Samstag, 22. Januar 2011

Auf ein Wiedersehen

Liebe Leser

Einige Monate sind diesmal wieder vergangen seit meinem letzten Eintrag. Es gab diverse Ereignisse von denen ich ursprünglich zu berichten vorhatte. So wurde im nahen Kushalnagar und auch im Kloster ein generelles Plastiktütenverbot eingeführt, um die Umwelt zu schonen. Zuvor waren die Massen von Plastikmüll an den Straßenrändern ein großes Problem. Plastiktüten zu benutzen steht nun unter einer Geldstrafe und die meisten Läden geben nur noch kostenpflichtige Taschen aus einem anderen, stabileren Material aus oder auch, aus Zeitungen zusammen getackerte Papiertüten.

Ende August kam Seine Heiligkeit der Dalai Lama für einige Tage ins Kloster um eine Konferenz an zuleiten, mit Teilnehmern aus Politik, Wirtschaft und Religion aus vielen Ländern der Welt. Im Vorlauf der Konferenz und des Besuches Seiner Heiligkeit wurde wie üblich das Kloster auf Vordermann gebracht. In unserem Haus haben wir das Dach repariert, die Mauer gestrichen und den Garten zurecht gestutzt. Als Sicherheitsmaßnahme für Seine Heiligkeit und die Teilnehmer hat schon Tage oder Wochen vorher die indische Polizei damit begonnen alle Autos, die ins oder aus dem Kloster fuhren, zu kontrollieren und mit einer Videokamera alle Insassen zu filmen.

Ein für die Mönche ursprünglich auf eine Woche angesetzter Boykott der Rickshaws, wegen zu stark ansteigender Beförderungspreise, hat nach einigen Monaten Dauer nun schließlich dazu geführt, dass ein Busverkehr zwischen Sera und Kushalnagar organisiert wurde. Zwischenzeitlich war für die Mönche die einzige Möglichkeit der Stunden lange Fußmarsch, wenn es etwas im Dorf zu erledigen gab. Der Busverkehr und das Plastiktütenverbot sind gute Schritte in Richtung Umweltschutz.

Leider muss ich auch eine unerfreuliche Nachricht in diesem Blogeintrag überbringen, denn obwohl die Jahre in Sera die glücklichsten meines bisherigen Lebens waren, ist diese Zeit für mich nun früher als geplant zu Ende gegangen. Ich möchte mich herzlichst für die Unterstützung bedanken, ob finanziell oder in Form von Zuspruch, die mir meinen Weg sehr erleichtert haben. Ich habe wertvolle Dinge gelernt, über die Kultur, die Sprache, die Debatte und über mich.
In den Jahren habe ich viele Zuschriften bekommen, darüber wie inspirierend mein Klosterleben für manche Leser war. Bitte vergesst nicht, dass viele großartige Mönche wie Gen Sönam Wangden und Gen Tsewang Tobden noch immer dort sind, und mit stetem Fleiß und bemerkenswerter Disziplin studieren, meditieren und unterrichten und dabei einen unbeschreiblich liebevollen und offenen Geisteszustand bewahren.

Ich hoffe vielen von Euch bald im Tibetischen Zentrum wieder zu begegnen.

Sonntag, 1. August 2010

Drei Prüfungen und drei Fragen an verunsicherte Wissenschaftler

Neulich, als ich in Kushalnagar Obst kaufte, war dort eine große Aufregung, weil ein sehr großer Affe im Dorf herum lief. Ich sah ihn gerade noch behände über eine Mauer springen und danach hinter dieser Mauer die Strommasten und die dünneren Bäume schwanken. Hin und wieder war er noch zu sehen, während er sich im Zickzack über die Bäume von der Straße, auf der ich mich befand, entfernte.

Vor einigen Wochen kam Khen Rinpoche Geshe Losang Palden, unser Abt, zurück aus Taiwan von einer Reise und gab dann für viele Tage jeden Morgen eine Stunde Lamrim Unterweisungen, die unsere reguläre Debattierphase unterbrach. Seinen starken Kham-Dialekt fand nicht nur ich schwer zu verstehen, sondern auch die große Mehrheit der tibetischen Mönche mit denen ich darüber sprach. Die schäpprige Lautsprecher Installation, die wir auf dem Debattierhof haben, hat nicht sehr geholfen. Dennoch freute ich mich sehr darüber, denn die neuen Mönche, die teilweise ohne eine buddhistische Vorbildung hier ankommen, können mit einem solchen Überblick viel besser einsortieren, was sie gerade lernen.
Ungefähr zur gleichen Zeit brachte mir jemand aus Deutschland etwas Brot und Käse mit, worüber ich mich enorm freute!

Vor einer Weile begleitete ich für einen Tag meinen Lehrer Geshe Tsewang Tobden nach Mysore, wo wir darauf zu sprechen kamen, dass ich Ume, die tibetische Schreibschrift, die mich etwas an Steno erinnert, lernen will und für das Studium hier auch muss, und er zufällig ganz besonders gute Fähigkeiten darin hat und mich neben dem normalen Studium noch darin ausbilden kann. Das freute mich sehr und wir begannen kurz darauf damit. Kein Bisschen zu spät, wie ich bald feststellen durfte, denn eines Tages in der Morgendebatte wurden wir zusammengerufen für eine Ansage über die drei uns bevorstehenden Prüfungen. Eine Auswendiglern-Prüfung, eine Debattier-Prüfung und eine schriftliche, in welcher auch auf das Beherrschen eben dieser Schreibschrift geprüft wird. Die Prüfungen beginnen Mitte August. Schon jetzt bekam jeder einen Papierschnippsel, auf dem der eigene Name und eine Nummer stehen, die wir bei der Anmeldung und bei der eigentlichen Prüfung angeben müssen. Wenn alles gut geht, steige ich danach eine Klasse auf, von der "unteren kleinen Düdra" in die "kleine Düdra".
Inzwischen hat meine Klasse (auch ich) das erste Buch ("Der kleine Pfad der logischen Beweisführung") abgeschlossen und ist in der Mitte des zweiten Buches ("Der mittlere Pfad der logischen Beweisführung") angelangt. Zur Zeit bremst die Regenzeit uns etwas, denn oft fällt jetzt die Debatte aus, weil es zu stark regnet. Passend zur Regenzeit hat nun auch unsere jährliche Regenklausur begonnen. [Erläuterungen zu diversen Themen die ich hier anschneide finden sich in älteren Beiträgen dieses Weblogs.]

