Dieser Oktober war vollständig damit gefüllt, dass die anderen Mönche sich stark auf ihre Debattierprüfungen vorbereiteten und diese dann innerhalb von fünf Tagen, bis vorgestern, abhielten. In der Vorbereitungszeit und auch jetzt noch, fand zu fast jeder freien Minute eine mündliche Textübertragung, ein Lung, von Chöden Rinpoche statt, zu den Texten die speziell in Sera Jey zum Studienprogramm gehören.
Die Debattierprüfungen finden zeitlich getrennt statt, von den anderen Prüfungen die es hier gibt, wie die Auswendiglernprüfung, die Grammatikprüfung und die schriftliche Prüfung mit Fragen zum Verständnis. 5 Tage lang versammeln sich die Mönche morgens und nachmittags einige Stunden lang auf dem Debattierhof. In großen Kreisen sitzen alle um die Prüfer, die nur zuhören und das Ende der Prüfung für den jeweiligen Prüfling signalisieren, und die beiden Debattierenden. In den ersten drei Jahren darf man sich seine Debattierthemen noch selbst aussuchen und vorbereiten. In den restlichen Jahren zieht man sich Themen direkt vorher aus der Gesamtheit aller Themen des letzten Jahres. Die Reihenfolge, in der man dran kommt, geht in den ersten drei Jahren danach, wann man sich für die Klasse angemeldet/eingeschrieben hat. Danach ist die Reihenfolge dementsprechend sortiert, wie gut man im vorherigen Jahr war. Dadurch debattieren dann immer ungefähr gleich gute Mönche miteinander. Jeder steht jeweils einmal als "Angreifer" in der Mitte, wo man dann einige Minuten Zeit bekommt seine Debatte am jeweiligen Thema zu entfalten, und sitzt einmal als "Verteidiger" in der Mitte, wo man dann versucht möglichst ohne sich in Widersprüche zu verstricken, auf diese Thesen zu antworten. Am Ende werden die Bewertungen öffentlich bekannt gegeben. Trotz der mehrstündigen Prüfungen morgens und nachmittags, finden abends regulär die gewöhnlichen Debattiersitzungen statt.
Jetzt sind die Prüfungen zwar zu ende und der normale Rhythmus ist wieder etwas mehr hergestellt, aber dennoch durchziehen den Tag die Sitzungen mit Chöden Rinpoche, zu der aber nicht alle Mönche hingehen. Dank des bis oben hin gefüllten Zeitplan, der sich für die Mehrheit der Mönche so ergibt, hat leider mein Tibetischlehrer auch weiterhin keine Zeit sich mit mir zu treffen, wie schon den ganzen Monat. Das ist aber kein großes Hindernis, denn eine Sprache wie Tibetisch zu lernen, erfordert eh hauptsächlich Dinge wie Lernen von Vokabeln oder das Sprechen mit den Tibetern. Zumindest für mich auf der Ebene, auf der ich mich zur Zeit bewege. Die Grammatik ist nicht so sehr kompliziert, dass ich sie nicht auch aus den Büchern verstehen könnte, so dass sich selten Fragen ergeben die mir von ihm beantwortet werden müssten. Wir haben aber vorher eine Strategie für mich entwickelt, die es mir ermöglicht zur Zeit Fortschritte auch und gerade allein zu machen. Wenn sich dann doch Fragen ergeben sollten - meistens eher dazu wie bestimmte Ausdrücke korrekt benutzt werden als zur Grammatik - dann kann ich sie mir entweder aufschreiben und sammeln oder am Abend kurz für eine halbe Stunde zu ihm kommen und ihn fragen. Da ich aber weiß wie wenig Zeit er gerade hat, werde ich dies nur tun wenn es wirklich sein muss.
Im Januar wird Seine Heiligkeit der Dalai Lama in Bodhgaya unterrichten und Rituale anleiten und es wird eine Langlebens-Puja für ihn durchgeführt werden. Viele der Mönche meines Hauses fahren hin. Da ich bisher außerhalb des Klosters noch wenig von Indien gesehen habe und auch gerade Bodhgaya, Varanasi und Saranath und natürlich Seine Heiligkeit erleben möchte, werde auch ich mich anschließen. Auch Mönche aus Nalanda werden vermutlich dort sein, weil sie gerade zu dem Zeitpunkt eine Pilgerreise mit Geshe Jamphel durch Indien veranstalten. Die Fahrt dauert 5 Stunden nach Bangalore und von dort aus zweieinhalb Tage mit dem Zug. (Ich erspare es mir und den Lesern an dieser Stelle Horrorgeschichten über Indische Züge zu schreiben, wenn es derer auch mehr gibt als Sandkörner im Flussbett des Ganges.) Aus Zeitgründen würden Lhawang und ich es nicht schaffen noch rechtzeitig anzukommen, wenn wir mit dem Zug hin führen, weshalb wir auf dem Hinweg fliegen werden und nur auf dem Rückweg mit dem Zug fahren. Da er sich die Reise nicht leisten kann, bezahle ich seine ganzen Reisekosten, die sich wegen des Fluges ganz schön summieren. Für indische Verhältnisse. Aber zum einen kostet der Flug kaum das doppelte von der Zugreise, braucht aber nur 2 Stunden anstelle der zweieinhalb Tage, und zum anderen ist Lhawang in seinem Leben noch nie geflogen, hat selten ein Flugzeug auch nur von außen gesehen, und ist deshalb voller ekstatischer Begeisterung, wie ein kleines Kind, dass er jetzt Ende Dezember tatsächlich selbst einmal in einem mitfliegen darf. Wir kommen dann am letzten Tag dieses Jahres in Bodhgaya an und verbringen dort den Jahreswechsel, dort wo Buddha unter dem Bodhi-Baum die Erleuchtung anzeigte. Wenn dieses Datum auch eher zufällig so ist, und die Inder dem christlichen Jahreswechsel, wie mir versichert wird, keinerlei Bedeutung zumessen, werde ich trotzdem dieses Sylvester als ein besonderes erleben.
