Dienstag, 29. September 2009

Das Rains Retreat und seine Ferien am Ende

Nachdem das Rains-Retreat offiziell zuende war, sind die Ferien für eine Woche ausgebrochen. Dies steht sogar so im den vom Buddha gelehrten klösterlichen Regeln. Während des Rains Retreats darf eine gewisse Barriere um das Kloster nicht überschritten werden, man darf keine Gartenarbeit verrichten, sollte sich besonders intensiv dem Studium hingeben und auf gar keinen Fall Streitigkeiten aufkommen lassen. Gibt es doch mal Missverständnisse, sind diese nicht vor dem Ende des Rains Retreats anzusprechen, denn Harmonie ist in dieser Zeit eine strikte Regel. Aber hier unter den Tibetern ist auch sonst nichts von Disharmonie zu spüren, und so macht diese Regel zumindest keinen praktischen Unterschied. Nach dem Rains Retreat findet ein Ritual statt und die Mönche sollten dann bewusst die Grenze überschreiten und eine Weile Ferien machen. Die Mönche meines Hauses haben einen schönen, sehr typisch tibetisch verzierten Stoff vom Geländer meines Stockwerks schräg runter auf den Boden, quer über den Garten gespannt, so dass man sowohl bei glühendem Sonnenschein (Vormittags/Mittags) als auch bei leichtem Regen (Nachmittags/Abends) gemütlich im Garten sein kann. Oft waren sie dort aber nicht, denn wir hatten erstaunlicher Weise beinahe durchgehend Strom und so wurden auch ungebremst nacheinander im Tempel Videos geschaut. Die Ferienzeit ist ja die einzige Zeit in der es überhaupt gestattet ist Filme zu schauen, den Rest des Jahres ist der Fernseher weggeschlossen.

Zu Beginn der Ferien war ich mit Tsondru, einem Tibetischen Mönch und einem Italiener, den wir zum Flughafen gebracht haben, in Bangalore, wo Tsondru sich Einrichtung für das neue Haus gekauft, in das er gerade eingezogen ist, und von dem Italiener gebaut wurde, und ich habe mir auch die eine oder andere Kleinigkeit besorgt. Beispielsweise eine Batterie, die in der Lage sein soll eine Stromsparlampe für 7 Stunden zu betreiben (oder drei Stück für 7 / 3 Stunden), einen Wasserkocher, mehrere Luft dichte Gefäße für Zucker und ähnliches und eine Batterie betriebene LED-Schreibtischlampe, damit ich auch Abends/Nachts beim Lernen nicht meine Augen an einer Kerze verderbe. Was mit noch fehlte waren ein Schreibtisch, ein Regal und eine Stehlampe für die neue 7-Stunden Batterie. Auch eine schöne Beleuchtung für den Altar suche noch vergebens. Wo kaufen die anderen wohl ihre Lichterketten? Ich sollte mal eine Umfrage starten.
Leider habe ich am Tag unserer Reise nach Bangalore erfahren, dass ich für mein neues Protected Area Permit, welches ich brauche um mein Visum verlängern lassen zu können, dieses Mal ein Einladungsschreiben des Klosters hätte mitschicken müssen. Dieses konnte ich da aber nicht ausstellen lassen, weil auch im Büro Ferien waren. Der Prozess für solche Dinge ist übrigens gerade um einiges komplizierter geworden; die Tibeter scheinen ihre Bürokratie auf indische Art umstellen. Ich muss mir jetzt von einer anderen Verwaltungsinstanz ein Schreiben ausstellen und woanders bestätigen lassen, dieses dann zum Hauptbüro tragen und dort damit das Einladungsschreiben anfordern, um damit danach zum Abt des Klosters zu laufen und dieses nochmal von ihm persönlich bestätigen zu lassen. Wenigstens wird von mir nicht gefordert diesen Prozess mit inoffiziellen Geldgeschenken am Laufen zu halten.

