist an dieser Stelle die enormen Vorzüge des auswendigen Beherrschens der Texte mit all den Definitionen, Unterteilungen, Beispielen und Erklärungen zu beschreiben, doch da wir Westler in unserer Kultur das Auswendiglernen verbannt haben und es schlicht kaum noch können, stoße ich oft auf den Kommentar, Verstehen sei besser als Auswendiglernen, und ich möchte für diesen Fall nur zu bedenken geben, dass Auswendiglernen und Verständnis nicht im Gegensatz zueinander stehen, sondern sich gegenseitig fördern und ab einem bestimmten Punkt ein tieferes Verständnis kaum noch entwickelt werden kann, ohne die Basis einer exzellenten Textkenntnis. Es wird nicht eine „korrekte“ Lehrmeinung auswendig gelernt, so dass ein Verständnis obsolet wird, sondern alle denkbaren Lehrmeinungen werden verinnerlicht und in der Debatte versucht zu verteidigen und anzugreifen, bis man für sich selbst einen Standpunkt gefunden hat, den man in der Debatte erfolgreich halten kann, ohne sich selbst zu widersprechen. So ein komplexes Verfahren ist undurchführbar ohne stabile, zitierbare Textkenntnis der Begründer der grundlegenden Lehrmeinungen.

Wenn die Mönche meines Hauses Briefe von ihren Sponsoren bekommen freuen sie sich enorm. Neulich hat Lhawang beispielsweise mit meiner Hilfe extra einen Emailaccount für sich angelegt, weil eine Sponsorin ihre Emailadresse geschrieben hatte. Nachdem er mir zwei Emails für sie diktiert hat, die ich dann ins Englische für ihn in die Email übersetzt habe, kam er wochenlang ständig zu mir und wollte, dass ich für ihr schauen gehe, ob eine Antwort eingetroffen ist. Seine fast schon nervöse Hoffnung mit der auf eine Antwort wartete, war richtig rührend. Er konnte es kaum erwarten. Gestern kam ein tibetischer Junge, auch Mönch unseres Hauses, auf mich zu und hielt mir einen Brief hin und fragte mich, ob das Deutsch sei oder Englisch. Es war Deutsch. Es gibt in unserem Haus nur einen tibetischen Mönch der ein bisschen Englisch kann, und dann noch meinen auf der anderen Seite von Sera wohnenden Tibetischlehrer. Es ist schon ein großer Aufwand für die Tibeter, wenn sie Briefe bekommen die nicht auf Tibetisch sind. Wenn sie jemanden gefunden haben der ihnen sagt was drin steht, denn eine schriftliche Übersetzung würde noch mehr Zeit und Qualifikation erfordern, müssen sie sich den Inhalt merken und dann irgendwann viel später, wenn sie wieder jemanden gefunden haben der sogar Englisch schreiben kann, aus dem Gedächtnis beantworten. Im Internetforum des Tibetischen Zentrums wurden einstmals Verwunderungen geäußert, weshalb die meisten Paten-Mönche auf Briefe nicht oft und wenn nur oberflächlich antworten würden. Die Erklärung ist also nicht nur die wenige freie Zeit, die die Mönche dafür zur Verfügung haben, sondern auch der dafür benötigte Aufwand, der nicht selten 3 Mönchen pro Brief Zeit kostet. Für Brieffreundschaften keine gute Voraussetzung. Für die Chance auf einen regeren Austausch müssten entweder müssten die Briefe daher auf Tibetisch verfasst werden, oder noch ein oder zwei Jahrzehnte abgewartet, bis mehr Mönche in der Schule Englisch gelernt haben.

Zu dem Thema Briefkontakt: es freut mich sehr, dass ich inzwischen noch ein paar Briefe bekommen habe. Ich habe vor die Briefe noch zu beantworten, bitte aber um Geduld. Es kann durchaus eine Weile dauern, bis ich dazu komme, da ich es sorgfältig tun will.

Dienstag (30.06.2009) haben Lhawang, Tsondru und ich, nach einer morgentlichen Tara-Puja für Geshe Pema Samten unseres Hauses, einen heiligen Berg in der Nähe bestiegen; eine Miniatur-Pilgerreise gemacht. Der Weg dorthin dauert ungefähr 2 Stunden, bestehend aus Rickshaw, Bus und Fußweg, und der Aufstieg auch nochmal einige Stunden. Der Berg ist sowohl für Hindus als auch für Buddhisten ein Heiligtum. Diverse hinduistische Tempel und Tempelruinen liegen auf dem Berg verteilt. Den Gipfel darf man nur ohne Schuhe betreten. Für Buddhisten ist er heilig, weil ein großer Buddhistischer Meister dort meditiert und seine Schüler unterrichtet hat. Da leider keiner von uns ortskundig war, konnten wir die Meditationshöhle zwar nicht finden, hatten aber trotzdem eine schöne Zeit. Auf dem Gipfel liegt einer der alten Hindutempel und nachdem wir ihn umrundet hatten setzten wir uns und führten eine spontane Lama Chöpa durch und rezitierten den Lobpreis an die 21. Taras und das Herzsutra auf Tibetisch. Um den Berg herum gewitterte es und in der weiten Ferne konnte man zwei sehr helle, silbern aus dem Regen heraus leuchtende Punkte sehen: die goldenen Dächer der Haupttempel vom Kloster Sera.
Als wir den Abstieg begannen verschwand das Gewitter um den Berg herum wieder, so dass wir den ganzen Tag ein ziemliches Glück mit dem Wetter hatten.

