Liebe Leser,
mein Besuch in Deutschland war sehr schön. Ich habe es sehr genossen Geshe Pema Samten, meine Familie und, vor allem beim Besuch Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama in Frankfurt, die anderen westlichen Ordinierten wieder zu treffen. Es ist eine wundervolle Gelegenheit jedes Jahr für all die Mönche und Nonnen wieder mal zusammen zu kommen, für die inspirierenden Belehrungen Seiner Heiligkeit. Leider konnten nicht alle meiner Brüder aus dem Kloster Nalanda in Südfrankreich kommen, in welchem ich voriges Jahr gelebt habe. Es ergab sich hin und wieder, dass ich mit Gen Pema Samten alleine war und mich mit ihm auf Tibetisch verständigen musste und vor allem konnte. Hin und wieder hat er mir auch neue Worte beigebracht. Es erleichterte mich festzustellen, dass ich in dem knappen Monat meiner Abwesenheit aus Sera mein bisheriges Tibetisch nicht wieder verlernt habe.
Bei meiner Rückkehr nach Indien am Flughafen Bangalore wurden sehr viele Sicherheitsmaßnahmen bezüglich der Schweinegrippe sichtbar. Besonders Leute, die aus gefährlichen Ländern wie Mexiko oder Deutschland einreisten, mussten ziemlich viele Fragen beantworten. Jeder trug eine Atemschutzmaske, und auch ich kaufte mir dann lieber schnell eine solche. In der Zeitung am nächsten Tag konnte ich lesen, dass alleine in Bangalore am Tag meiner Ankunft 38 Neuinfektionen festgestellt wurden. Im Kloster jedoch: alles wie immer. Es hat einige Tage gedauert mich wieder richtig angekommen zu fühlen. Warmes Wasser, Strom, Lebensmittelvielfalt und Internet sind doch etwas, an das ich mich zu schnell wieder gewöhnen konnte. Aber natürlich bin ich auch sehr froh wieder hier sein zu dürfen, hatte Sera in mancherlei Hinsicht auch schon etwas vermisst, und hoffe jetzt mal wieder ein paar Fortschritte auf meinem langen Weg zu machen.
Thutob hat mir kürzlich in seinem Zimmer über die alten Zeiten erzählt, als es den ersten Stock noch nicht gab, Gen Pema Samten unter seinem jetzigen Zimmer wohnte und er sein Zimmernachbar war. Er erzählte, dass es damals diese (auch jetzt noch schlichten, niedrigen und schön harten) Betten und ähnliche Dinge noch nicht gab, sie auch wenig Essen und Trinken hatten. Mit dem Brot konnte man, angeblich, Nägel in den Boden schlagen und musste es, vor dem Essen, eine ganze Weile in Wasser aufweichen lassen. Ich schaute etwas ungläubig, weil es mir übertrieben schien, aber er meinte ich solle in Deutschland Geshe Pema Samten fragen wie es früher gewesen sei. Der Punkt seiner Geschichte aber war der Hinweis auf die große Zufriedenheit und Weite des Geistes die damals trotzdem, vor allem auch bei Geshe Pema Samten, vorhanden war. Immer fröhlich, sanftmütig, gütig. Die drei Juwelen in ihm makellos vereint.
Ab 21:30 Uhr wird täglich von uns erwartet auf den Fluren oder dem Garten auf und ab zu gehen und dabei durch sehr lautes Rezitieren auswendig zu lernen. Eben sah ich zum ersten Mal die als "Lama Polizei" bezeichnete Patrouille mit der Taschenlampe durch unseren Garten gehen, um zu prüfen, ob dieser Verpflichtung auch nachgegangen wird. Eine Taschenlampe ist nötig, weil hier unten, so nah am Äquator, rund um das Jahr die Sonne zur gleichen Zeit unter geht, nämlich zwischen 18 und 19 Uhr. Deshalb wird hier übrigens keine Umstellung zwischen Sommer- und Winterzeit benötigt.