In den Ferien, auf dem Rasen vor unserem Haus, genau vor meinem Zimmer stand ein provisorischer, brüllend lauter, alter Generator, der zwei drittel des Tages, während wir keinen Strom hatten, einen starken Lärm verursacht hat. Dieser Generator hat es ermöglicht im Tempel weiterhin Filme zu schauen, die Zimmer hatten aber keinen Strom. Ich habe mich dann am Nachmittag oft mit Tsondru getroffen und mit ihm Schach gespielt, Tee getrunken und anschließend den Altar in seinem neuen Haus eingerichtet oder ähnliches. Er hat wirklich hübsche und große Thangkas (Rollbilder für die Wand) und Statuen dort drinnen. Die gehören fast alle nicht ihm sondern dem Besitzer des Hauses. Tsondru wohnt dort in dem Haus, weil der Besitzer nur 3 Monate im Jahr hier sein wird und dort jemand leben muss. Er hat noch keine Gasflasche in dem neuen Haus, also kann er nichts kochen oder sich auch nur Tee machen, weshalb ich ihm meinen neuen Wasserkocher sofort ausgeliehen habe. Er hat auch noch keinen Strom gelegt bekommen, deshalb hat er sich ein über 100 Meter langes Stromkabel vom Nachbarn abgezwackt und zu sich ins Wohnzimmer gelegt. In dieser Woche hatten wir ca. von 14 bis 21 Uhr und dann nochmal von 23 Uhr bis 4 Uhr morgens Strom, also sehr angenehm lange.

Einmal war ich mit einem Mönch meines Hauses viele Stunden in Kushalnagar um einen Zimmermann zu finden. Wir waren bei mehreren, aber ich war ziemlich enttäuscht von den Preisen. Der Mönch, Tenzin Dargye, meinte die Preise in Indien für alles mögliche würden jährlich stark ansteigen. Zwar bekommt man hier noch immer in jedem Restaurant einen Tee für 7 Cent, aber Indien erlebt trotzdem eine große Preissteigerung. Für ein Regal und einen Schreibtisch aus Pressholz musste ich mit 150 bis 200 Euro rechnen. Deutsche Preise bei indischer Qualität. Ich habe mich jetzt für 175 Euro bei einem halbwegs vertrauenswürdig aussehendem Schreiner entschieden. 5 Tage später sollte es abholbereit sein. Letztendlich sind der Schreibtisch und das Regal qualitativ recht mangelhaft ausgefallen. Ganz davon abgesehen wie dreckig sie geliefert wurden, und mancher Dreck lässt sich offenbar nicht mit meinen Mitteln wegputzen, sind auch Stücke des Furniers abgebrochen, die eine Schublade schließt nicht, das Pressholz ist stellenweise gesplittert, das Regal ist höher als abgesprochen, der Magnetverschluss der Glastür ist defekt, weder der obere Teil mit der Glastür noch der untere mit der Holztür schließt vollständig, sondern es ist ein mehrere Millimeter breiter Spalt zu allen Seiten und die eine Holztür ist schon jetzt vom oberen Scharnier abgebrochen. Es sind nur manche Seiten überhaupt furniert, der Rest ist aus Kostengründen nur gelb/braun angemalt. Angeblich sollen die gravierendsten, behebbaren Mängel noch repariert werden, bisher kam der Tischler aber nicht wie abgesprochen vorbei.,
Trotz der Mängel trägt er bereits jetzt zu meinem Lerneifer bei. Auch, da ich mir zur Regel gemacht habe nichts darauf abzulegen, was nicht direkten Bezug zum Lernen hat, um ihn nicht unordentlich werden zu lassen und ihn als Ort des Lernens zu etablieren.

Wie es sich in der Ferienzeit gehört, wurde von den Mönchen unseres Hauses jeden Tag mehrmals für die ganze Hausgruppe gekocht. Die Momos (tibetische gefüllte Teigtaschen) waren die leckersten, die ich je gegessen habe.
Tsondru hatte irgendwann spontan die Idee mit mir nach Mangalore zu fahren, einen Tag hin, dann einen Tag dort und am nächsten Tag wieder zurück. Die Busreise kostet kaum 3 Euro mit dem Bus und das Hotel auch nur 30 Euro, wobei wir uns den Preis ja teilten. Es sind gut 6 bis 7 Stunden Busfahrt quer durch den Jungel, bergauf, bergab. Wir hatten viel Spaß, auch wenn die Busfahrt mit den staatlichen Bussen über so lange Zeiträume in glühender Hitze nur für Leute zu empfehlen ist, die an ihrer Entsagung arbeiten wollen.