Lhawang on the mountain Tsondru, Lhawang and Khedrub after Puja on the mountaintop Tsondru, Lhawang, Khedrub after spontaneous mountaintop puja Lhawang, Tsondru, Khedrub at mountaintop temple

Bereits am Dienstag vor zwei Wochen wollten Lhawang und ich eigentlich zu diesem Berg pilgern, es kam aber derzeit ein Festessen dazwischen, welches unserem Haus gesponsert wurde, an dem er sehr gerne teilnehmen wollte. Um zur Freude des Tages beitragen hatte ich die Idee, den Mönchen meines Hauses Eis zu kaufen. Einige Tage zuvor hatte ich nämlich zufällig, als ich mit Lhawang in Kushalnagar war, entdeckt, dass es dort an manchen Läden Eis am Stiel zu kaufen gibt, und Lhawang, als ich ihm eins kaufte, von diesem ziemlich begeistert war. Also fuhr ich mit Lhawang nach Kushalnagar und kaufte für die an diesem Tag 65 anwesenden Mönche 85 Eis am Stiel, von mehreren verschiedenen Läden, da niemand so viele vorrätig hatte. Ich kaufte absichtlich zu viele, damit manche bei Bedarf auch zwei essen konnten. Diese Rechnung ging auf, denn als wir wieder im Kloster ankamen und ich das Eis nach dem Essen reihum verteilte, konnten alle die wollten zwei Stück haben und es waren noch welche übrig um den Kindern sogar drei zu geben. Besonders die Kinder und die alt ehrwürdigen Geshes haben sich ganz besonders sichtlich gefreut. Obwohl ich versucht habe das beste und teuerste Eis zu kaufen, das ich finden konnte, kostete das gesamte Eis nur knapp 20 Euro, die sich als sehr lohnende Investition herausstellten. Diese Art von Luxus ist sehr ungewöhnlich hier.

An dem darauf folgendem Dienstag ging ich Nachmittag zum IMI-Haus, also dem Haus wo die restlichen Injis („Engländer“ - also für die Tibeter alle Westler) leben, jedenfalls fast alle, und wir hatten Tee und Kekse und super Gespräche, vor allem über die tibetische Sprache und das Zusammenleben mit den Tibetern. Es ist immer wieder sehr erfrischend für mich die Erfahrungen der anderen, als sie die Sprache selbst noch neu lernten, mit meinen eigenen zu vergleichen und daraus meine Lehren zu ziehen. Zusätzlich bekomme ich ganz konkrete Vorschläge, beispielsweise welche Vokabeln zwar in den Büchern stehen aber nie verwendet werden und anders herum.
Danach gingen Tsondru und ich spazieren – mein Haus und das IMI-Haus sind sehr nahe der, ja bilden fast die, Grenze von Sera – zu den nahen Hügeln außerhalb des Klosters, auf der Seite auf der ich noch nie spazieren war. Eine sehr schöne Landschaft. Der Weg führte uns an dem Stein vorbei, auf dem die toten Mönche verbrannt werden. Sehr interessant zu sehen, aber der Geruch war etwas aufdringlich dort. Irgendwo setzten wir uns dann hin, auf einem wiesigen Abhang mit grandioser Aussicht und einem frischen Wind, der von dem ca. 100 Kilometer entfernten Ozean herüber getragen wurde. Bei der starken Nachmittagsonne, unterbrochen von gelegentlichem Nieselregen, war die Mischung sehr angenehm, und um die Atmosphäre zu perfektionieren führten wir angeregte Gespräche über den Dharma.

Derzeit versuche ich intensiv Konversation zu trainieren und das klappt auch schon ziemlich gut oder sogar sehr gut, wenn mein Gesprächspartner sich Mühe gibt von mir verstanden zu werden und möglichst dialektfrei spricht.
Eines Abends ging ich mit Thu-tob, einem Mönch meines Hauses, einen Tee trinken, in einem Restaurant das so versteckt gelegen ist, dass ich es in dem halben Jahr, das ich schon hier bin, noch nie entdeckt habe. Es wird, welch' Ironie, von meinem Zimmernachbarn betrieben. Dort hatten wir zu siebt eine vielschichtige lange Unterhaltung, selbstverständlich vollständig auf Tibetisch, und es ging wirklich flüssig. Natürlich mache ich diverse Grammatikfehler, vor allem beim schnelleren Reden, aber ich kann mich ausdrücken, werde verstanden und verstehe. Nicht jedes Wort, aber genug um zusammen mit dem Kontext folgen und passend antworten zu können. Vor allem aber lerne ich endlich neues Vokabular hinzu durch die bloße Unterhaltung. Es ist ein großer Spaß Zeit mit meinen tibetischen Brüdern zu verbringen und schon dadurch Neues zu lernen und Gelerntes zu üben. Ein Höhepunkt für mich war aber, als dann auch noch der, in dem Restaurant beheimatete Kater kam, und Schnur stracks auf mich zu ging und zu schmusen anfing. Die anderen, die sich schwer um seine Aufmerksamkeit bemühten, ignorierte er, und verbrachte 1 Stunde auf meinem Schoss, bis wir wieder Heim gingen. Es war sehr schön für mich alten Katzen-Narren mal wieder so angeschnurrt zu werden. Der Kater heißt angeblich Lhamo, auch wenn ihm der Name, wie mir scheint, spontan im Scherz gegeben wurde. Seltsam: er ist 16 Jahre alt und trotzdem wenig größer als normale europäische Katzenbabys und sieht auch noch total jung aus. Ich hätte ihn auf 1 Jahr geschätzt, niemals auf 16. Alle Katzen hier sind sehr klein, was wohl mit den Lebensbedingungen zu tun hat. Menschen wurden ja in der Geschichte auch nur größer wenn es genügend und gutes Essen gab.
Wenn ich hier im Haus spontan mal keinen Gesprächs(übungs)partner finde, gehe ich seit dem Abend oft in dieses Restaurant, denn dort finde ich nicht nur fast garantiert jemanden der Zeit hat zu reden, sondern auch noch den zahnlosen Lhamo.

Samstag, 6. Juni 2009

Saka Dawa und ein typischer Tagesablauf

Liebe Freunde, Leser, Praktizierende und Interessierte

Heute erhielt ich bereits den dritten Brief, der mir von Leser(innen) dieses Weblogs geschrieben wurde. Viele lieben Dank dafür an alle, die sich diese Mühe machen. Ich freue mich darüber außerordentlich. Auch wenn ich noch keine Gelegenheit hatte die Absender persönlich kennen zu lernen, mindert das meine Freude über die Briefe nicht im Geringsten!

