Montag, 31. Mai 2010

Saka Dawa, Stromlos, Nudelüberraschung

Einen schönen Saka Dawa wünsche ich nachträglich allen Lesern. Der eigentliche Feiertag war Donnerstag (27.5), aber der ganze Monat gilt als Glück verheißend. Donnerstag hatten wir einen schönen großen gelben Vollmond in einem schwarzen Himmel mit wenigen Wolken, die in ein bezauberndes Licht getaucht wurden. Dies als Hintergrund, stehen die mit bunten Lichterketten dezent geschmückten, großen Tempel des Klosters in angemessenem Rahmen. 
Die Lichterketten werden von Batterien gespeist, die über Solarpanele aufgeladen werden, denn sonst wären sie dunkel wie der Rest des Klosters, da wir zur Zeit mehrere Tage pro Woche überhaupt keinen Strom haben, und wenn doch, dann nur sehr kurz (wenige Minuten). Die Stromversorgung ist instabiler geworden in letzter Zeit, noch mehr als zuvor. Es ist allerdings sehr oft nur unser Haus betroffen, unsere Nachbarn und der Rest des Klosters hat die normalen 6 Stunden Strom pro Tag, meistens. Ich bin versucht zu meinen "leider nur unser Haus", denn das reduziert die Chancen auf Reparatur sehr. Man müsse nur die richtigen Inder bestechen, dann würde es repariert, sagen die einen. Wenn ich versuche herauszufinden, wer die richtigen Inder sind, sagen die anderen, das könne ich nicht tun, denn sobald ich ihnen einmal Bestechungsgeld gegeben habe damit sie die Leitung reparieren, werden sie nie wieder ohne diesen Anreiz kommen, und zusätzlich eventuell sogar die Leitung mutwillig beschädigen um öfter gerufen zu werden. So bleiben mir nur Dunkelheit, Kerzenlicht und der Wunsch auf eine Solaranlage, denn Sonne haben wir mehr als genug.

Im letzten Eintrag erwähnte ich meine Lebensmittelvergiftung. Diese war offenbar doch noch nicht vorbei, denn kurz darauf hatte ich einen Rückfall, zwar schwächer als zuvor, aber dennoch Zeit raubend. Vor ungefähr zwei Wochen wurden Ehrungsfeiern für diverse Mönche abgehalten, die in die Lharamklasse eingetreten sind, unter anderem auch der Lehrer unseres Hauses Yama Dorje. Wir befinden uns allerdings gerade in verminderter Besetzung in unserem Haus, da noch immer viele Mönche in Sikkim sind. Sie kommen vermutlich in der ersten oder zweiten Juni Woche zurück nach Sera.

Seit einer Weile hat sich noch eine zweite Eidechse in meinem Zimmer niedergelassen. Es ist mir eine große Freude den beiden zuzuschauen, leider sind sie sehr scheu, schon eine schnelle Kopfbewegung meinerseits kann sie verschrecken. Da die beiden etwas unterschiedlich groß sind, habe ich sie Tsangchen und Tsangchung (von rtsangs pa) getauft. Ich hoffe sie bleiben hier wohnen, denn sie bringen mich häufig zum Lachen. Neulich jagte Tsangchen eine Kakerlake hinter meinem Schreibtisch hervor. Die meisten Kakerlaken sind deutlich größer als die Eidechsen, aber diese war noch sehr jung. Die Eidechse jagte offenbar nicht um die Kakerlake tatsächlich zu fangen, denn sie hielt einen konstanten Abstand. Ich weiß nicht ob Eidechsen Territorien haben, aber so sah es für mich aus. Ich nutzte die Gelegenheit um die Kakerlake, die völlig abgelenkt war, einzufangen und raus zu bringen. Die ausgewachsenen Kakerlaken werden hier gut Zeigefinger groß, die Eidechsen sind eher kleiner.

