Donnerstag, 11. März 2010

Meine erste Debatte

Ein aufregender und besonderer Tag in meinem Leben. Die erste Debattiersitzung (jedenfalls die erste auf Tibetisch, die offiziell Teil des Studienprogramms ist) gilt generell als etwas ziemlich besonderes; wenn andere Mönche es mitbekommen gibt es häufig den Ausruf "wie Glück verheißend!"
Sehr ungewöhnlich fing mein Tag auch an, nachdem er von einer kurzen, nur durch 3 Stunden Schlaf gewürdigten Nacht angeführt wurde. Ich stand um 5 Uhr auf, scheinbar als erster und, für noch über eine Stunde, einziger meines Hauses. Seltsam, aber erklärbar. Die erste Debattiersitzung um 8 Uhr fest im Auge, machte ich meine morgendliche Praxis, duschte, frühstückte, und so weiter, wobei ich beim Teekochen leider den Glasdeckel meines Zuckerwürfelglases fallen ließ, der in ungewöhnlich viele kleine Teile auf dem Boden zersplitterte. Da man sich hier in den Zimmern ausschließlich Barfuß bewegt, keine uninteressante Angelegenheit, und es war noch zu früh um meinen kleinen Handstaubsauger aus Mysore zu betreiben, aber der Strom wäre bald weg und erst am Nachmittag wieder da. Bis zum Nachmittag also in meinem Zimmer Badelatschenpflicht. Wenigstens die groben Scherben zusammen fegen wollte ich, griff nach dem Bündel zusammengebundener Halme, die meinen Besen darstellen, und schreckte dabei eine Familie Kakerlaken auf, die dieses Bündel für ein gutes Versteck gehalten hatten. Den "Besen" und seine Bewohner bereits in der Hand, öffnete ich rasch die Tür und beförderte beides miteinander in einer schnellen Bewegung hinaus.

Als ich gegen Viertel vor Sieben in meinem Zimmer noch rasch versuchte einige wichtige Debattiervokabeln in meinen Kopf zu füllen, und mir insgeheim ausmalte wie schön es doch wäre, wenn die Debatte erst um 9 beginnen würde, damit ich mehr Zeit hätte auswendig zu lernen, bemerkte ich, dass einige Mönche das Haus verließen, aber ohne Debattierkissen. Sehr ungewöhnlich. Also ging ich raus und fragte den gerade vom Frühstück heimkehrenden Karma Trinley, ob die Debatte etwa erst um 9 stattfinden würde. "Nicht um 9, nur um 6 Uhr abends! Wir haben doch Off-Session." Dass Eintrittsprüfungen auch in Off-Sessions stattfinden, in denen die morgendliche Debatte zu Gunsten des Auswendiglernens aussetzt, war für mich eine Überraschung, aber eine gute. Ich wurde schon etwas nervös bezüglich meines heutigen gedachten Zeitplans, der ohne eine Minute Pause nach der Debatte sofort den Unterricht (Peti) mit Gen Tsewang Tobden vorsah, danach bürokratischen Papierkram, die Nachbereitung des Unterrichts und dann sofort die nächste Debattiersitzung, abgeschlossen vom nächtlichen Auswendiglernen/Rezitieren. Jetzt sah das alles auf einen Schlag sehr viel entspannter aus.