In einem der Briefe wurde ich gebeten den Tagesablauf der Mönche aufzuschreiben, und da dies sicher auch andere interessieren wird, tue ich dies hier.
Der Tagesablauf ist immer etwas unterschiedlich, die genauen Zeiten für den Vormittag erfahren wir am vorhergehenden Abend, den für den Nachmittag am Vormittag, und so weiter. Nicht selten finden beispielsweise Pujas statt, anstelle der hier beschriebenen Aktivitäten. Aber er sieht exemplarisch wie folgt aus.
Um 5:30 Uhr findet die morgendliche Puja im Sera Jey Tempel statt. Dort gibt es auch Frühstück, aus Buttertee und etwas Brot bestehend. Das Brot ist eine runde, flache Scheibe aus recht schlichtem Teig. Darauf klebt oft ein Stückchen Marmelade und ein Stückchen Erdnussbutter, beides wird mit den Fingern auf der Scheibe verteilt.
Meist geht die morgendliche Puja bis 6:30 Uhr oder 7 Uhr. Danach kehren alle auf ihre Zimmer zurück und fegen, erfüllen die jeweiligen Verpflichtungen und Gebete. Schon bald darauf hört und sieht man die ersten Mönche im Garten und auf den Fluren auf und ab gehen und Texte vor sich her rufen, um sie auswendig zu lernen oder im Geist weiter zu festigen.
Um 8 oder 9 Uhr gehen die jüngeren Mönche zur Schule und für die anderen beginnt um 9 Uhr die Debatte auf dem Debattierhof. Bis um 11 Uhr wird debattiert, unterbrochen von gemeinsamen Rezitationen wie dem Lobpreis an die 21 Taras. Um 11 Uhr gehen alle direkt vom Debattierhof in den Tempel und setzen sich brav, nach Klassenzugehörigkeit sortiert in die Reihen. Diese sind so angeordnet, dass sich die Mönche gegenüber sitzen, nicht wie im Westen oft üblich gemeinsam in Richtung des Altars. Der Disziplinar und seine Helfer wählen dann eine Reihe von jüngeren Mönchen mit einer schnellen Handbewegung aus, die nun aufspringt und aus dem Gebäude stürmt, um von draußen die Eimer mit dem Essen zu holen. Zum Mittagessen gibt es immer abwechselnd Daal mit Reis oder Daal mit Brot. Die Austeilung des Essens ist sehr gut koordiniert und dauert insgesamt nicht länger als 4 Minuten für mehrere tausend Mönche. Währenddessen wird gemeinsam rezitiert. Wir haben ungefähr 5 Minuten zum Essen und dann drängen, nach einer weiteren sehr kurzen Rezitation, alle Mönche so schnell wie möglich wieder raus und zu ihren Häusern. Gegen 11:20 Uhr sind auch wir, die am anderen Ende des Klosters leben, an unserem Haus No. 17 angekommen und verbringen meist noch eine viertel bis halbe Stunde in kleinen zufälligen Gruppen miteinander zum Reden, bevor alle auf ihre Zimmer gehen und der großen Hitze mit einem Mittagsschlaf zu entgehen versuchen.
Wann die Mönche wieder zum Leben erwachen ist sehr individuell, aber ab 14 Uhr hört man schon hier und da wieder Mönche Texte rezitieren, sieht sie im Garten ihre Wäsche waschen oder auch still in ihren Zimmern lesen. Gegen 15 Uhr gehen die Mönche entweder zur Puja oder zum Text-Unterricht. Um 17 Uhr gibt es wieder Essen nach obigem Schema und um 18 Uhr beginnt erneut die Debatte. Ob die Mönche um 21 Uhr schon wieder zurück kommen, um in ihren Zimmern weiter zu studieren, oder bis in späteste Nacht weiter debattieren, bleibt ihnen selbst überlassen. Ab 22 Uhr gehen die Mönche, die bereits von der Debatte zurückgekehrt sind, wieder die Flure und den Garten auf und ab und rufen so laut sie können Texte vor sich her zum Auswendiglernen. Zwischen 0 und 2 Uhr Nachts verklingen die letzten Stimmen.

Den ganzen aktuellen Monat des tibetischen Kalenders haben wir Saka Dawa, aber speziell morgen (07.06.2009) ist der 15. des tibetischen Monats und daher der eigentliche Feiertag. An diesem Tag finden besonders viele Pujas statt, also mehr als diesen Monat eh schon. Besonders schön finde ich, dass dieser Tag (wie immer) mit Sojong zusammen fällt. Nicht nur weil das Sojong-Ritual sehr inspirierend ist für uns Mönche, sondern auch weil wir dann diesen kraftvollen Feiertag, an dem angesammelte Karmas um vieles verstärkt sein sollen, mit frisch bereinigten Gelübden beginnen können. Aber auch so schon ist Sojong zu haben ein Anlass zur Freude an sich. Für Mönche und Nonnen ist es ein sehr zentrales, alle 2 Wochen stattfindendes gemeinsames Ritual, das direkt auf den Buddha zurück geht und während dessen die Anwesenheit der Buddhas und Bodhisattvas ganz besonders stark zu spüren ist.

Schon seit ich hier bin gebe ich immer mal wieder informelle Englisch-stunden für Lhawang, hauptsächlich das Erlernen der Buchstaben und der Aussprache von einfachen Worten, und im Gegenzug gibt er mir jetzt, wenn ich ihn daran oft genug erinnere, dann aber sehr motiviert, Unterricht in der Benutzung der rituellen Instrumente, Mudras und so weiter. Da er der Umze (Vorsänger) unserer Hausgruppe ist, eignet er sich dafür in höchstem Maße.