Eine sehr lustige Sache die ich inzwischen sowohl in Bangalore als auch in Mangalore gesehen habe ist, wenn Inder, obwohl sie reich genug sind um in die Einkaufszentren gehen zu können, sich partout nicht trauen auf Rolltreppen zu steigen. Es befinden sich immer Trauben von Leuten um die Rolltreppen, die sich nicht überwinden können auf dieses, bei uns seit Jahrzehnten normale, Wunderwerk der Technik zu steigen. Manche schaffen es dann doch, aber die meisten weichen nach einer Weile dann lieber auf Treppe und Fahrstuhl aus.

Nachdem im sechswöchigen Rains Retreat unter vielem anderen keine Garten- oder größeren Hausputzarbeiten stattfinden durften und auch in der anschließenden Ferienwoche daran nicht zu denken war, kam anschließend der große Tag an dem alle das Haus und den Garten auf Vordermann brachten. Tags darauf wurde ein Mönch meines Flures groß gefeiert, wiedermal kamen den ganzen Tag aus ganz Sera Gratulanten und brachten ihm Geldumschläge und Katags. Der Anlass war, dass er jetzt in die Lharampa Geshe Klasse gekommen ist, und also, sofern er in den nächsten Jahren alle Prüfungen besteht, dann auch den höchsten der Geshe Abschlüsse bekommen wird. Alleine schon in diese Klasse aufgenommen zu werden ist eine Auszeichnung und wird entsprechend gefeiert.

Freitag waren die Ferien zuende, aber heute ist wiedermal Dienstag und also schon wieder frei. Gerade, nachdem ich mit Lhawang meinen traditionellen Dienstagsspaziergang hatte, ging ich an dem einem Restaurant vorbei, vor dem an Feiertagen und Dienstagen auf einer Decke ein Buchhändler seine tibetischen Bücher ausstellt, und habe mir bei der Gelegenheit zwei neue Bücher gekauft. Neu ist in sofern übertrieben, als die Bücher dort meist alles andere als neu zu sein scheinen, eher sehr benutzt aussehen, aber diese beiden sind in ordentlichem Zustand. Das eine ist ein Buch an Kinder und "Erwachsene die an ihren Träumen festhalten" und heißt གཡག་ལ་སྤུ་རིད་པོ་ཇི་ལྷར་བྱུང་། (ich hoffe an dieser Stelle werden bei allen Lesern die tibetischen Schriftzeichen korrekt angezeigt) bzw. "Wie das Yak zu seinem langen Haar kam", es ist liebevoll bebildert aber vor allem zweisprachig, Tibetisch/Englisch. Es könnte ganz nützlich und unterhaltsam sein. Das andere ist ein kleines handliches Englisch-Tibetisch Wörterbuch. Tibetisch-Englisch gibt es ja recht viele, aber brauchbare in die andere Richtung empfinde ich als selten. Dies hier ist dünn genug um es mit mir herum zu tragen und da zu sein wenn ich schnell etwas spezielles präzise sagen möchte und scheinbar vollständig genug um das hier benötigte alltägliche Vokabular gut abzudecken. Beide Bücher kosteten 180 Rupien, ca. 2,5 Euro.
Bücher sind hier glücklicherweise sehr sehr günstig.
Im Mönchsparadies.