In den letzten Monaten war die Stromversorgung in Sera so schlimm wie, laut den Anderen, seit vielen Jahren nicht mehr. Teilweise war unser Haus für ein bis zwei Wochen am Stück komplett ohne Elektrizität. Lange genug ohne Strom verschwindet auch immer zuverlässig das fließende kalte Wasser. (Wie man in Indien die Toiletten benutzt ist sicherlich bekannt...) Hindernisse die langsam beginnen weniger Einfluss auf meinen Geisteszustand zu nehmen.

Während es mir kürzlich erstaunlich oft vor kam, dass sich im Gespräch mit mir Inder über Indien und vor allem aber die Inder als solche beschwerten und Hitler dafür lobten, so tolle "Regeln" eingeführt zu haben die von den Deutschen so super eingehalten würden, und die meisten Tibeter eine Zeit lang von wenig anderem als der Fußballweltmeisterschaft sprachen und mich trotz bekundeten Desinteresses darüber auf dem Laufenden hielten wie es Deutschland dabei erging, vollendete der von mir in diesem Weblog schon viel gelobte Sönam Wangden, mein Tibetischlehrer, mit dem ich leider Probleme habe gemeinsame Zeit für Unterricht zu finden, unbeirrt sein neues Buch und veröffentlichte es genau zum Geburtstag Seiner Heiligkeit, des 14. Dalai Lama. Dieses Buch ist etwas ganz besonderes. Doktor Samdong Rinpoche Lobsang Tenzin, der tibetische Premierminister und ein sehr großer, geachteter Gelehrter, dessen viele Errungenschaften kaum in einem Leben unterzubringen scheinen, hatte einst darauf hingewiesen, wie wichtig für das Überleben der tibetischen Kultur das Überleben der Sprache sei, und dass es kein Werk über das Verfassen von Texten gäbe, welches die literarischen und sprachlichen Entwicklungen der letzten Jahrhunderte und vor allem Jahrzehnte berücksichtige. Er forderte dann auf ein solches Buch zu verfassen, eine große Aufgabe die Sönam Wangden jetzt ganz nebenbei erfolgreich zum Abschluss brachte. Das Resultat ist ein tibetisches Buch wie ich es sonst noch nicht gesehen habe, in Layout, Aufbau und Inhalt. Er hat sich sehr stark von westlichen Lehrbüchern und der Art über Grammatik zu schreiben inspirieren lassen. Das ganze Buch sieht vom Cover bis zu jeder einzelnen Seite so professionell aus, als wäre es von einem Deutschen Verlag für viel Geld hergestellt worden. Und anstatt alles in einem kaum unterbrochenen Fließtext unterzubringen und aufzuzählen, wie es üblich gewesen wäre, verwendet er viele übersichtliche Diagramme, unterschiedliche Schriften und mathematische Symbole um grammatikalische Strukturen zu verdeutlichen. Ich bin sehr angetan!

Wo ich gerade über Dinge schwärme die meine Lehrer tun, möchte ich noch kurz erwähnen wie mich Gen Tsewang Tobden verblüffte, als er mir von einer Konferenz hier im Kloster erzählte, bei dem die hohen Lehrer sich mit einigen Wissenschaftlern zu einem Dialog trafen. Während des Vortrags darüber wie sich diese Wissenschaftler die Welt und das Weltall vorstellen und die physikalischen Zusammenhänge, hatte er die Gelegenheit drei Zwischenfragen zu stellen. Ganz simple Fragen, die mich vor allem dadurch beeindrucken wie mutig einfach sie sind, das Grundlegendste hinterfragen. Auf seine Frage, wie zu beweisen sei, dass die Erde um die Sonne kreise, zeigten sie ein Modell aus Bällen, der mittlerste die Sonne. Genla konterte, man könne genauso gut den mittleren Ball als Erde deklarieren, - das Modell könne sie Sichtweise erklären aber sie nicht beweisen. Ob sie ihm Videos zeigen könnten als Beleg, auf denen man es unzweideutig erkennen könnte, wurde verneint und sie scheiterten auch daran es anderweitig zu beweisen, was sie schließlich zugeben mussten. Er zweifelt natürlich nicht ernsthaft an der Tatsache, aber gerade deshalb imponiert mir wie er nach Beweisen fragt, wo ich als Westler nur blind akzeptiere. Er ging noch weiter und die von seinen cleveren Fragen ausgelöste Ratlosigkeit führte zu viel Gelächter. Die folgenden beiden Fragen waren dann wesentlich ausgefeilter und hinterfragten Ansichten der Neurologie und der Atomphysik.

Sonntag, 13. Juni 2010

Unser Premierminister zu Gast im Kloster

Nachdem ich die Aufnahme des inspirierenden Vortrags von meinem kostbaren spirituellem Vater und Lehrer Geshe Pema Samten im Völkerkundemuseum gehört habe, in welchem er unter anderem von seiner Studienzeit in Sera erzählt, drängt es mich noch mehr Fleiß in mein eigenes Lernen zu legen, und so habe ich nun arrangiert doch wieder Tibetischunterricht von Sönam Wangden zu erhalten, den ich zu Gunsten des philosophischen Studiums zunächst ausgesetzt hatte. Mit etwas mehr Anstrengung schaffe ich sicher dann doch beides gleichzeitig, und wenn ich dafür wie Genla noch früher aufstehen muss, um heimlich im Maisfeld zu üben.
Das Maisfeld brauche ich dafür wahrscheinlich noch nicht mal aufzusuchen.
Alleine durch das Studium, welches natürlich vollständig in Tibetisch stattfindet, verbessert sich zwar mein Sprachverständnis, aber da das alltägliche Konversationstibetisch so verschieden ist von der philosophischen Sprache, sowohl in Vokabular als auch Grammatik, halte ich eine gesonderte Anstrengung für die ansonsten vernachlässigte Alltagssprache für wichtig.