Letzten Freitag war Sojong und danach musste ich nach Mysore zum Superintendant of Police, um mich zurück zu melden. Da immer noch alle mitten in den Prüfungen stecken und besonders rigoros lernen, fuhr ich natürlich alleine. Der für die Studenten-Visums-Registrierungen zuständige Sachbearbeiter Mr. Singh machte einige spaßige Bemerkungen über die Sicherheitsmerkmale der Deutschen Reisepässe, als er versuchte eine Kopie davon zu machen und sich das lächel-freie Passbild anschaute. Ich erklärte ihm, dass wir in Deutschland auf Passphotos nicht mehr Lächeln dürfen, wegen der Raster. Dies kommentierte er mit einem Vergleich zu unserem Wappentier, dem Adler, dessen Schnabel in einer solchen Weise verbogen ist, als fletschte er die Zähne (obwohl Vögel bekanntlich keine haben) und verzieht dabei ziemlich wütend das Gesicht. Der wütende deutsche Bundesadler. Ich musste sehr darüber lachen, da es auch für mich tatsächlich so aussieht. Er riet mir schließlich noch, schon jetzt mein neues Protected Area Permit zu beantragen, damit danach so rasch wie möglich eine Visa-Verlängerung in Erwägung gezogen werden kann. Ende Januar laufen Visum und PAP nämlich aus und danach bin ich, bis zur eigentlichen Gewährung einer Verlängerung, nur noch "Under Consideration", darf also Aus- aber dann nicht wieder Einreisen. Leider ist dies alles nicht nur mit einem spürbaren finanziellen Aufwand verbunden, sondern auch mit sehr viel Papierarbeit und Warten auf Stempel bei Ämtern und Banken. Das Prozedere hatte mich zwischen Januar und März schon einige Wochen gekostet.
Die Briefe, die ich von Lesern dieses Weblogs bekommen habe, sind inzwischen alle beantwortet, insofern sie einen Absender enthielten. Wer mir also einen mit Absender ausgestatteten Brief geschrieben hat und darauf in den nächsten Wochen noch keine Antwort erhalten hat, wird damit rechnen können, dass entweder der eigene Brief oder meine Antwort darauf in der indischen oder deutschen Post verloren gegangen ist. Ich habe aber bewusst ein vielfaches des Portos bezahlt um den Versand zu versichern, und hoffe daher etwas berechtigter auf einen reibungsloses Ankommen.
Die Geshe-Examen sind beinahe zu Ende und wir nähern uns, wie mir zu meiner Überraschung mitgeteilt wurde, der zweiten Ferienperiode, die, genauso wie das tibetische Neujahr, ungefähr eine Woche gefeiert wird. Es ist das Ende des Rains-Retreat. Dann wird wieder der Ausnahmezustand ausbrechen, niemand studiert oder debattiert mehr sondern es werden Fernseher aufgestellt und Rekorde im Dauer-Actionfilm-Schauen aufgestellt, nur unterbrochen von Stromausfällen, die mit Carom-Spielen ausgefüllt werden. Mir war zuvor bloß die eine Ferienzeit bekannt, eben die Woche nach Losar. Da ich diese aber sehr genossen habe, denn so pausenlos die Tibeter auch ansonsten fleißig studieren können, so rigoros entspannen sie sich in den Ferienzeiten auch, freue ich mich schon auf diese bevorstehende Ferienwoche. Wobei ich hier wieder mal anmerken möchte, dass der bewundernswerte Fleiß der Tibeter nicht mit einem engen oder überspannten Geist einher geht, sondern sie sich in einem Zustand befinden, in welchem sie zwar jede Minute für das Studium nutzen, sich jedoch auch die Zeit für andere nehmen, die Arbeit beiseite legen und sich ganz auf den anderen einlassen, sollte man sich zu ihnen setzen und Gesprächsbedarf anzeigen. Völlig unverkrampft und unverbissen, dafür tatkräftig und offenherzig. In den Ferien ist es ebenso, nur dass sich die Tätigkeit ein anderes Objekt sucht.