2 Kommentare:

  1. Lieber Khedrup, danke für die ausführlichen Antworten auf meine Fragen und danke auch für Deinen Brief, der inzwischen angekommen ist und auf den ich mich sehr gefreut habe!
    Durch Deine Schilderungen kann man sich sehr gut vorstellen, wie das Leben im Kloster Sera und auch ausserhalb diesem sein muss. Es gehört wohl sehr viel Mut und Willen dazu, sich auf Deinen Weg zu begeben...
    Und ich hätte heute - wieder einmal - einige Fragen an Dich: Ich habe über das Rains-Retreat gelesen, dass Buddha dieses einführte, nachdem sich die Bauern in der Regenzeit beschwerten, dass die Mönche bei ihren Wanderungen über die Felder die Saat zerstören und einige Lebewesen (ich nehme an, Würmer und Käfer usw.)töten würden. Wird eigentlich heute noch daran gedacht oder ist das Rains-Retreat nur noch intensives Studieren? Ist es eigentlich bekannt, wie die Mönche sich damals in Ihrer Freizeit nach dem Rains-Retreat beschäftigt haben?
    Zu Deinem letzten Post hätte ich dann auch noch diese Frage: Hat es einen bestimmten Grund, warum die Mönche im Gehen und im "Laut Schreien" ihre Texte lernen? Ist es vielleicht eine Art der Müdigkeit zu entgehen?
    Danke für Deine sehr interessanten Schilderungen, lieber Khedrup!
    Renée

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  2. Liebe Renée,
    In dem Rains Retreat ging es ursprünglich darum in der Regenzeit das Durchwandern der Wälder und Wiesen einzustellen und als Gemeinschaft zusammen zu kommen um gemeinsam zu studieren und praktizieren. Dies hat, wie du schon sagst, seine Begründung in dem Schutz der vielen kleinen Lebewesen die in der Regenzeit besonders intensiv durch die sprießende Natur klettern. Auch heute noch sollte ein Mönch beispielsweise in dieser Zeit nicht über Wiesen mit hohem Gras gehen und auch die erwähnten Regeln für das Rains Retreat, wie das Unterlassen von Gartenarbeit und das Nicht-Überschreiten einer bestimmten Grenze ums Kloster herum, zeigen diesen Ursprung. Da wir aber in unserer Tradition normalerweise eh schon in Klöstern zusammengefasst leben, brauchen wir tatsächlich nicht extra dafür zusammen zu kommen, und da wir uns - gerade in den drei großen Klosteruniversitäten - eh schon ständig intensiv dem Studium des Dharma hingeben, ist die praktisch spürbarste Veränderung für uns in dieser Zeit vielleicht die Barriere um das Kloster herum, die es nicht zu verlassen gilt.

    Mir zumindest ist es nicht bekannt wie die Mönche zur Zeit des Buddha das Ende des Rains Retreat zelebriert haben. Lediglich von dem abschließenden "brechen" der Grenze ist mir bekannt.

    Auswendig zu lernen geht, laut meinen Lehrern, am schnellsten wenn man sich bei den vielen notwendigen Wiederholungen auch selbst hört und bewegt. Sicher bleibt man durch das laute Sprechen/Rufen auch mental leichter am Ball, immerhin ist dies eine mehrstündige tägliche Aktivität, jedenfalls merkt man schneller wenn man abgeschweift ist. Auch das Lernen mit gleichzeitiger Bewegung durchzuführen halte ich für Wissen aus alter Zeit, das wir heutzutage im Westen erst wiederentdeckt haben, denn auch dort habe ich inzwischen öfter gehört, dass wir wesentlich schneller lernen, wenn wir mehrere Sinne dabei einsetzen und uns bewegen. Vielleicht hilft auch noch die vermehrte frische Luft zu einem klareren Geist. Das ist aber nichts was hier groß untersucht und detailliert gelehrt wird; man macht es traditionell einfach so, weil es die effektivste Methode ist.
    Ich glaube die Lautstärke ist, gerade bei den jüngeren Mönchen, durch ein gesundes Maß an Konkurrenzkämpfchen zu erklären. Wen man am deutlichsten und längsten hören kann, der ist scheinbar der Fleißigste. Gerade für die Kinder, die vielleicht noch nicht alle vollständig begreifen weshalb sie diesen Aufwand eigentlich treiben, ist dies sicherlich zunächst ein guter Antrieb.

    So, ich muss jetzt wieder rezitieren gehen...
    Alles Liebe,
    Khedrub

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