 Vor einigen Tagen kamen einige neue Mönche aus Australien, die dort frisch ordiniert wurden. Somit ist die Zahl der "Westlichen" Mönche nun auf sagenhafte 14 gestiegen. 10 davon leben zusammen im IMI-Haus und die restlichen, so wie ich, in verschiedenen Häusern bei den Tibetern. Hoffentlich halten sie eine Weile hier aus und treten wie geplant nächstes Jahr dem Studienprogramm bei. Wie es mein Lehrer, Gen Tsewang Tobden, sagte, es gibt so wenige Westler die es her schaffen, und davon schaffen es so wenige lange hier zu bleiben, und von denen die lange hier bleiben schaffen es nur wenige das Studium zu vollenden. Je mehr also her kommen, desto größer die Chance am Ende einige ausgezeichnete Gelehrte zu hervorzubringen, die so dringend gebraucht werden.

Seit gestern Abend regnet es durchgehend. Ich freue mich darüber, es weht ein ziemlich kühler Wind, die dichte Wolkendecke hindert die Sonne daran ihre heißen Strahlen bis runter zu uns zu schicken, überall gibt es ein dezentes Prasseln und Plätschern als Geräuschkulisse, die Luft riecht nass und lebendig, die Pflanzen nutzen ihre Chance zur grünen Explosion und alles glitzert und schimmert. Am meisten freut mich die Abkühlung, während die Tibeter meines Hauses frieren, stelle ich mich in den nass-kalten Wind, schließe die Augen und denke: Nordsee.
Wenn es regnet fällt die Debatte aus oder ist wenigstens nicht obligatorisch. Manche gehen dennoch, debattieren dann unter einem schmalen, länglichen, überdachten Bereich des Debattierhofs. In diesem drängen sich dann viele hundert Mönche eng aneinander und müssen sich wegen der Lautstärke und des Halls gegenseitig in die Ohren schreien um sich zu hören. So wäre ich gestern auch beinahe ertaubt, weil es keine Mitte zwischen den Extremen zu geben schien; sich gar nicht zu hören oder die Vibrationen und den Luftausstoß des Debattierpartners als Schmerz auf meinem Trommelfell zu spüren. Zusätzlich ergab es sich auch noch, dass ich an einen Amdopa geriet, dessen Dialekt sehr stark ausgeprägt war. Der Dialekt aus Amdo wird glaube ich generell als derjenige akzeptiert, der für andere am schwersten zu verstehen ist. Später setzte sich Puntsog, ein Khampa meines Hauses, zu uns, und versuchte an dem Gespräch teilzunehmen, scheiterte aber daran kein Wort des Amdopas zu verstehen. Er wandte sich bei jedem Satz mit verzweifeltem Blick an mich, damit ich für ihn zwischen den beiden tibetischen Dialekten übersetzen sollte. Ich bin vielleicht geübter darin, aus einzelnen verstandenen Worten und dem Kontext einen passenden Gesprächsbeitrag zu erraten.
Bevor die Debatte begann, versammelten wir uns an der Straße entlang in einer langen Reihe mit weißen Schals und Blumen, um unseren Premierminister Samdong Rinpoche Lobsang Tenzin willkommen zu heißen, der unter den Tibetern überall als großer Gelehrter mit so vielen akademischen Errungenschaften gepriesen wird, dass man sie kaum innerhalb eines Lebens erreichen kann. Er ist für eine große Konferenz in Sera, zu welcher Repräsentanten aus den großen Klosteruniversitäten und den Tantra-Kollegs sowie Politik und Wissenschaft geladen sind. Die Themen sind unter anderem Wissenschaft und Buddhismus, Abschätzungen des Nutzens für die Klöster und den Buddhismus von mehr wissenschaftlicher Ausbildung in den Klöstern, eines "modernen Buddhismus". Da fast alle Exilklöster unserer Tradition und die tibetische Exilregierung repräsentiert sind, kann am Ende eine einheitliche Position vertreten werden.

Montag, 31. Mai 2010

Saka Dawa, Stromlos, Nudelüberraschung

Einen schönen Saka Dawa wünsche ich nachträglich allen Lesern. Der eigentliche Feiertag war Donnerstag (27.5), aber der ganze Monat gilt als Glück verheißend. Donnerstag hatten wir einen schönen großen gelben Vollmond in einem schwarzen Himmel mit wenigen Wolken, die in ein bezauberndes Licht getaucht wurden. Dies als Hintergrund, stehen die mit bunten Lichterketten dezent geschmückten, großen Tempel des Klosters in angemessenem Rahmen. 
Die Lichterketten werden von Batterien gespeist, die über Solarpanele aufgeladen werden, denn sonst wären sie dunkel wie der Rest des Klosters, da wir zur Zeit mehrere Tage pro Woche überhaupt keinen Strom haben, und wenn doch, dann nur sehr kurz (wenige Minuten). Die Stromversorgung ist instabiler geworden in letzter Zeit, noch mehr als zuvor. Es ist allerdings sehr oft nur unser Haus betroffen, unsere Nachbarn und der Rest des Klosters hat die normalen 6 Stunden Strom pro Tag, meistens. Ich bin versucht zu meinen "leider nur unser Haus", denn das reduziert die Chancen auf Reparatur sehr. Man müsse nur die richtigen Inder bestechen, dann würde es repariert, sagen die einen. Wenn ich versuche herauszufinden, wer die richtigen Inder sind, sagen die anderen, das könne ich nicht tun, denn sobald ich ihnen einmal Bestechungsgeld gegeben habe damit sie die Leitung reparieren, werden sie nie wieder ohne diesen Anreiz kommen, und zusätzlich eventuell sogar die Leitung mutwillig beschädigen um öfter gerufen zu werden. So bleiben mir nur Dunkelheit, Kerzenlicht und der Wunsch auf eine Solaranlage, denn Sonne haben wir mehr als genug.

Im letzten Eintrag erwähnte ich meine Lebensmittelvergiftung. Diese war offenbar doch noch nicht vorbei, denn kurz darauf hatte ich einen Rückfall, zwar schwächer als zuvor, aber dennoch Zeit raubend. Vor ungefähr zwei Wochen wurden Ehrungsfeiern für diverse Mönche abgehalten, die in die Lharamklasse eingetreten sind, unter anderem auch der Lehrer unseres Hauses Yama Dorje. Wir befinden uns allerdings gerade in verminderter Besetzung in unserem Haus, da noch immer viele Mönche in Sikkim sind. Sie kommen vermutlich in der ersten oder zweiten Juni Woche zurück nach Sera.