An den Dienstagabenden hat sich inzwischen der Brauch etabliert, dass ich mit Lhawang und anderen Mönchen lange Spaziergänge mache. Wir unterhalten uns dabei über alle möglichen Themen, ausschließlich auf Tibetisch, und inzwischen klappt das auch ganz gut, da sich sowohl Lhawang als auch die anderen mit denen wir bisher gegangen sind, sich die Mühe gemacht haben einigermaßen dialektfrei und deutlich zu sprechen und unbekannte Worte zu wiederholen und auf Nachfrage zu erklären. Dadurch können wir bei den Themen dann auch die Tiefe gehen. Es ist ein sehr schönes Gefühl, wenn solche vollständigen Konversation funktionieren. Einer der Mönche der kürzlich mit anderen Europa und auch ausführlich das Tibetische Zentrum besucht hat, erzählte mir bei einem solchen Spaziergang wie schön er Hamburg bzw. Deutschland fand, wie viel schöner vor allem als Frankreich, und wie begeistert er von den Praktizierenden gewesen sei. So viele Laien, die ernsthaft den Dharma studieren und ihn tiefgründig verstehen. Damit meinte er nicht ein tiefes Verständnis der Philosophie, sondern des Lamrims. Anderen Orts werde von der Masse der Buddhisten einfach akzeptiert und oft unverstanden versucht zu praktizieren, aber besonders in Deutschland beruhe bei den Laien die Praxis auf echtem Verständnis. Davon war er sehr beeindruckt.
Er selbst macht nächstes Jahr seinen Abschluss zum Geshe.

Das Wetter ist immer noch sehr viel regnerischer als sonst um diese Jahreszeit, sagt man mir. Es regnet und stürmt alle paar Tage ziemlich stark, dabei ist noch kein Monsun. Ich genieße das Wetter, vor allem die spektakulären Gewitter. Fast ohne Donner, nur ein fortwährendes Grollen über den Wolken. Diese leuchten in verschiedenen Tönen von orange bis lila. Dann circa alle 20 Sekunden ein Blitz, immer aus einer anderen Himmelsrichtung, der die gesamte Wolkendecke von innen illuminiert. Manchmal ganz ohne Regen, manchmal leichter Niesel, oft aber mit einem schnellen Sturm der die dicken Wassertropfen gegen alle Seiten wirft.
An Tagen an denen wir Strom haben, beschränkt dieser sich auf den Mittag und die Nacht. Neulich am Abend, als so ein Gewittersturm tobte und wir keinen Strom hatten, hatte ich den ganzen Tag keine Gelegenheit gehabt etwas zu essen und mir deshalb in der kleinen Küche bei Kerzenschein auf der Gasflamme Instant-Nudeln gekocht. Eine Atmosphäre in die ich nur zu gerne eintauche. Da während eines solchen Wetters das Land noch intensiver riecht, werden wirklich alle Sinne gleichzeitig stimuliert.
Der Geruch Indiens im Allgemeinen ist zwar durchaus nicht nur angenehm, denn die Noten von Verwesung und Fäkalien sind mindestens als Untertöne allgegenwärtig, dennoch riecht das Land für mich sehr lebendig. Es fällt leicht beliebige positive Attribute wie Ursprünglichkeit oder Abenteuer hinein zu projizieren.
An vielen Abenden kommen zu all dem noch das schnelle rhythmische Trommeln oder typisch indische Gesänge hinzu, die von der kleinen Hindu-Siedlung aus durch mein Fenster tönen, ziemlich laut aber angenehm. Sie feiern oft und lange. Neulich fingen sie an einem Mittag an und hörten für 2 Tage nicht wieder auf, auch in den Nächten nicht. Egal wie spät/früh, wurden sie nicht mal leiser. Eine unglaubliche Energie, die die Hindus dort beim Feiern aufzubringen scheinen.

Vor anderthalb Wochen war ein besonderer Tag im Kloster, denn die besten Mönche des 5. Studienjahres bekamen Auszeichnungen und natürlich ist einer davon auch in unserem Haus. Der Tehor-Kangtsen ist für seine Strenge und Disziplin, aber auch für seine exzellenten Studenten bekannt. Hier wurde am Vormittag groß Hausputz gemacht und dann alles geschmückt und glückverheißende Symbole auf den Boden gezeichnet mit Kreide. Dann kamen von mittags bis abends Mönche von überall her aus dem Kloster und überreichten dem ausgezeichneten Mönch weiße Seidenschals mit Geldumschlägen. Meiner Schätzung nach kamen um die tausend Gratulanten. Diesen wurden dann auch Getränke und Gebäck gereicht. Da sie über den Tag verteilt kamen, mussten die Mönche meines Hauses dort Ewigkeiten stehen und diese Dinge reichen, aber es schien allen einen großen Spaß zu machen. Die Übergabe fand im Vorzimmer zu dem Zimmer von Geshe Pema Samten statt, weil es der schönste Raum unseres Hauses ist. Darin lag bereits als ich kam um mein Geschenk zu übergeben, ein mindestens 1,5 Meter hoher Berg an Seidenschals, der immer wieder von der anderen Seite abgetragen wurde, wo die Schals raus gebracht wurden und im Flur über eine Leine gehängt. Allgemein eine sehr schöne und freudige Atmosphäre und sicher für alle sehr motivierend. Es wurde zur Feier des Tages von unserem Haus aus Essen für unsere Mönche gekocht zum Mittag und Nachmittag, wobei am Mittag jeder sich sein Essen abholen konnte und am Nachmittag von Tür zu Tür gegangen wurde um das Essen auszuteilen. Die Essensausgabe fand aus den leeren Farbeimern heraus statt, die wir normalerweise zum Wäschewaschen verwenden. Auf die Idee den Daal darin auszuteilen wäre ich nicht gekommen.

Letzten Sonntag setzte ich mich zum Rezitieren aufs Dach, in den Schatten, wo zumindest ein leichter Wind zu spüren war, der die Hitze erträglicher machte. Als ich so rezitierte, setzte sich ein ziemlich lustig aussehender Schmetterling auf mein Knie. Erst wollte ich ihn sanft abschütteln, aber dann fiel mir ein, dass es eine viel bessere Idee wäre, ihn dort sitzen und mir beim Rezitieren zuhören zu lassen und so heilsame Eindrücke in seinen Geist zu setzen und einen Samen für eine enge Beziehung mit ihm in der Zukunft zu legen. Also rezitierte ich weiter und er saß ganz ruhig und bewegte sich nicht mal, wenn ich mich etwas bewegte und er dadurch auf den Falten meiner Robe hin und her geschaukelt wurde. Nach über einer halben Stunde, in der er freiwillig oder nicht dem Dharma zugehört hatte, flog er weiter.

