Samstag, 6. Juni 2009

Saka Dawa und ein typischer Tagesablauf

Liebe Freunde, Leser, Praktizierende und Interessierte

Heute erhielt ich bereits den dritten Brief, der mir von Leser(innen) dieses Weblogs geschrieben wurde. Viele lieben Dank dafür an alle, die sich diese Mühe machen. Ich freue mich darüber außerordentlich. Auch wenn ich noch keine Gelegenheit hatte die Absender persönlich kennen zu lernen, mindert das meine Freude über die Briefe nicht im Geringsten!

In einem der Briefe wurde ich gebeten den Tagesablauf der Mönche aufzuschreiben, und da dies sicher auch andere interessieren wird, tue ich dies hier.
Der Tagesablauf ist immer etwas unterschiedlich, die genauen Zeiten für den Vormittag erfahren wir am vorhergehenden Abend, den für den Nachmittag am Vormittag, und so weiter. Nicht selten finden beispielsweise Pujas statt, anstelle der hier beschriebenen Aktivitäten. Aber er sieht exemplarisch wie folgt aus.
Um 5:30 Uhr findet die morgendliche Puja im Sera Jey Tempel statt. Dort gibt es auch Frühstück, aus Buttertee und etwas Brot bestehend. Das Brot ist eine runde, flache Scheibe aus recht schlichtem Teig. Darauf klebt oft ein Stückchen Marmelade und ein Stückchen Erdnussbutter, beides wird mit den Fingern auf der Scheibe verteilt.
Meist geht die morgendliche Puja bis 6:30 Uhr oder 7 Uhr. Danach kehren alle auf ihre Zimmer zurück und fegen, erfüllen die jeweiligen Verpflichtungen und Gebete. Schon bald darauf hört und sieht man die ersten Mönche im Garten und auf den Fluren auf und ab gehen und Texte vor sich her rufen, um sie auswendig zu lernen oder im Geist weiter zu festigen.
Um 8 oder 9 Uhr gehen die jüngeren Mönche zur Schule und für die anderen beginnt um 9 Uhr die Debatte auf dem Debattierhof. Bis um 11 Uhr wird debattiert, unterbrochen von gemeinsamen Rezitationen wie dem Lobpreis an die 21 Taras. Um 11 Uhr gehen alle direkt vom Debattierhof in den Tempel und setzen sich brav, nach Klassenzugehörigkeit sortiert in die Reihen. Diese sind so angeordnet, dass sich die Mönche gegenüber sitzen, nicht wie im Westen oft üblich gemeinsam in Richtung des Altars. Der Disziplinar und seine Helfer wählen dann eine Reihe von jüngeren Mönchen mit einer schnellen Handbewegung aus, die nun aufspringt und aus dem Gebäude stürmt, um von draußen die Eimer mit dem Essen zu holen. Zum Mittagessen gibt es immer abwechselnd Daal mit Reis oder Daal mit Brot. Die Austeilung des Essens ist sehr gut koordiniert und dauert insgesamt nicht länger als 4 Minuten für mehrere tausend Mönche. Währenddessen wird gemeinsam rezitiert. Wir haben ungefähr 5 Minuten zum Essen und dann drängen, nach einer weiteren sehr kurzen Rezitation, alle Mönche so schnell wie möglich wieder raus und zu ihren Häusern. Gegen 11:20 Uhr sind auch wir, die am anderen Ende des Klosters leben, an unserem Haus No. 17 angekommen und verbringen meist noch eine viertel bis halbe Stunde in kleinen zufälligen Gruppen miteinander zum Reden, bevor alle auf ihre Zimmer gehen und der großen Hitze mit einem Mittagsschlaf zu entgehen versuchen.
Wann die Mönche wieder zum Leben erwachen ist sehr individuell, aber ab 14 Uhr hört man schon hier und da wieder Mönche Texte rezitieren, sieht sie im Garten ihre Wäsche waschen oder auch still in ihren Zimmern lesen. Gegen 15 Uhr gehen die Mönche entweder zur Puja oder zum Text-Unterricht. Um 17 Uhr gibt es wieder Essen nach obigem Schema und um 18 Uhr beginnt erneut die Debatte. Ob die Mönche um 21 Uhr schon wieder zurück kommen, um in ihren Zimmern weiter zu studieren, oder bis in späteste Nacht weiter debattieren, bleibt ihnen selbst überlassen. Ab 22 Uhr gehen die Mönche, die bereits von der Debatte zurückgekehrt sind, wieder die Flure und den Garten auf und ab und rufen so laut sie können Texte vor sich her zum Auswendiglernen. Zwischen 0 und 2 Uhr Nachts verklingen die letzten Stimmen.