Seit einer Weile hat sich noch eine zweite Eidechse in meinem Zimmer niedergelassen. Es ist mir eine große Freude den beiden zuzuschauen, leider sind sie sehr scheu, schon eine schnelle Kopfbewegung meinerseits kann sie verschrecken. Da die beiden etwas unterschiedlich groß sind, habe ich sie Tsangchen und Tsangchung (von rtsangs pa) getauft. Ich hoffe sie bleiben hier wohnen, denn sie bringen mich häufig zum Lachen. Neulich jagte Tsangchen eine Kakerlake hinter meinem Schreibtisch hervor. Die meisten Kakerlaken sind deutlich größer als die Eidechsen, aber diese war noch sehr jung. Die Eidechse jagte offenbar nicht um die Kakerlake tatsächlich zu fangen, denn sie hielt einen konstanten Abstand. Ich weiß nicht ob Eidechsen Territorien haben, aber so sah es für mich aus. Ich nutzte die Gelegenheit um die Kakerlake, die völlig abgelenkt war, einzufangen und raus zu bringen. Die ausgewachsenen Kakerlaken werden hier gut Zeigefinger groß, die Eidechsen sind eher kleiner.

Apropos Kakerlaken. Neulich kochte ich Nudeln und von der Tüte ins kochende Wasser fielen ein paar Kakerlakenbeine. Ich erschrak, sie mussten wohl an der Außenseite der Tüte geklebt haben. Wir haben reichlich Kakerlaken, also war es nur deshalb verwunderlich, weil ich sie nicht vorher gesehen hatte. Ich fischte die Beine aus dem Topf, zum Glück schwammen sie an der Oberfläche. Als ich dann den Rest des Tüteninhalts in den Topf entleerte, fiel die restliche tote Kakerlake in einem Stück aus der Tüte ins Wasser. Seit dem inspiziere ich die Nudeln sehr genau beim Kauf. Einem anderen Mönch glaubte ich damals nicht recht, dass ihm das gleiche mal mit einer Milchtüte passiert sei. Jetzt schon. 

Ich würde gerne meine (beiden) Leser nochmal dazu auffordern sich zu melden, mir mehr Rückmeldung zu geben. Nur durch Rückmeldungen kann ich einschätzen wie nützlich es tatsächlich ist hier Einträge zu schreiben, und welche Themen von Interesse sind. Ganz besonders würde es mich freuen Fragen oder Themenvorschläge zu bekommen. Welche Aspekte unseres Klosterlebens werden gerne gelesen und welche langweilen?

In der Hoffnung, dass alle Kreisgänger viel Freude an der heilsamen Praxis geistiger Entwicklung haben mögen,
Khedrub.

Dienstag, 4. Mai 2010

Kleine Debattierklasse und Aufforderungen zu mehr Meditation

Wiedereinmal liegt mein letzter Eintrag wesentlich länger zurück als gewünscht, bevor ich nun endlich dazu komme einen neuen zu verfassen. An mangelnden Vorsätzen einen zu verfassen lag es nicht, jedoch ist der einzige Tag, an dem ich eine realistische Chance habe sie umzusetzen, Dienstag, unser einziger freier Tag. Da unter der Woche für nichts Zeit ist außerhalb des Studiums, konzentrieren sich alle anderen Tätigkeiten, vom Waschen bis zum Einkaufen, auf diesen einen Tag.

Meine Debattierklasse ist noch sehr klein, weil das (tibetische) Jahr noch jung ist, aber vor allem wegen des generellen Schrumpfungstrends der neuen Klassen von Jahr zu Jahr. Es wird den Tibetern seit langem zunehmend schwerer gemacht aus Tibet zu fliehen, und ohne den Strom neuer Flüchtlinge bleiben hier auch die neuen Mönche aus. Es ist noch nicht lange her, da war es kaum vorstellbar eine neue Klasse aus unter hundert Mönchen zu haben. Meine Klasse hat zur Zeit zwischen 30 und 50. Zu meiner Erleichterung gehöre ich mit meinen 27 Jahren noch nicht zur Spitze der Alterspyramide, sondern liege beinahe genau im Durchschnitt, der bei Anfang/Mitte 20 liegen dürfte. Es gibt wenige die knapp unter 20 sind und sehr wenige über 30. Dass es überhaupt welche jenseits der 40 gibt, die noch mit dem Studium beginnen, welches nicht zu vergessen inzwischen gut 20 Jahre dauert, finde ich bemerkenswert.

Zur Zeit bin ich der einzige Westler in meiner Klasse, aber mehrere kommen aus der Mongolei, Sikkim, Nepal und so weiter. Teilweise sind deren Kenntnisse der tibetischen Sprache noch sehr schwach, sogar aus meiner Perspektive, und so existiert zwischen uns eine implizite Verbundenheit. Doch auch mit den meisten Tibetern macht mir das Debattieren viel Spaß, sofern sie sich nicht gerade ihrem Dialekt aus Amdo hingeben oder die Definitionen und Unterteilungen nicht gut kennen. Es kann zwar ganz nett, beinahe entspannend sein, wenn der Debattierpartner sich mit jedem zweiten Satz direkt und wiederholt widerspricht, aber neue Denkansätze und Weltbild umstoßende Ideen bringen mir eher diejenigen Debatten, in denen durch cleveres Nachfragen die Lücken im eigenen Verständnis zu Tage gefördert werden.