Sonntag, 17. Mai 2009

Ein Tropfen der sprudelnden Fontäne

Meine Teilnahme an der Chödra, der Debatte, habe ich erstmal noch verschoben, weil ich merkte, dass alleine die Vorbereitungen auf die Debattiersitzungen all meine Zeit so weit konsumierten, dass keine Zeit mehr für das Erlernen der Umgangssprache übrig blieb. Wenn meine Sprachkenntnisse ausgeweiteter sind hingegen werde ich vermutlich auch mit wesentlich weniger Vorbereitungen teilnehmen und davon profitieren können.

Vor 2 Wochen wurde ich von einem kleinen Tier gebissen (oder gestochen), welches für mich wie ein kleiner Skorpion aussah, der auf meinem Unterarm saß. Ich sah ihn erst, als er schon dabei war mir sein Gift zu injizieren, weil mich der stechende Schmerz erschrak. Die betreffende Stelle wurde schnell recht rot und schmerzte ungewöhnlich stark. Im Laufe der nächsten Tage schwoll mein Arm auf doppelten Umfang und tat
stark weh, jedoch gerade als alle Ärzte geschlossen hatten. Nach einer Woche ließen Schmerz und Schwellung aber schon wieder ab und inzwischen ist der Arm, einige Zentimeter um die Stelle herum, nur noch leicht verfärbt.

Letzten Dienstag kam Tsondru rüber zu mir und wir haben erst zusammen Nudeln gekocht, für die ich vorher in Kushalnagar die Zutaten eingekauft hatte. Ich bekam sogar Tomatenmark und Tsondru, der geübte Koch, schaffte es daraus eine ziemlich originale italienische Soße zu basteln, da er all die entsprechenden Gewürze bei sich auf Vorrat hat. Es war ziemlich nett mal wieder nicht-indisches Essen zu essen, bzw. heimisches. Danach gingen wir lange spazieren; wir wanderten zu und auf einen nahen Berg. Die indische Landschaft ist wirklich beeindruckend. Ich machte viele Photos, doch leider merkte ich schon während des photographierens, dass sich diese monumentalen Schluchten, Berge, Jungel und Gewässer nicht vernünftig einfangen lassen, jedenfalls nicht von mir mit meiner Digitalkamera. Während das menschliche Auge diese strahlenden, bunten Farben problemlos aufnimmt, sehen die Photos fad und vergleichsweise farblos, sogar dunkel (trotz heftiger Sonne) aus. Auch sieht das Auge
noch in weiter Ferne die anderen Berge in den Himmel ragen, während die Kamera den Horizont zu einem einzigen Brei vermischt als läge das Land im Nebel.

Auf den Berg hinauf führte ein offenbar uralter Steinweg, den ich versucht bin Treppe zu nennen, aber befürchte damit falsche Assoziationen hervorzurufen, denn es sah beinahe nicht von Menschen gemacht aus, sondern eher wie zufällige aus dem Boden ragende Steine die zufällig das Bergsteigen erleichterten. Zwischen den Steinen waren
diverse Schlangen, auf die wir mehrfach beinahe getreten wären, dank ihrer guten Tarnung, was für uns vermutlich sehr schlimm ausgegangen wäre, da sie giftig und wir nur in Sandalen unterwegs waren. Oben auf dem Berg war ein alter verlassener Hindu-Tempel und darüber am Gipfel tibetische Gebetsfahnen. Die Aussicht war spektakulär und wir verweilten etwas.



Der Weg zum Berg und zurück führte uns durch ein kleines indisches Dorf wie es ärmlicher nicht sein könnte. Es gab Stroh- und einfache Steinhütten, von denen kaum eine die Größe meines Zimmers erreichte. Türen waren nicht vorhanden, so sah man schnell, dass diese Hütten allesamt vollständig leer waren, keinerlei Einrichtung, nur der Erdboden, dafür aber bewohnt von Familien mit etlichen Kindern. Wirklich
unglücklich wirkten sie aber nicht. Das Dorf besaß sogar ein Gebäude, wieder nur vier Wände mit Dach, das wir als Schule identifizierten. Auf dem Rückweg musizierten einige der Bewohner gerade und es schien allgemein eine leichte Feierstimmung aufzukommen.


Sobald die Sonne nicht mehr so extrem auf das Kloster herunter brennt, findet man viele der Mönche auf den Dächern sitzen. Dort weht eine leichte, kühlere Briese und man kann sich entweder miteinander unterhalten oder Texte rezitieren/auswendig lernen. Sogar auf den Dächern der Restaurants und kleinen Einkaufsläden des Klosters sitzen dann oft Mönche. Es ist sehr schön, auch wenn für mich zur Zeit noch fast jedes Gespräch den Charakter einer Unterrichtsstunde annimmt, weil ich doch häufig bitten muss Worte zu wiederholen oder mir dieses oder jenes Wort zu erklären. Lustiger Weise erfahre ich dann meist am nächsten Tag beim richtigen Tibetischunterricht mit meinem Lehrer, dass die Worte und sogar die Grammatik oft doch stark vom Dialekt der Kham-Region geprägt ist und lerne dann wie es "richtig" heißt. Mit richtig meine ich hier eine Variante, die möglichst viele Tibeter verstehen werden wenn ich sie benutze und nicht nur die Khampas. Vor einigen Tagen schlug ich meinem Tibetischlehrer einen Wechsel in der Art des Unterrichts vor. Ich fand es war ein Punkt erreicht, an dem es hilfreicher wäre mehr miteinander Konversation zu üben, anstatt gemeinsam durch das Grammatikbuch zu gehen, wo dies doch einfach genug ist um auch größtenteils von mir alleine bearbeitet zu werden, was ich zur Vorbereitung eh schon immer getan habe. Erst schien er skeptisch,
denn er scheint es zu mögen mir Fragen zur tibetischen Grammatik zu beantworten, aber ich glaube sein häufiges Loben meiner Fortschritte zeigte dann schließlich seine Zustimmung zu dieser Methode. Idealer Weise wird sich eine Mischung aus Grammatikfragen und praktischen Übungen einpegeln.