Inzwischen ist mein erster Debattiertag fast zuende, es liegen nur noch 2 Stunden Auswendiglernen vor mir. Als es so weit war und ich mich auf den Weg zum Debattierhof machte, war ich eigentlich gar nicht so nervös oder aufgeregt wie ich erwartet hatte. Ich war etwas früher als die anderen Mönche losgegangen, weil ich vorhatte noch schnell etwas essen zu gehen, worin ich jedoch scheiterte, und kam also eine viertel Stunde vor Beginn an. Es waren noch nicht viele Mönche auf dem Debattierhof eingetroffen. Die beiden recht dicht am Eingang sitzenden fragte ich, wo sich denn die DuChung, also meine Klasse, treffen würde. Auch sie waren offenbar neu, und meinten ich könnte einfach da bei ihnen warten, weil das der gesuchte Treffpunkt wäre. Zum Glück brannte die Sonne um 18 Uhr nicht mehr so stark herunter und stand vor allem in einem Winkel, der es dem Tempel ermöglichte fast dem ganzen Hof Schatten zu spenden. Nach einer ganzen Weile erschienen auch Mönche meines Hauses. Als Losang Puntsog und Tenzin Tsering eintrafen gesellte ich mich zu ihnen, und hielt mich dann auch für den ganzen restlichen Abend an sie. Bald begann die Debatte und erst schaute ich mich etwas hilflos um nach einem Debattierpartner, denn es schien mir beinahe als wäre keiner für mich übrig. Tenzin Tsering lud mich ein mit ihm zu debattieren. Ich hatte große Probleme mit seinem Dialekt und seinem sehr fortgeschrittenen Debattiervokabular, welches erst in späteren Kapiteln unseres Textbuches eingeführt wird. Alleine seine Worte zu hören erforderte viel Anstrengung, wegen der hohen Lautstärke die hunderte von laut rufenden Mönchen um einen herum erzeugen können.



Wir debattierten eine halbe Stunde, bis er mit Puntsog den Platz tauschte. Puntsog spricht etwas dialektfreier, aber hat bisher noch nichts auswendig gelernt und auch noch keinen Unterricht besucht. Er fragte, ohne die strikte Debattierform zu verwenden, danach ob Huhn oder Ei zuerst gewesen wären und ähnliche zusammenhanglose Themen, mit einem peinlich berührten Lachen. Hätten wir Englisch gesprochen wäre ich versucht gewesen ihm zu erklären, dass das Ei ein paar Millionen Jahre vor dem Huhn da war, ließ es dann aber, auch weil es ja bestenfalls eine Unterstützung der Ablenkung vom eigentlichen Thema gewesen wäre. Also übernahm ich die Rolle des Herausforderers und er setzte sich hin zum Verteidigen. Hier ergab sich die Schwierigkeit, dass er nicht nur den Text noch nicht gelernt hatte, sondern auch mit der formalen Art zu Antworten nicht vertraut war und so auf meine Fragen oft unabsichtlich und unbewusst Unsinn antwortete. Die neben uns Debattierenden haben sich ziemlich darüber amüsiert, dass ein Westler bei seiner ersten Debattiersitzung einem Tibeter (bei seiner ersten Sitzung) so Haus hoch überlegen ist, und das obwohl ich wirklich nur die einfachsten Beispieldebatten durchgegangen bin und ein paar Definitionen und Unterteilungen abgefragt habe. Obwohl ich in dieser Situation natürlich nicht viel dazu lernen konnte von ihm, fand ich diese Erfahrung nach der vorhergehenden Debatte mit Tenzin Tsering sehr aufbauend.

Ich weiß, dass er schon in wenigen Tagen, wenn er angefangen hat zu studieren, mich weit überholt haben wird, auf Grund meines begrenzten Vokabulars. Heute und in den letzten Tagen beim Unterricht habe ich mich Großteils damit über Wasser halten können, dass ich bereits einige Erfahrung mit den Themen und sogar der Debatte selbst in der Englischen Sprache sammeln konnte.

Nach einer Stunde versammelten sich alle Mönche in einem sehr dicht gefüllten Halbkreis bzw. Halboval und rezitierten für eine gute Stunde diverse Gebete, gefolgt von diversen Ankündigungen wann was in den nächsten Tagen stattfindet und ähnliches. Danach durften wir dann wieder debattieren. Ich setzte meine Debatte mit Puntsog fort. Was mir auffiel war die äußerst heitere Stimmung. Scheinbar alle auf dem Debattierhof hatten Spaß bei der Debatte. Vielleicht war das aber lediglich meine Projektion, dank meiner eigenen äußerst positiven Stimmung, ob meines ersten Tages in der Debattierklasse.

Danach gingen Puntsog und ich gemeinsam heim und unterhielten uns noch, er war recht erstaunt über meine Vertrautheit mit den Formalitäten der Debatte und ich erzählte ihm vom Kloster Nalanda in Frankreich, und vom Tibetischen Zentrum in Hamburg, wo schließlich auch von einigen Westlern debattiert wird.

Jetzt muss ich dringend Lernen, besonders Vokabeln, Definitionen und Unterteilungen. Das Handwerkzeug.

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