Es wurde gefragt was auch Mönchen wird, wenn sie das Studium abschließen und den Geshe Titel erhalten. Ich glaube dazu muss ich noch einige Hintergrundinformationen geben. Manche Mönche merken im Laufe des Studiums, dass ihnen das viele Studieren eigentlich nicht liegt und melden sich dann vermehrt freiwillig für praktische Arbeiten wie das Betreuen der Klosterverwaltung, der klostereigenen Restaurants oder Kaufläden. Diese sind übrigens nicht profitorientiert sondern sollen nur den Mönchen das Nötigste verfügbar machen, damit sie nicht für jede neue Zahnpasta das Kloster verlassen müssen. Erreicht der eigene Jahrgang, bei welchem man eingeschrieben ist, den Abschluss des Studiums, erhält man selbst ebenfalls den Geshe-Titel, selbst wenn die meiste Zeit damit verbracht wurde für das Kloster zu arbeiten. Diese Geshes haben dann natürlich ein vergleichsweise mageres Wissen erreicht und werden trotz des Titels eher weiter hier arbeiten, als irgendwo als Lehrer eingesetzt zu werden. Die anderen studierten Geshes können dann entweder hier bleiben und je nach Qualifikation eine angemessene Tätigkeit finden, oder beispielsweise an ihre Heimatklöster zurückkehren und dort beispielsweise unterrichten oder sich zur Meditation zurück ziehen. Dann gibt es noch eine ganz andere Art, denn die aller besten Studenten bekommen die Chance einige Jahre vor dem Abschluss des eigentlichen Geshe-Studiums in die Lharam-Klasse einzutreten. In dieser werden einige sehr komplexe Themen nochmal enorm vertieft, so dass sich quasi eine Elite bildet. Diese Klasse endet, einige Jahre nachdem die anderen des ursprünglichen Jahrgangs bereits den Geshe Titel erlangt haben, mit dem Abschluss des Lharampa Geshe. Traditionell gehen die Lharam-Geshes danach erstmal für einige Zeit in ein Tantra-Kloster um dort die Feinheiten der Rituale und deren Bedeutungen zu erlernen. Um diese wenigen, in höchstem Maße qualifizierten Gelehrten reißen sich anschließend natürlich alle, um sie als Lehrer gewinnen zu können. Das Tibetische Zentrum (in Hamburg) war ja seit je her in der glücklichen Position, von Lehrern dieses Kalibers stetigen Unterricht empfangen zu dürfen.
Es wurde auch gefragt, wie das Lehrer-Schüler-Verhältnis aussieht. Das ist eine so komplexe Angelegenheit, dass ich kaum ihre Oberfläche zu überblicken vermag. Hier gibt es natürlich verschiedene Ebenen, da es viele verschiedene Arten von Lehrern/Meistern gibt. Beim Eintritt in den Orden gibt es für die verschiedenen Stufen der Ordination verschiedene Arten von Meistern und Äbten, dann gibt es Lehrer die im Kloster für dein korrektes Verhalten zuständig sind und andere die dich unterrichten, und schließlich die tantrischen Lehrer/Meister, die Initiationen, Transmissionen und Unterweisungen geben. Man kann also nicht sagen jeder Schüler hätte genau einen Lehrer, denn es ist, zumindest für uns, ein ganzer Blumenstrauß an Lehrern, die alle unterschiedliche Funktionen und Bedeutungen haben. Der Stellenwert, dem man den verschiedenen Lehrern beimisst, ist sehr individuell. In meinem Fall sind mein Ordinationsabt und -meister und mein Tantrischer Guru glücklicherweise die gleiche Person, bei der ich niemals eine Schwierigkeit hatte sie als leibhaften Buddha anzusehen. Jedoch ist dieser gütige und gelehrte Lehrer bisher nicht derjenige, bei dem ich den meisten formellen Dharma-Unterricht erhalten habe. Dies bildet jedoch nicht unbedingt einen Widerspruch, besonders wenn man es schafft die Lehrer als Emanation des eigenen Gurus zu begreifen. Diese Situation mit den Massen an verschiedenartigen Lehrern ist hier in einer Klosteruniversität natürlich auch die Spitze getrieben. Doch auch hier gibt es trotz allem den eigenen hochverehrten Lehrer meist den einen, mit dem man eine ganz spezielle und besonders tiefe Verbindung eingeht. Auf dieses heikle Thema möchte ich an dieser Stelle ungern tiefer eingehen, und es abschließen mit einem Zitat des Dalai Lama aus "The Union of Bliss and Emptiness": "If the buddhas are engaged in helping all sentient beings, including oneself, it is definitley only through the guru that they perform these activities."