Ebenfalls zum Thema Hör-Verstehen: seit kurzem habe ich einen großen Inspirationsschub in meiner Yamantaka-Praxis bekommen und höre/lese auch vermehrt Kommentare zu der Praxis, und mir fiel sehr positiv auf, dass ich doch schon recht viel verstehe, wenn ich mir die Aufnahmen der Geshes anhöre. Ich brauche natürlich trotzdem noch die Übersetzung, aber die unerwartete Feststellung dieses Fortschrittes freute mich dennoch.

Die tibetischen Mönche haben tagsüber Teppiche auf ihren Betten, in der Art einer Tagesdecke. Dies hat, wie ich finde, nicht nur einen optisch ansprechenden Effekt auf den Raum, sondern macht auch einen psychologischen Unterschied, indem es den Raum von einem Schlafzimmer in einen Raum verwandelt, der hauptsächlich auch Studierzimmer ist. Dazu sei angemerkt, dass Stühle und (hohe) Tische hier äußerst unüblich sind, weshalb die Betten ziemlich viele Funktionen erfüllen müssen. Man sitzt dort mit anderen zusammen zum Tee oder zum Lesen, zum Meditieren oder auch Studieren. Da diese Teppiche lediglich (umgerechnet) 10€ kosten, habe ich mir ebenfalls einen gekauft. Es hilft tatsächlich.
Mein nächstes Raumgestaltungsprojekt, um diesen noch praxistauglicher zu machen, ist die Organisation von großen Abbildungen von Geshe Pema Samten, Tsongkhapa und Yamantaka. Um mir entsprechende Thangkas leisten zu können muss ich wohl eine ziemlich lange Zeit sparen, deshalb werde ich zunächst Versuchen große Ausrucke anfertigen zu lassen. Aber auch dafür muss ich erst entsprechendes, ausdruckbares Bildmaterial auftreiben.

Auf den ersten Blick ist hier in Sera für einen Westler ja vieles anders als vielleicht erwartet, besonders was das nicht sehr achtsam oder ruhig wirkende Verhalten der meisten Mönche betrifft. Zwar ließe sich auch darüber vieles zur Rechtfertigung oder zur Ergänzung des Bildes sagen, denn auch all die "wilden" Mönche besitzen zumeist außerordentliche Qualitäten, die über das Offensichtliche hinaus gehen, worauf ich jedoch hier hinaus will, ist die große Inspiriation, die mir
jene heiligen Meister sind, die hier ganz offensichtlich und dennoch unscheinbar ihre segensreichen Aktivitäten vollbringen. Es versetzt mir noch immer kalte Schauer beim Gedanken daran am gleichen Ort sein zu können, der von diesen manifesten Buddhas und Bodhisattvas durch ihre Anwesenheit und ihre Belehrungen gesegnet wurde/wird. Es ist mir schier unbegreiflich wie viel positives Potential stetig an diesem Ort angesammelt wird. Eine unaufhörlich sprudelnde Fontäne des Heilsamen,
von der ich mich sehr glücklich schätzen kann, wenn ich auch nur einen Tropfen dazu beitragen kann.


Gerade als ich diesen Eintrag abschicken wollte, klopfte es an meine Tür und mir wurde mitgeteilt, dass jetzt sofort eine Puja stattfindet. Um 21:30 Uhr hatte ich damit heute nicht gerechnet und machte mich sofort auf den Weg. Sie fand hier im Tempel in unserem Garten statt, aber es kamen Mönche von überall, wir waren schließlich mehrere hundert, von denen bestimmt 70% nicht im Tempel Platz fanden, sondern sich in mehreren Reihen um diesen herum setzten. Der Anlass war der Todestag
eines vor über 13 Jahren verstorbenen hohen Lehreres des Hauses. Es war wirklich wunderschön, mit einem kleinen Meer aus Butterlampen in der Dunkelheit. Viele Lehrer hatten Geld gespendet, so dass alle Mönche haufenweise Geldscheine und Süßigkeiten ausgeteilt bekamen, insgesamt mehrere Euro pro Person. Die Atmosphäre war sehr ruhig und dem Anlass gewidmet und dennoch heiter. Sämtliche Fenster des Tempels waren offen, so dass eigentlich doch alle zusammen saßen und rezitierten. Die Puja dauerte bis kurz vor Mitternacht, als alle gut gelaunt auseinanderströmten.

Mittwoch, 29. April 2009

Sönam Wangden und anderes

Spielen am freien Tag
Das Wetter spielt immernoch verrückt, in dem es viel zu oft für diese Jahreszeit regnet und stürmt, was ich aber durch die leichte, dadurch entstehende Abkühlung, recht genieße.
Auf diesem Photo sieht man eine der Lieblingsaktivitäten vieler Mönche an ihrem einzigen freien Tag in der Woche, dem Dienstag. Die Mönche spielen sich am Nachmittag gemeinsam im Kreis stehend, abwechselnd mit den Füßen ein Drahtknäuel zu.