Apropos Kakerlaken. Neulich kochte ich Nudeln und von der Tüte ins kochende Wasser fielen ein paar Kakerlakenbeine. Ich erschrak, sie mussten wohl an der Außenseite der Tüte geklebt haben. Wir haben reichlich Kakerlaken, also war es nur deshalb verwunderlich, weil ich sie nicht vorher gesehen hatte. Ich fischte die Beine aus dem Topf, zum Glück schwammen sie an der Oberfläche. Als ich dann den Rest des Tüteninhalts in den Topf entleerte, fiel die restliche tote Kakerlake in einem Stück aus der Tüte ins Wasser. Seit dem inspiziere ich die Nudeln sehr genau beim Kauf. Einem anderen Mönch glaubte ich damals nicht recht, dass ihm das gleiche mal mit einer Milchtüte passiert sei. Jetzt schon. 

Ich würde gerne meine (beiden) Leser nochmal dazu auffordern sich zu melden, mir mehr Rückmeldung zu geben. Nur durch Rückmeldungen kann ich einschätzen wie nützlich es tatsächlich ist hier Einträge zu schreiben, und welche Themen von Interesse sind. Ganz besonders würde es mich freuen Fragen oder Themenvorschläge zu bekommen. Welche Aspekte unseres Klosterlebens werden gerne gelesen und welche langweilen?

In der Hoffnung, dass alle Kreisgänger viel Freude an der heilsamen Praxis geistiger Entwicklung haben mögen,
Khedrub.

Dienstag, 4. Mai 2010

Kleine Debattierklasse und Aufforderungen zu mehr Meditation

Wiedereinmal liegt mein letzter Eintrag wesentlich länger zurück als gewünscht, bevor ich nun endlich dazu komme einen neuen zu verfassen. An mangelnden Vorsätzen einen zu verfassen lag es nicht, jedoch ist der einzige Tag, an dem ich eine realistische Chance habe sie umzusetzen, Dienstag, unser einziger freier Tag. Da unter der Woche für nichts Zeit ist außerhalb des Studiums, konzentrieren sich alle anderen Tätigkeiten, vom Waschen bis zum Einkaufen, auf diesen einen Tag.

Meine Debattierklasse ist noch sehr klein, weil das (tibetische) Jahr noch jung ist, aber vor allem wegen des generellen Schrumpfungstrends der neuen Klassen von Jahr zu Jahr. Es wird den Tibetern seit langem zunehmend schwerer gemacht aus Tibet zu fliehen, und ohne den Strom neuer Flüchtlinge bleiben hier auch die neuen Mönche aus. Es ist noch nicht lange her, da war es kaum vorstellbar eine neue Klasse aus unter hundert Mönchen zu haben. Meine Klasse hat zur Zeit zwischen 30 und 50. Zu meiner Erleichterung gehöre ich mit meinen 27 Jahren noch nicht zur Spitze der Alterspyramide, sondern liege beinahe genau im Durchschnitt, der bei Anfang/Mitte 20 liegen dürfte. Es gibt wenige die knapp unter 20 sind und sehr wenige über 30. Dass es überhaupt welche jenseits der 40 gibt, die noch mit dem Studium beginnen, welches nicht zu vergessen inzwischen gut 20 Jahre dauert, finde ich bemerkenswert.

Zur Zeit bin ich der einzige Westler in meiner Klasse, aber mehrere kommen aus der Mongolei, Sikkim, Nepal und so weiter. Teilweise sind deren Kenntnisse der tibetischen Sprache noch sehr schwach, sogar aus meiner Perspektive, und so existiert zwischen uns eine implizite Verbundenheit. Doch auch mit den meisten Tibetern macht mir das Debattieren viel Spaß, sofern sie sich nicht gerade ihrem Dialekt aus Amdo hingeben oder die Definitionen und Unterteilungen nicht gut kennen. Es kann zwar ganz nett, beinahe entspannend sein, wenn der Debattierpartner sich mit jedem zweiten Satz direkt und wiederholt widerspricht, aber neue Denkansätze und Weltbild umstoßende Ideen bringen mir eher diejenigen Debatten, in denen durch cleveres Nachfragen die Lücken im eigenen Verständnis zu Tage gefördert werden.