Saka Dawa als Anlass, werden mehrere Mönche aus Sera, unter anderem auch mein Zimmernachbar Lhawang, für anderthalb Monate nach Sikkim reisen, um dort Pujas durchführen. Und in wenigen Wochen wird leider auch Gen Tsewang Tobden, mein Peti-Gen, für 50 Tage Sera verlassen, weil er nach Taiwan eingeladen wurde. Er berichtete mir, dass er eigentlich gar nicht gehen wolle, weil er so viele Schüler hier allein lassen müsse, und daher versucht hat seine Gastgeber herunter zu handeln, weil sie ihn eigentlich für 90 Tage haben wollten. Mich stellt seine bevorstehende Abwesenheit vor das Problem in der Zeit keinen Unterricht erhalten zu können, der normalerweise die Debatte begleitet und befruchtet. Sönam Wangden, mein (zur Zeit ehemaliger) Tibetischlehrer, hat sich bereit erklärt mir bei Bedarf ersatzweise Erklärungen zu geben. Ich hoffe das wird reichen. Aber irgendwie wird es klappen. In letzter Zeit komme ich immer mehr zu einer sehr entspannten Haltung was mein Studium hier angeht, vor allem durch die Betrachtung des Ganzen als ein unglaublich langer Zeitraum. Selbst wenn mir jetzt aus dem einen oder anderen Grund etwas entgehen sollte, spielt das langfristig keine Rolle, denn es wird wieder und wieder dran kommen. Außerdem ist dieses Studienprogramm, wie mir auch von anderen bestätigt wurde, gar nicht darauf ausgelegt jedem zur gleichen Zeit jede mögliche Betrachtungsweise des aktuellen Gegenstandes bei zu bringen, sondern eher auf einer Meta-Ebene die Art zu denken und zu analysieren beizubringen, den Geist daran zu gewöhnen und ihn zu trainieren, und ihn so zu befähigen später alles selbst zu untersuchen. Zu versuchen jetzt tatsächlich jede mögliche Debatte zu einem Thema einmal zu führen und zu erwarten dies auch zu erreichen, ist also nicht nur vergeblich, sondern auch in gewisser Weise am Thema vorbei. Schließlich geht es hier nicht darum einen Titel zu bekommen, Preise zu gewinnen oder Fachwissen anzuhäufen, sondern ein guter Mensch zu werden und dabei möglichst vertraut mit der Lehre zu werden. Die letzten zwei Wochen, bis gestern, bin ich durch eine Lebensmittelvergiftung vom Studium abgehalten worden, wobei ich aber wenigstens keine Peti verpasst habe, weil Gen Tsewang Tobden eh in Mysore war um etwas zu erledigen und daher mich nicht unterrichten konnte. Doch anstatt mich jetzt zu sorgen, ob ich vielleicht zurückgeworfen sein könnte, freue ich mich darauf meinen Wissensdurst nun wieder am klaren Quellbach des Dharma stillen zu dürfen.

In den letzten Wochen oder Monaten begegnet es mir immer öfter, dass Lehrer hier in Sera uns ganz direkt und von Dringlichkeit beseelt dazu raten mehr zu meditieren. Meditation soll studiumsbegleitend eingeübt werden und wäre sehr wichtig, da ansonsten das Studium sogar ein Gift werden kann. Ohne die Meditation kann es schnell passieren, sobald man auch nur ein klein wenig verstanden hat, dass man stolz entwickelt und auf die anderen herab schaut, vielleicht sogar ärgerlich wird, wenn sie einem widersprechen oder "die eigene Zeit verschwenden". Dann ist das Studium zu einem Gift geworden. Ich fühlte mich tief berührt, als Gen Tsewang Tobden mir zu diesem Thema neulich eine aus seiner eigenen Erfahrung entspringende Belehrung gab. Betreffend meiner Lehrer bin ich durch und durch mit kostbarsten Juwelen überhäuft.

Donnerstag, 11. März 2010

Meine erste Debatte

Ein aufregender und besonderer Tag in meinem Leben. Die erste Debattiersitzung (jedenfalls die erste auf Tibetisch, die offiziell Teil des Studienprogramms ist) gilt generell als etwas ziemlich besonderes; wenn andere Mönche es mitbekommen gibt es häufig den Ausruf "wie Glück verheißend!"
Sehr ungewöhnlich fing mein Tag auch an, nachdem er von einer kurzen, nur durch 3 Stunden Schlaf gewürdigten Nacht angeführt wurde. Ich stand um 5 Uhr auf, scheinbar als erster und, für noch über eine Stunde, einziger meines Hauses. Seltsam, aber erklärbar. Die erste Debattiersitzung um 8 Uhr fest im Auge, machte ich meine morgendliche Praxis, duschte, frühstückte, und so weiter, wobei ich beim Teekochen leider den Glasdeckel meines Zuckerwürfelglases fallen ließ, der in ungewöhnlich viele kleine Teile auf dem Boden zersplitterte. Da man sich hier in den Zimmern ausschließlich Barfuß bewegt, keine uninteressante Angelegenheit, und es war noch zu früh um meinen kleinen Handstaubsauger aus Mysore zu betreiben, aber der Strom wäre bald weg und erst am Nachmittag wieder da. Bis zum Nachmittag also in meinem Zimmer Badelatschenpflicht. Wenigstens die groben Scherben zusammen fegen wollte ich, griff nach dem Bündel zusammengebundener Halme, die meinen Besen darstellen, und schreckte dabei eine Familie Kakerlaken auf, die dieses Bündel für ein gutes Versteck gehalten hatten. Den "Besen" und seine Bewohner bereits in der Hand, öffnete ich rasch die Tür und beförderte beides miteinander in einer schnellen Bewegung hinaus.

Als ich gegen Viertel vor Sieben in meinem Zimmer noch rasch versuchte einige wichtige Debattiervokabeln in meinen Kopf zu füllen, und mir insgeheim ausmalte wie schön es doch wäre, wenn die Debatte erst um 9 beginnen würde, damit ich mehr Zeit hätte auswendig zu lernen, bemerkte ich, dass einige Mönche das Haus verließen, aber ohne Debattierkissen. Sehr ungewöhnlich. Also ging ich raus und fragte den gerade vom Frühstück heimkehrenden Karma Trinley, ob die Debatte etwa erst um 9 stattfinden würde. "Nicht um 9, nur um 6 Uhr abends! Wir haben doch Off-Session." Dass Eintrittsprüfungen auch in Off-Sessions stattfinden, in denen die morgendliche Debatte zu Gunsten des Auswendiglernens aussetzt, war für mich eine Überraschung, aber eine gute. Ich wurde schon etwas nervös bezüglich meines heutigen gedachten Zeitplans, der ohne eine Minute Pause nach der Debatte sofort den Unterricht (Peti) mit Gen Tsewang Tobden vorsah, danach bürokratischen Papierkram, die Nachbereitung des Unterrichts und dann sofort die nächste Debattiersitzung, abgeschlossen vom nächtlichen Auswendiglernen/Rezitieren. Jetzt sah das alles auf einen Schlag sehr viel entspannter aus.