Vor ungefähr 2 Monaten bat mich Sönam Wangden, mein Tibetischlehrer, ihm die deutsche Aussprache beizubringen, weil er für sein zweites Buch über die Tibetische Sprache gerne einige Vergleiche zu anderen Sprachen heranziehen möchte, und für das Benutzen des deutschen Grammatikbuches das Wissen um die Aussprache nützlich fände. Die Aussprache konnte er nach einer halben Stunde akzentfrei, also brachte ich ihm einige Sätze und dann die Grundlagen der Grammatik bei, immer mal wieder hier und da ein paar Minuten, und da er alles was er einmal gehört hat sofort behalten kann, ist er inzwischen schon in der Lage selbstständig vollständige und korrekte Sätze zu bilden. Natürlich ist das Vokabular noch begrenzt, aber bei seiner Lerngeschwindigkeit dürfte er schon bald den Deutschen Konkurrenz machen. Dies beeindruckt mich nicht nur, weil er ein Tibeter ist, und die Tibeter normalerweise nicht so sehr erfolgreich im Lernen anderer Sprachen zu sein scheinen, sondern vor allem, weil er dies ohne jeglichen Aufwand erreicht, denn er verbringt, bis auf die wenige Zeit in der ich ihm etwas erkläre, keine Zeit mit Üben oder Lernen dieser Sprache, sondern lehrt und lernt die restliche Zeit die Buddhistische Philosophie, wie man es fleißiger nicht tun kann und hat darüber hinaus noch andere Verantwortlichkeiten. Sehr beeindruckend.

Für mich ist schon seit meiner Ankunft hier im Januar die Abgeschiedenheit dieses Klosters sehr zu gute gekommen. Es ist keineswegs ruhig, im Gegenteil lärmt es ständig und scheinbar überall in Indien, und auch andere Faktoren des Lebens mit den Tibetern eignen sich zur Irritation meines Geistes. In diesem Sinne ist es weniger abgeschieden als beispielsweise mein vorheriges Kloster, Nalanda, in Südfrankreich. Die Abgeschiedenheit, die ich hier finde, liegt auf einer anderen Ebene. Beispielsweise bekomme ich hier von alleine nichts mit vom Rest der Welt und den Nachrichten. Ich schreibe absichtlich "von alleine", weil ich selektiv, wann immer ich es möchte, mir natürlich Zugang zu Informationen beschaffen kann, und das tue ich auch 1 bis 3 mal die Woche. Ich kann meine Aufmerksamkeit also dem Weltgeschehen widmen wenn ich möchte, werde aber ansonsten vollkommen davon ungestört gelassen. Ein anderer wichtiger Punkt ist, immer nur von tausenden von Mönchen umgeben zu sein, mit Ausnahme einiger hier arbeitender Inder oder sehr sehr seltener Besucher. Dies ist effektvoll, da die anderen Mönche mich einerseits einer von vielen sein lassen, anstatt, wie im Westen, immer heraus zu stechen, und die Mönche generell in einem sehr anderen, sehr viel heilsameren Geisteszustand verweilen. All dies, und noch viel mehr, lässt auch meinen Geist in ungekannten Tiefen der Ruhe ankommen und ihn konzentriert, entspannt und gefügig werden.

In den letzten Wochen wurden hier viele Pujas und Gebete speziell auf Wunsch und für Seine Heiligkeit den Dalai Lama abgehalten. Dies führte zu weniger Schlaf unsererseits und einigen Ausfällen von anderen Aktivitäten, wie auch meines Tibetischunterrichts. Aber in einem Meer aus rot gekleideten Mönchen zu sitzen und gemeinsam ein Bewusstsein für das Wohlbefinden anderer Lebewesen zu entwickeln und gleichzeitig den Wunsch Seiner Heiligkeit zu erfüllen, ist diese Einschränkungen allemal wert.

Vor einigen Tagen rief mich, wiedermal vollkommen unerwartet, Geshe Pema Samten an. Mein Verständnis der tibetischen Sprache ist am Telefon nochmal um einiges schwächer als bei Blickkontakt und zusätzlich spricht Geshe Pema Samten einen starken Dialekt, so dass ich leider wenig verstehen konnte und wir bald auf eine Übersetzerin ausweichen mussten.
Das Telefonat war dennoch sehr inspirierend, denn er zeigte, wie schon zuvor, große Fähigkeiten im augenblicklichen Durchleuchten meines Geistes, wenn nicht sogar des Gedankenlesens, und sagte genau die richtigen Dinge, von denen ich selbst erst nachher begriff, wie hilfreich sie eigentlich waren. Er motivierte mich sehr und nahm einigen selbst auferlegten Erfolgsdruck von meinen Schultern und löste nebenbei noch einige kleinere Probleme, die gerade erst dabei waren zu entstehen.
Er zeigte und sagte mir auch nochmal, dass er, als mein Lehrer, für mich Sorge trägt und tragen wird und mich schützt, auf weltlicher und spiritueller oder psychologischer Ebene. Diese erneute Bestätigung, dass er tatsächlich und ganz leibhaftig bei mir ist, wie weit entfernt ich auch leben möge, ist von unschätzbarem Wert für mich. Es ist viel mehr als nur die Bestätigung, meine tiefe Verbundenheit ihm gegenüber, als sein Schüler, zu erwidern.

Mein Tibetischlehrer und Tsondrü, ein anderer Deutscher Mönch der hier seit über einem Jahr lebt und studiert und noch ein wenig jünger ist als ich, sind der Ansicht es wäre sehr nutzbringend schon sehr bald, am besten sofort, mit der Philosophischen Debatte (Chödra) zu beginnen.
Diese ist das wichtigste Lehrmittel im Studium und nimmt einen ausgesprochen hervorstehenden Platz im Tagesablauf der Mönche ein, weil gesagt wird, dass bei weitem der größte Teil des Verständnisses durch die Chödra entsteht. Es gibt jeden Tag viele Stunden der Debatte, aber vor allem in höheren Klassen nur 1 Stunde Unterricht alle paar Tage. Die Debatte ist übrigens nicht so passiv wie sie für einen westlichen Leser erscheinen mag: es sind Zweiergruppen aus Angreifer und Verteidiger (einer Lehrmeinung), die sich ein äußerst schnelles und komplexes Wortgefecht liefern, welches aus wohldefinierten Frage- und Antwortmöglichkeiten besteht, bei dem man sehr schnell in logische Sackgassen laufen kann und so sein Verständnis überprüft und erweitert.
An der Chödra teilzunehmen bedeutet für mich den letzten Schritt zu vollziehen wirklich dazu zu gehören, denn bisher lebe ich mit den anderen Mönchen zusammen, aber bei ihrer hauptsächlichen Aktivität nehme ich nicht teil. Dennoch ist ein gewisses Maß an Nervosität vorhanden, da ich weder das Vokabular der Debatte vollständig beherrsche, noch die entsprechenden Texte auswendig gelernt habe oder auch nur die Umgangssprache schon gut genug beherrschen würde um im Notfall Missverständnisse aufzudecken. Zumindest die ersten beiden Punkte werde ich hoffentlich vor meinem ersten Tag in der Chödra noch beseitigen können.