Saka Dawa als Anlass, werden mehrere Mönche aus Sera, unter anderem auch mein Zimmernachbar Lhawang, für anderthalb Monate nach Sikkim reisen, um dort Pujas durchführen. Und in wenigen Wochen wird leider auch Gen Tsewang Tobden, mein Peti-Gen, für 50 Tage Sera verlassen, weil er nach Taiwan eingeladen wurde. Er berichtete mir, dass er eigentlich gar nicht gehen wolle, weil er so viele Schüler hier allein lassen müsse, und daher versucht hat seine Gastgeber herunter zu handeln, weil sie ihn eigentlich für 90 Tage haben wollten. Mich stellt seine bevorstehende Abwesenheit vor das Problem in der Zeit keinen Unterricht erhalten zu können, der normalerweise die Debatte begleitet und befruchtet. Sönam Wangden, mein (zur Zeit ehemaliger) Tibetischlehrer, hat sich bereit erklärt mir bei Bedarf ersatzweise Erklärungen zu geben. Ich hoffe das wird reichen. Aber irgendwie wird es klappen. In letzter Zeit komme ich immer mehr zu einer sehr entspannten Haltung was mein Studium hier angeht, vor allem durch die Betrachtung des Ganzen als ein unglaublich langer Zeitraum. Selbst wenn mir jetzt aus dem einen oder anderen Grund etwas entgehen sollte, spielt das langfristig keine Rolle, denn es wird wieder und wieder dran kommen. Außerdem ist dieses Studienprogramm, wie mir auch von anderen bestätigt wurde, gar nicht darauf ausgelegt jedem zur gleichen Zeit jede mögliche Betrachtungsweise des aktuellen Gegenstandes bei zu bringen, sondern eher auf einer Meta-Ebene die Art zu denken und zu analysieren beizubringen, den Geist daran zu gewöhnen und ihn zu trainieren, und ihn so zu befähigen später alles selbst zu untersuchen. Zu versuchen jetzt tatsächlich jede mögliche Debatte zu einem Thema einmal zu führen und zu erwarten dies auch zu erreichen, ist also nicht nur vergeblich, sondern auch in gewisser Weise am Thema vorbei. Schließlich geht es hier nicht darum einen Titel zu bekommen, Preise zu gewinnen oder Fachwissen anzuhäufen, sondern ein guter Mensch zu werden und dabei möglichst vertraut mit der Lehre zu werden. Die letzten zwei Wochen, bis gestern, bin ich durch eine Lebensmittelvergiftung vom Studium abgehalten worden, wobei ich aber wenigstens keine Peti verpasst habe, weil Gen Tsewang Tobden eh in Mysore war um etwas zu erledigen und daher mich nicht unterrichten konnte. Doch anstatt mich jetzt zu sorgen, ob ich vielleicht zurückgeworfen sein könnte, freue ich mich darauf meinen Wissensdurst nun wieder am klaren Quellbach des Dharma stillen zu dürfen.

In den letzten Wochen oder Monaten begegnet es mir immer öfter, dass Lehrer hier in Sera uns ganz direkt und von Dringlichkeit beseelt dazu raten mehr zu meditieren. Meditation soll studiumsbegleitend eingeübt werden und wäre sehr wichtig, da ansonsten das Studium sogar ein Gift werden kann. Ohne die Meditation kann es schnell passieren, sobald man auch nur ein klein wenig verstanden hat, dass man stolz entwickelt und auf die anderen herab schaut, vielleicht sogar ärgerlich wird, wenn sie einem widersprechen oder "die eigene Zeit verschwenden". Dann ist das Studium zu einem Gift geworden. Ich fühlte mich tief berührt, als Gen Tsewang Tobden mir zu diesem Thema neulich eine aus seiner eigenen Erfahrung entspringende Belehrung gab. Betreffend meiner Lehrer bin ich durch und durch mit kostbarsten Juwelen überhäuft.