Es gab noch eine Frage zur Debatte, doch um diese zu beantworten werde ich vermutlich weiter ausholen müssen, und verschiebe die Antwort noch etwas.
Dieser Eintrag, sowie alle anderen hier verfassten, stellt nur einen kleinen Ausschnitt meiner subjektiven Wirklichkeit dar. Für die vielen Fehler, Missverständnisse und Ungenauigkeiten bitte ich um Verzeihung und stelle sie nur aus der vagen Hoffnung dennoch in den öffentlichen Raum, dass doch ein Leser trotzdem Inspiration zum Heilsamen daraus gewinnen möge.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Lieber Khedrub,
AntwortenLöschenbegeistert habe ich deinen Blog entdeckt! Deine Beschreibungen lassen ein lebendiges Bild vom Klosteralltag entstehen. Mittlerweile spüre auch ich den Wunsch nach dem intensiven Studium des tibetischen Buddhismus im Kloster in mir. Allerdings weiß ich nicht, ob es vielleicht noch zu früh ist. Du kannst mit bestimmt bei einigen Fragen weiterhelfen. Wie lange hast du den Buddhismus studiert und praktiziert, bevor du dich zur Ordination entschieden hast und ist es möglich, ohne Kenntnisse des Lamrim und der tibetischen Sprache in Sera Je aufgenommen zu werden?
Herzlich,
Matthias
Lieber Matthias,
AntwortenLöschenes freut mich sehr, dass dir mein Blog gefällt und dich zum Studieren motiviert!
Um hier studieren zu können braucht man einen Lehrer, der hier studiert hat, und muss vor allem Mönch sein. Tibetisch muss man natürlich können um am Studium teilzunehmen. Lamrim-Kenntnisse sind hier zwar nicht explizit gefordert, allerdings wäre es äußerst seltsam ohne solche (tibetisch buddhistischer) Mönch zu werden.
Wenn du Bedenken hast, ob zu früh sein könnte, ist es ganz sicher zu früh. So stark wie der Drang nach Luft, wenn dein Kopf unter Wasser gedrückt wird, sollte dein Wunsch nach Ordination sein. Es ist in der tibetischen Tradition eine Entscheidung auf Lebenszeit. Du gehst damit aber außer diverser Verpflichtungen vor allem auch enge Verbindungen mit deinen spirituellen Lehren ein, und letztendlich kann ich dich nur an diese weiter leiten. Sprich deinen Lehrer auf deinen Wunsch nach Ordination an und er wird dich auf den für dich richtigen Pfad bringen.
Ich wünsche dir weiterhin viel freudigen Eifer beim Studieren des heiligen Dharma!
Khedrub
Lieber Khedrub,
AntwortenLöschenvielen Dank für deine Antwort. Ich will unbedingt ordiniert werden, meine Zweifel kommen daher, dass ich noch nicht lange praktiziere und daher nicht weiß, ob ein Lehrer mich ordinieren würde. Ich werde mich, wie du mir empfohlen hast, bei nächster Gelegenheit an einen Lehrer wenden, bisher habe ich noch keinen.
Ich folge weiter deinen lebendigen Schilderungen und wünsche dir alles Gute,
Matthias