Montag, 20. April 2009

Liebe Freunde,

seit dem 21.12.2007 bin ich buddhistischer Mönch und studiere, nachdem ich ein Jahr im Kloster Nalanda in Südfrankreich gelebt und gelernt habe, inzwischen in der Klosteruniversität Sera Jey in Südindien, im Herzen der Gelugpa Tradition, die Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama folgt.

Das Eingangstor zu diesem Weg war für mich das Tibetische Zentrum in Hamburg, welchem ich mich stetig eng verbunden fühle, auch wenn ich bisher meist in weit entfernten Klöstern lebe. Dem Zentrum, den Lehrern und den Mitgliedern dort verdanke ich es hier sein zu können, indem ich vom dort residierenden Ehrwürdigen Geshe Pema Samten, meinem Lehrer, spirituelle Führung und von dem Verein finanzielle Förderung bekomme.

Sera ist eine der drei großen tibetischen Exil-Klosteruniversitäten in Indien und der beste Ort ein intensives und authentisch vermitteltes Dharmastudium als Mönch durchzuführen. Nach über 20 Jahren der philosophischen Studien, hauptsächlich aus der Debatte bestehend, kann man hier den Geshe Titel erlangen, oder sogar den höchsten Grad des Lharampa Geshe. Dies zu versuchen ist auch mein Ziel, um später zum Nutzen der Lebewesen selbst den Dharma unterrichten zu können und damit auch den Wünschen meiner gütigen Lehrer zu entsprechen.

Vielen Dank!

Euer Losang Khedrub

Donnerstag, 9. April 2009

Meine ersten 2 Monate in Sera


Seit über zwei Monaten bin ich nun in der Klosteruniversität Sera Jey in Südindien. Da Geshe Pema Samten schon im Voraus meinen Aufenthalt hier vorbereitet hatte, konnte ich von Anfang an in optimalen Bedingungen leben. Die wenigen anderen Westler die hier sind, haben normalerweise anfangs Schwierigkeiten beispielsweise einen Tibetischlehrer zu finden, wohingehen der mich betreuende Lehrer Sönam Wangden ein augezeichneter Lehrer und Meister der Tibetischen Sprache ist, über die er bereits sein zweites Buch schreibt und der ausser mir noch viele andere Schüler hat, sowohl für die Tibetische und die Englische Sprache als auch für die Philosophischen Texte des Geshe-Studienprogrammes.

Das Haus in dem ich Leben darf, welches erst letztes Jahr mit Hilfe der Förderung des Tibetischen Zentrums fertig gestellt wurde, ist sehr schön und verhältnismäßig sehr sauber. Es ist das Haus in dem auch Geshe Pema Samten gelebt und studiert hat hier in Sera und die ca. 70 Mönche dieses Haus sind alle samt sehr liebenswert, bedingunslos hilfbereit, offen, entspannt, fleißig und herzlich. Es ist mir eine große Freude in dieser Hausgruppe zu leben und ich fühle mich sehr warmherzig aufgenommen.
In diesem Haus bin ich der einzige Westler, aber gleich um die Ecke ist das Haus vom IMI (International Mahayana Institute), in dem fast alle anderen Weslter zusammen wohnen. Sogar ein anderer deutscher Mönch lebt dort seit knapp über einem Jahr, der auch äußerst entspannt und beeindruckend gut im Studium ist.

Nach meiner Ankunft hier habe ich all den notwendigen und exzessiven Papierkram mit der Hilfe eines sehr lieben tibetischen Mönches erledigen können und kaum war ich damit nach einigen Wochen fertig, bekam ich die oblogatorische Lebensmittelvergiftung. Eine Woche später kam Seine Heiligkeit der Dalai Lama, zu dessen Besuch ich zum Glück wieder rechtzeitig gesund war, und gab einige Wochen lang Gelong-Ordinationen, Einweihungen und Belehrungen. Kaum war er wieder weg wurde hier eine Woche lang Losar (Tibetisch Neujahr) nachgefeiert. Wenn die Tibeter studieren, dann studieren sie intensiv und beinahe pausenlos, aber wenn sie Feiern, dann ist dies ebenso intensiv.

Jetzt ist das neue Studienjahr wieder losgegangen und alle hier sind sehr fleißig. Ich bekomme täglich Unterricht vom oben bereits erwähnten Sönam Wangden. Zur Zeit gehen wir durch das Grammatikgedicht Leschä Sumchu, welches in der Schule von allen Tibetern auswendig gelernt wird und welches auch ich gerade parallel auswendig lerne.

Das Wetter ist sehr heiß, über 40 Grad, womit ich besser als erwartet klar komme. Eigentlich bevorzuge ich die Kälte, aber diese und andere Schwierigkeiten spielen, vielleicht dank meiner mentalen Vorbereitung auf diese oder weil ich so froh bin überhaupt hier sein zu können und so
gute Bedingungen zu haben, für mich hier keine Rolle. Von März bis Mai sind hier die drei heißesten Monate, danach bin ich gespannt auf den Monsun.

Ich habe vor hier ungefähr alle zwei Wochen einen Eintrag zu hinterlassen.
Alles Liebe,
Losang Khedrub

PS: Wer mir auch schreiben möchte:
Losang Khedrub
Sera Jey Monastic University
House 17, Tehor Khangtsen
P.O. Bylakuppe 571104
Distr. Mysore K.S.
INDIA

Ich freue mich über Eure Post.

Mittwoch, 8. April 2009

ein paar Bilder aus Haus 17, wo ich lebe


...mein Zimmer













und hierlang gehts zum Debattierhof.




















Blick auf den Tempel von Haus Nr. 17