Gestern und heute hatten wir mal wieder kein Wasser in unserem Haus. Diese Situation hatten wir zuletzt immer mal wieder einige Tage lang vor dem Monsun, in der richtig heißen Zeit. Das ist besonders unangenehm wenn es darum geht sich zu waschen oder auf Toilette zu gehen, ist aber scheinbar für niemand sonst hier ein sonderlich unangenehmer Umstand. Alles Yogis um mich herum. Warmes Wasser haben wir ja sonst auch nicht, und Strom ungefähr ein knappes Viertel des Tages zu variierenden Zeiten, aber ob wir überhaupt Wasser haben oder nicht macht für mein Wohlbefinden jedenfalls zur Zeit noch einen nicht unerheblichen Unterschied. Aber glücklicherweise kam es vorhin vorläufig zurück.
Es wurde in einem Kommentar gefragt, ob bei all der Debatte hier im Kloster das Studium nicht zu kurz käme. Studium und Debatte sind in unserer Tradition keine voneinander leicht zu trennenden Dinge, ich bin sogar versucht die Debatte als das Studium anzusehen und die restlichen Aktivitäten nur als deren Unterstützung. Die Debatte hat natürlich in dieser Art wenig mit den Monologen zu tun, die wir im Westen darunter verstehen, sondern ist ein intensiver und schneller Dialog, der durch seine genauen Regeln für ein gleichmäßiges Hin und Her zwischen beiden Teilnehmern sorgt. Dabei ist der Nutzen nicht nur, dass man den Stoff immer wieder von allen Seiten durchleuchten muss, durch die ständig wechselnden Partner auch von viel mehr Seiten als man dort alleine in seinem Kämmerlein drauf kommen könnte, wodurch der Stoff selbst und auch das analytische Denken, wie es in der analytischen Meditation dringend gebraucht wird, trainiert wird. Man bekommt zusätzlich einen flexibleren Geist, weil die eigenen Ansichten wieder und wieder widerlegt werden, so dass man sich neue bilden muss, dass man die Konzentration schult, denn Unkonzentriertheit führt unmittelbar zu Selbstwidersprüchen, die mit viel Gelächter auf eigene Kosten quittiert werden, und nicht zuletzt bekommt man ein tieferes Verständnis dafür wie die ganzen Themen alle zusammen hängen, denn in der Debatte kommt man nicht selten vom hundertste ins tausendste, hangelt sich hinab in die Untiefen der Realität, um zu erkunden wo der Fehler in der Logik einer vertretenen Meinung liegen könnte. Kompliziert wird es manchmal vor allem für den "Angreifer", der dann, nachdem in solche Untiefen abgestiegen wurde, den ganzen Pfad rückwärts wieder aufsteigen muss, um darzulegen wie der Selbstwiderspruch des Verteidigers bei dem einen Thema, sich auswirkt auf das ursprüngliche. Dies erfordert einiges an Training und Konzentration.
Die Debatte macht den größten Teil des Verständnisses aus, und naturgemäß bleibt dabei wesentlich mehr, und dies auch wesentlich tiefer, hängen, als wenn man sich lediglich bei einem Vortrag berieseln ließe. Aber auch dies ist komplementär wichtig, um Anregungen für die Debatte zu geben. Dies findet am Nachmittag statt, anfangs 1 Stunde täglich, später dann nicht mehr jeden Tag. Vor allem Nachts bleibt dann noch etwas Zeit auch diverse Kommentare der großen Gelehrten zu lesen, um wiederum neue Ideen zu bekommen und auch seine Stellungnahmen durch Zitate belegen zu können. Um zitieren zu können, ohne ein Buch zur Hand zu haben, muss natürlich viel auswendig gelernt werden, was morgens und Abends ebenfalls geschieht, sogar verpflichtend. Dies alles ist kein Selbstzweck, sondern es sind perfekt zusammen passende Teile eines großen Systems, das meiner Meinung nach eine optimale Methode der Entwicklung von vollständigem und tiefgründigen Verständnis ist.
Samstag, 31. Oktober 2009
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AntwortenLöschenLieber Khedrup! Ist der Vorgang der Debattierprüfungen ähnlich wie bei uns, d.h. werden die Geprüften nach der Prüfung von den Prüfern auf ihre Fehler aufmerksam gemacht? Ich nehme ja an, dass "Angreifer" sowie "Verteidiger" immer irgendwelche "Gedankenfehler" machen und vielleicht ist dies ja nicht immer offensichtlich, besonders, wenn man noch am Anfang des Studiums steht? Geht eigentlich immer ein "Sieger" aus diesen Prüfungen hervor? Dann würde ich mich auch noch dafür interessieren, wann, also ab welchem Studiumsjahr, man mit diesen Prüfung beginnen muss? Oder ist dies einem freigestellt?
AntwortenLöschenIch danke Dir schon jetzt für Deine Antwort und wünsche Dir alles Gute, lieber Khedrup! Renée
Lieber Khedrup
AntwortenLöschenvielen lieben Dank für diese interessanten Berichte. Ich selbst habe einen Patenmönch in Haus 15 und weiß jetzt durch dich mehr von seinem Alltag, als durch Gonpos Mails.
ich wünsche dir in Sera alles Gute
Martina aus Leipzig