Inzwischen ist mein erster Debattiertag fast zuende, es liegen nur noch 2 Stunden Auswendiglernen vor mir. Als es so weit war und ich mich auf den Weg zum Debattierhof machte, war ich eigentlich gar nicht so nervös oder aufgeregt wie ich erwartet hatte. Ich war etwas früher als die anderen Mönche losgegangen, weil ich vorhatte noch schnell etwas essen zu gehen, worin ich jedoch scheiterte, und kam also eine viertel Stunde vor Beginn an. Es waren noch nicht viele Mönche auf dem Debattierhof eingetroffen. Die beiden recht dicht am Eingang sitzenden fragte ich, wo sich denn die DuChung, also meine Klasse, treffen würde. Auch sie waren offenbar neu, und meinten ich könnte einfach da bei ihnen warten, weil das der gesuchte Treffpunkt wäre. Zum Glück brannte die Sonne um 18 Uhr nicht mehr so stark herunter und stand vor allem in einem Winkel, der es dem Tempel ermöglichte fast dem ganzen Hof Schatten zu spenden. Nach einer ganzen Weile erschienen auch Mönche meines Hauses. Als Losang Puntsog und Tenzin Tsering eintrafen gesellte ich mich zu ihnen, und hielt mich dann auch für den ganzen restlichen Abend an sie. Bald begann die Debatte und erst schaute ich mich etwas hilflos um nach einem Debattierpartner, denn es schien mir beinahe als wäre keiner für mich übrig. Tenzin Tsering lud mich ein mit ihm zu debattieren. Ich hatte große Probleme mit seinem Dialekt und seinem sehr fortgeschrittenen Debattiervokabular, welches erst in späteren Kapiteln unseres Textbuches eingeführt wird. Alleine seine Worte zu hören erforderte viel Anstrengung, wegen der hohen Lautstärke die hunderte von laut rufenden Mönchen um einen herum erzeugen können.



Wir debattierten eine halbe Stunde, bis er mit Puntsog den Platz tauschte. Puntsog spricht etwas dialektfreier, aber hat bisher noch nichts auswendig gelernt und auch noch keinen Unterricht besucht. Er fragte, ohne die strikte Debattierform zu verwenden, danach ob Huhn oder Ei zuerst gewesen wären und ähnliche zusammenhanglose Themen, mit einem peinlich berührten Lachen. Hätten wir Englisch gesprochen wäre ich versucht gewesen ihm zu erklären, dass das Ei ein paar Millionen Jahre vor dem Huhn da war, ließ es dann aber, auch weil es ja bestenfalls eine Unterstützung der Ablenkung vom eigentlichen Thema gewesen wäre. Also übernahm ich die Rolle des Herausforderers und er setzte sich hin zum Verteidigen. Hier ergab sich die Schwierigkeit, dass er nicht nur den Text noch nicht gelernt hatte, sondern auch mit der formalen Art zu Antworten nicht vertraut war und so auf meine Fragen oft unabsichtlich und unbewusst Unsinn antwortete. Die neben uns Debattierenden haben sich ziemlich darüber amüsiert, dass ein Westler bei seiner ersten Debattiersitzung einem Tibeter (bei seiner ersten Sitzung) so Haus hoch überlegen ist, und das obwohl ich wirklich nur die einfachsten Beispieldebatten durchgegangen bin und ein paar Definitionen und Unterteilungen abgefragt habe. Obwohl ich in dieser Situation natürlich nicht viel dazu lernen konnte von ihm, fand ich diese Erfahrung nach der vorhergehenden Debatte mit Tenzin Tsering sehr aufbauend.

Ich weiß, dass er schon in wenigen Tagen, wenn er angefangen hat zu studieren, mich weit überholt haben wird, auf Grund meines begrenzten Vokabulars. Heute und in den letzten Tagen beim Unterricht habe ich mich Großteils damit über Wasser halten können, dass ich bereits einige Erfahrung mit den Themen und sogar der Debatte selbst in der Englischen Sprache sammeln konnte.

Nach einer Stunde versammelten sich alle Mönche in einem sehr dicht gefüllten Halbkreis bzw. Halboval und rezitierten für eine gute Stunde diverse Gebete, gefolgt von diversen Ankündigungen wann was in den nächsten Tagen stattfindet und ähnliches. Danach durften wir dann wieder debattieren. Ich setzte meine Debatte mit Puntsog fort. Was mir auffiel war die äußerst heitere Stimmung. Scheinbar alle auf dem Debattierhof hatten Spaß bei der Debatte. Vielleicht war das aber lediglich meine Projektion, dank meiner eigenen äußerst positiven Stimmung, ob meines ersten Tages in der Debattierklasse.

Danach gingen Puntsog und ich gemeinsam heim und unterhielten uns noch, er war recht erstaunt über meine Vertrautheit mit den Formalitäten der Debatte und ich erzählte ihm vom Kloster Nalanda in Frankreich, und vom Tibetischen Zentrum in Hamburg, wo schließlich auch von einigen Westlern debattiert wird.

Jetzt muss ich dringend Lernen, besonders Vokabeln, Definitionen und Unterteilungen. Das Handwerkzeug.