Den ganzen aktuellen Monat des tibetischen Kalenders haben wir Saka Dawa, aber speziell morgen (07.06.2009) ist der 15. des tibetischen Monats und daher der eigentliche Feiertag. An diesem Tag finden besonders viele Pujas statt, also mehr als diesen Monat eh schon. Besonders schön finde ich, dass dieser Tag (wie immer) mit Sojong zusammen fällt. Nicht nur weil das Sojong-Ritual sehr inspirierend ist für uns Mönche, sondern auch weil wir dann diesen kraftvollen Feiertag, an dem angesammelte Karmas um vieles verstärkt sein sollen, mit frisch bereinigten Gelübden beginnen können. Aber auch so schon ist Sojong zu haben ein Anlass zur Freude an sich. Für Mönche und Nonnen ist es ein sehr zentrales, alle 2 Wochen stattfindendes gemeinsames Ritual, das direkt auf den Buddha zurück geht und während dessen die Anwesenheit der Buddhas und Bodhisattvas ganz besonders stark zu spüren ist.

Schon seit ich hier bin gebe ich immer mal wieder informelle Englisch-stunden für Lhawang, hauptsächlich das Erlernen der Buchstaben und der Aussprache von einfachen Worten, und im Gegenzug gibt er mir jetzt, wenn ich ihn daran oft genug erinnere, dann aber sehr motiviert, Unterricht in der Benutzung der rituellen Instrumente, Mudras und so weiter. Da er der Umze (Vorsänger) unserer Hausgruppe ist, eignet er sich dafür in höchstem Maße.

An den Dienstagabenden hat sich inzwischen der Brauch etabliert, dass ich mit Lhawang und anderen Mönchen lange Spaziergänge mache. Wir unterhalten uns dabei über alle möglichen Themen, ausschließlich auf Tibetisch, und inzwischen klappt das auch ganz gut, da sich sowohl Lhawang als auch die anderen mit denen wir bisher gegangen sind, sich die Mühe gemacht haben einigermaßen dialektfrei und deutlich zu sprechen und unbekannte Worte zu wiederholen und auf Nachfrage zu erklären. Dadurch können wir bei den Themen dann auch die Tiefe gehen. Es ist ein sehr schönes Gefühl, wenn solche vollständigen Konversation funktionieren. Einer der Mönche der kürzlich mit anderen Europa und auch ausführlich das Tibetische Zentrum besucht hat, erzählte mir bei einem solchen Spaziergang wie schön er Hamburg bzw. Deutschland fand, wie viel schöner vor allem als Frankreich, und wie begeistert er von den Praktizierenden gewesen sei. So viele Laien, die ernsthaft den Dharma studieren und ihn tiefgründig verstehen. Damit meinte er nicht ein tiefes Verständnis der Philosophie, sondern des Lamrims. Anderen Orts werde von der Masse der Buddhisten einfach akzeptiert und oft unverstanden versucht zu praktizieren, aber besonders in Deutschland beruhe bei den Laien die Praxis auf echtem Verständnis. Davon war er sehr beeindruckt.
Er selbst macht nächstes Jahr seinen Abschluss zum Geshe.