Dienstag, 9. März 2010

Eintritt in die Debattierklasse

Nach dem ich mir lange überlegt habe, bei wem ich Unterricht (Peti) nehmen soll und mir von vielen Mönchen Empfehlungen angehört habe, fiel letztendlich meine Entscheidung auf Gen Tsewang Tobden. Er spricht ein sehr akzentfreies, langsames und deutliches Tibetisch und kann sogar einige wenige Worte Englisch. Er hat bereits sehr viele Schüler, weshalb es nicht sehr wahrscheinlich war, dass ich sein Schüler werden konnte, aber es hat zu meinem Glück dann doch geklappt. Seit 4 Tagen erhalte ich jetzt von ihm Unterricht zu den Texten, indem er mögliche Debatten aufzeigt und mich generell in die Texte einführt, sie auch Silbe für Silbe erläutert.  
Heute war das Eintrittsexamen für die Debattierklasse. 
Wir, also die 4 anderen Mönche meines Hauses die der neuen Klasse beitreten, ein Geshe der uns begleitete, und ich, trafen uns um 6:30 vor unserem Haus. Dann gingen wir, mit einer vollen Teekanne und jeweils einem Katag und Geldumschlag zusammen zum Sera Jey Dratsang. Wir waren die ersten dort und warteten fast eine Stunde, bis endlich auch die eintretenden Mönche der anderen Häuser sich versammelten. Insgesamt waren es dann gut 30 Mönche. Schließlich durften wir rauf und uns auf dem Obergeschoss in einer Reihe aufstellen. Wir wurden einzeln aufgerufen und gingen dann im Gänsemarsch die Treppe hinauf, in den Vorraum von Ken Rinpoche Geshe Losang Paldens Zimmer. Er konnte leider nicht anwesend sein, nur sein Stellvertreter. Ich stellte überrascht fest, dass einige der anderen Mönche viele Ermahnungen brauchten, bis sie es schafften ihre Kleidung halbwegs respektvoll in Ordnung zu bringen. Nach 3 Niederwerfungen übergaben wir die Katags und Geldumschläge auf den Thron von Ken Rinpoche, die mitgebrachten Teekannen wurden übergeben und wir setzten uns gesittet in 3 Reihen an die Seite des Raums. Kaum saßen alle, irgendwie zusammen gequetscht, wurden wir gleich wieder aufgescheucht uns anders hin zu setzen, in Richtung des Throns, an einer anderen Wand. Diesmal landete ich in einer Ecke neben einem Staubsauger, dessen Präsenz mich ziemlich erstaunte. Es wurden Pappbecher ausgeteilt und mit einem Schluck Buttertee befüllt, aus den mitgebrachten Teekannen. Ein Schluck ist keine Untertreibung, der Tee bedeckte kaum den Boden des Bechers, zu meinem Glück, denn ich mag Buttertee nicht sonderlich. Es folgten die Rezitationen der Gebete, die der Gegenstand dieser Prüfung waren. Offenbar ging es aber weniger darum die Textfestigkeit der Einzelnen Teilnehmer zu prüfen, als eher das Zustandebringen einer vernünftigen Rezitation als Gruppe.
Anschließend gingen wir zusammen zum Disziplinar. Er schien überrascht, gar überrumpelt zu sein, und als wir uns dann nach einiger Wartezeit vor seinem Haus, in seinen Hauseingang hinein begeben durften, hielt er uns, in Unterrock und gelber Mönchsweste, eine lange Rede über die Vorteile des fleißigen Studierens und guten Verhaltens und die Konsequenzen vom Gegenteil, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Wir knieten alle zusammengedrängt vor ihm und alle schauten auf den Boden, weil es offenbar unschicklich wäre ihm in die Augen zu sehen, was mir jedoch einige Mühe bereitete, denn ich finde es schwierig zuzuhören ohne Augenkontakt zu suchen, besonders in einer Sprache die von mir viel Konzentration erfordert. Plötzlich sprach er mich an und fragte woher ich komme, in welchem Haus ich wohne, wer mein Lehrer sei. Dann erhielt ich Lobpreis von ihm für das, was aus mir mal werden könnte, welch großen Nutzen es hat wenn ich später im Westen unterrichte. Unverdiente Vorschusslorbeeren aber ein Ansporn mich anzustrengen. Danach ging meine zukünftige Klasse auseinander, jede Gruppe zu ihrem respektiven Khangtsen. Im Tehor Khangtsen gingen wir zu unserem eigenen Disziplinar, knieten zu siebent vor ihm, sagten unsere Namen und Hausnummern. Auch er hielt dann eine Rede über die Vorteile des guten Studierens und ähnliches, und ließ es sich nicht nehmen immer mal wieder auf mich anzuspielen, beispielsweise als Verdeutlichung von wie weit her die Mönche anreisen um hier studieren zu können. Als wir seinen Raum verließen gab er uns jeweils eine Hand voll Bonbons, dann gingen wir zu unserem Haus zurück. 
Lhawang sah uns kommen und sagte mir "jetzt bist du ein wirklicher Sera Mönch", obwohl er dann keine Antwort wusste, als ich ihm nahe legte, dass seiner Aussage an Durchdringung fehle, da ich ein Sera Mönch war seit ich dem Kloster formell beitrat vor über einem Jahr.
Morgen ist der Jahrestag des Tibetischen Aufstandes gegen die Chinesische Besetzung, weshalb erst übermorgen, also Donnerstag, die Debatte beginnt.Jetzt bin ich also im unteren Dü-Chung.

Morgen hören wir gemeinsam eine Rede von Seiner Heiligkeit dem 14. Dalai Lama an und machen einen Protestmarsch mit Kerzen.

PS. Es waren nur ca. 30 Mönche heute morgen, weil im Laufe des Jahres noch mehr und mehr neue Studenten hin zu kommen werden, und weil durch die verschärften Grenzkontrollen der Chinesen immer weniger Tibeter fliehen können und den Klosteruniversitäten beitreten. Die Klassen werden von Jahr zu Jahr kleiner, wegen der wenigen Neuankömmlinge aus Tibet.

Sonntag, 14. Februar 2010

Frohes Neues Jahr 2137

Frohes Neues Jahr!
Heute ist das Tibetische Neujahr, Losar. Willkommen 2137, Eisen-Tiger-Jahr. Wie beginnt ein solcher, vermutlich der größte Feiertag hier im Kloster? Am Tag vorher wird das Kloster geputzt, um das Neue Jahr willkommen zu heißen. Der erste Tag des neuen Jahres, also Losar selbst, beginnt nicht mir einer Puja oder zwei, sondern mit vier Stück, angefangen um 4 Uhr morgens. Man begeht das neue Jahr direkt mit einer gemeinschaftlichen, nein mit vier gemeinschaftlichen Dharmaaktivitäten. Sehr gut, aber anstrengend. Manche der Mönche haben bis kurz vor 1 Uhr Nachts reingefeiert und das neue Jahr dann mit lauten Grußrufen empfangen. Gut 2 Stunden später stand man dann wieder auf. Wenn ich von Feiern spreche, meine ich entspanntes Zusammensitzen, reden, Filme schauen.
Auch heute wieder ist die Sehnsucht nach dem Heimatland für die Tibeter besonders stark, öfters hört man Dinge wie "Losar ist so schön, in Tibet!", gefolgt von Schwärmereien über die Kälte, das gute Essen, die gute Luft... Paradoxer Weise frieren die Tibeter, zumindest die die schon eine Weile hier in Indien leben, sehr schnell und beschweren sich schon bei +10° Celsius, wie in Bodh Gaya, bereits sehr über die Kälte. Jedoch bleiben die schönen Erinnerungen an die Heimat davon unangetastet. 
Zur Zeit ist es aber auch wirklich sehr heiß tagsüber.