Das Wetter ist immer noch sehr viel regnerischer als sonst um diese Jahreszeit, sagt man mir. Es regnet und stürmt alle paar Tage ziemlich stark, dabei ist noch kein Monsun. Ich genieße das Wetter, vor allem die spektakulären Gewitter. Fast ohne Donner, nur ein fortwährendes Grollen über den Wolken. Diese leuchten in verschiedenen Tönen von orange bis lila. Dann circa alle 20 Sekunden ein Blitz, immer aus einer anderen Himmelsrichtung, der die gesamte Wolkendecke von innen illuminiert. Manchmal ganz ohne Regen, manchmal leichter Niesel, oft aber mit einem schnellen Sturm der die dicken Wassertropfen gegen alle Seiten wirft.
An Tagen an denen wir Strom haben, beschränkt dieser sich auf den Mittag und die Nacht. Neulich am Abend, als so ein Gewittersturm tobte und wir keinen Strom hatten, hatte ich den ganzen Tag keine Gelegenheit gehabt etwas zu essen und mir deshalb in der kleinen Küche bei Kerzenschein auf der Gasflamme Instant-Nudeln gekocht. Eine Atmosphäre in die ich nur zu gerne eintauche. Da während eines solchen Wetters das Land noch intensiver riecht, werden wirklich alle Sinne gleichzeitig stimuliert.
Der Geruch Indiens im Allgemeinen ist zwar durchaus nicht nur angenehm, denn die Noten von Verwesung und Fäkalien sind mindestens als Untertöne allgegenwärtig, dennoch riecht das Land für mich sehr lebendig. Es fällt leicht beliebige positive Attribute wie Ursprünglichkeit oder Abenteuer hinein zu projizieren.
An vielen Abenden kommen zu all dem noch das schnelle rhythmische Trommeln oder typisch indische Gesänge hinzu, die von der kleinen Hindu-Siedlung aus durch mein Fenster tönen, ziemlich laut aber angenehm. Sie feiern oft und lange. Neulich fingen sie an einem Mittag an und hörten für 2 Tage nicht wieder auf, auch in den Nächten nicht. Egal wie spät/früh, wurden sie nicht mal leiser. Eine unglaubliche Energie, die die Hindus dort beim Feiern aufzubringen scheinen.

Vor anderthalb Wochen war ein besonderer Tag im Kloster, denn die besten Mönche des 5. Studienjahres bekamen Auszeichnungen und natürlich ist einer davon auch in unserem Haus. Der Tehor-Kangtsen ist für seine Strenge und Disziplin, aber auch für seine exzellenten Studenten bekannt. Hier wurde am Vormittag groß Hausputz gemacht und dann alles geschmückt und glückverheißende Symbole auf den Boden gezeichnet mit Kreide. Dann kamen von mittags bis abends Mönche von überall her aus dem Kloster und überreichten dem ausgezeichneten Mönch weiße Seidenschals mit Geldumschlägen. Meiner Schätzung nach kamen um die tausend Gratulanten. Diesen wurden dann auch Getränke und Gebäck gereicht. Da sie über den Tag verteilt kamen, mussten die Mönche meines Hauses dort Ewigkeiten stehen und diese Dinge reichen, aber es schien allen einen großen Spaß zu machen. Die Übergabe fand im Vorzimmer zu dem Zimmer von Geshe Pema Samten statt, weil es der schönste Raum unseres Hauses ist. Darin lag bereits als ich kam um mein Geschenk zu übergeben, ein mindestens 1,5 Meter hoher Berg an Seidenschals, der immer wieder von der anderen Seite abgetragen wurde, wo die Schals raus gebracht wurden und im Flur über eine Leine gehängt. Allgemein eine sehr schöne und freudige Atmosphäre und sicher für alle sehr motivierend. Es wurde zur Feier des Tages von unserem Haus aus Essen für unsere Mönche gekocht zum Mittag und Nachmittag, wobei am Mittag jeder sich sein Essen abholen konnte und am Nachmittag von Tür zu Tür gegangen wurde um das Essen auszuteilen. Die Essensausgabe fand aus den leeren Farbeimern heraus statt, die wir normalerweise zum Wäschewaschen verwenden. Auf die Idee den Daal darin auszuteilen wäre ich nicht gekommen.

Letzten Sonntag setzte ich mich zum Rezitieren aufs Dach, in den Schatten, wo zumindest ein leichter Wind zu spüren war, der die Hitze erträglicher machte. Als ich so rezitierte, setzte sich ein ziemlich lustig aussehender Schmetterling auf mein Knie. Erst wollte ich ihn sanft abschütteln, aber dann fiel mir ein, dass es eine viel bessere Idee wäre, ihn dort sitzen und mir beim Rezitieren zuhören zu lassen und so heilsame Eindrücke in seinen Geist zu setzen und einen Samen für eine enge Beziehung mit ihm in der Zukunft zu legen. Also rezitierte ich weiter und er saß ganz ruhig und bewegte sich nicht mal, wenn ich mich etwas bewegte und er dadurch auf den Falten meiner Robe hin und her geschaukelt wurde. Nach über einer halben Stunde, in der er freiwillig oder nicht dem Dharma zugehört hatte, flog er weiter.