Vor einigen Tagen kam mir zu Ohren, dass hier kürzlich auf einem nahe gelegenen Fluss eine Gruppe Mönche verunglückt ist und drei Kinder aus unserem Kloster dabei ums Leben kamen. 

Ich wünsche allen Praktizierenden und deren Objekten des Mitgefühls ein schönes Jahr, in dem sie es schaffen ihre Wünsche und Hoffnungen ohne große Hindernisse zu verwirklichen!

Mittwoch, 10. Februar 2010

Ferien im Kloster

Zur Zeit, da Ferien sind, wohnen hier einige Kinder die mit Mönchen aus unserem Haus verwandt sind. (Ob die Mädchen auch direkt im Kloster wohnen oder nur die Tage hier verbringen weiß ich aber nicht.) Die Mädchen wohnen im YigaChöling Gästehaus, sind aber tagsüber durchgehend hier. Das zurückhaltende und dennoch frech-fröhliche Lächeln der kleinen tibetischen Mädchen hat auf mein Herz die gleiche unmittelbare Wirkung wie das Maunzen eines hungrigen Katzenbabys. Ihre schönen tibetischen Gesichtern umrahmen ein Strahlen, das von kleinen aber weit aufgerissenen, die Welt aufsaugenden Augen ausgeht.

Die wenigen, kurzen Ferien die es hier gibt werden in solch einer harmonischen Atmosphäre zusammen gefeiert, wie sie zu steigern nicht mehr möglich ist. Die Kinder spielen auf improvisierten Tischtennisplatten oder einem imaginären Badmintonfeld, die älteren spielen entweder Carom (ein Spiel wie Billiard, aber mit kleinen Scheibchen, die mit den Fingern geschnipst werden), sitzen zusammen und reden oder schauen gemeinsam Filme. Kürzlich fiel mir auf, wie diese Art der Entspannung, der Ferien, vollkommen anders ist als ich sie aus dem Westen kenne. Vom Jüngsten bis zum Ältesten sind sich hier alle völlig einig, dass in dieser Zeit nur eins zählt: entspannt zu tun wonach einem der Sinn steht. Wenn ich mir vorstelle wie die erwachsenen Europäer die ich mit meinem Leben kennen gelernt habe zusammen in einem Raum mehrere Tage am Stück Stunden lang Filme schauen sollten... sie würden durchdrehen, und vielleicht zum Teil deshalb, weil sie den Drang hätten produktiv zu sein, trotzdem etwas zu "schaffen"; weil sie sich nicht erlauben könnten bloß zu entspannen. Etwas anderes machen als sonst. Die tibetischen Mönche hier hingegen haben einen solchen Alltag, dass sogar bloß hier sein, entspannen, spielen und Filme schauen etwas völlig anderes ist als ihr Alltag, ein völlig anderes Leben. Ob sie arbeiten, studieren oder feiern, sie machen es mit einer bewundernswerten Konsequenz, zu 100%. Der Tag hat zur Zeit nur wenige Fixpunkte, wenn wir gemeinsam Essen oder süßen Tee Trinken. Für morgen habe ich einen Wagen mit Speiseeis bestellt, um alle 70 Mönche (und deren Besucher) meines Hauses, wie schon letztes Jahr, zum Eis einzuladen. Ich freue mich auf die fröhlichen Gesichter, vor allem der Kinder und der alten Geshes.

Samstag, 30. Januar 2010

Indische Bürokratie und Reisen an heilige Orte

Ein frohes neues Jahr allerseits.
Es ist schon eine Weile her seit meinem letzten Eintrag. Zwischenzeitlich hatte ich einige male begonnen einen neuen Eintrag für das Blog zu verfassen, bin dann aber nicht dazu gekommen sie zu vollenden und nach einiger Zeit waren sie dann schon nicht mehr aktuell.
Mein ursprüngliches 1-Jahres-Studenten-Visum konnte ich Ende letzten Jahres leider nicht verlängern lassen, weil mein Protected Area Permit (PAP) für 2010 nicht rechtzeitig aus Delhi gekommen ist, um die Verlängerung des Visums fristgerecht zu beantragen. Von der Existenz der Frist (90 Tage vor dem Ablauf des Visums) habe ich auch erst erfahren, als sie schon verstrichen war. Mir wurde also vom Registrations Officer im Superintendant of Police Office of Mysore gesagt, ich müsse zurück nach Deutschland um ein vollständig neues Visum zu beantragen. Daher war ich 3 Wochen im Dezember, günstiger Weise über Weihnachten, in Deutschland. Das neue Visum hätte ich beinahe nicht ausgestellt bekommen, weil das Konsulat es sehr seltsam fand, dass mein Visum nicht in Indien verlängert wurde und deshalb erstmal einen Nachweis der Registrierung des Klosters bei der Indischen Regierung verlangt hat. Sie scheinen die indische disfunktionelle Bürokratie nicht mehr zu kennen. Zusätzlich wurde ich in meiner Zeit in Hamburg am Fuß operiert, denn es musste eine größere Hautfläche in der nähe des Knöchels entfernt werden. Dies geschah ca. anderthalb Wochen vor meiner Abreise, und die Wunde ist bis jetzt noch nicht wieder geschlossen. Von der ca. 5 cm Narbe sind knapp 2 cm noch offen, bzw. wieder, weil ich hier in Indien wenig die Gelegenheit habe den Fuß still zu halten und zu schonen. Am 27.12 flog ich zurück, kam am 28. wieder im Kloster an, und am 29. reisten wir direkt wieder ab nach Bodh Gaya, zum Dorje Dün, eine Woche Unterweisungen mit Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama.

Dort traf ich einige der Mönche aus dem Kloster Nalanda in Südfrankreich wieder, in dem ich 1 Jahr gelebt habe, die gerade eine Pilgerreise durch Indien machen. Ich habe versucht meinen Fuß zu schonen, und nach 2 Wochen war er auch etwas besser, aber am Tag vor unser Abreise nach Saranath und Varanasi, von wo aus unsere Zugfahrt ins Kloster starten würde, besuchten wir noch kurz den Geierberg und die Ruinen der großen Klosteruniversität Nalanda, wo leider die Wunde wieder weit auf riss. Saranath und Varanasi habe ich mir dann strikte Bettruhe verordnet und konnte so leider von diesen heiligen Plätzen fast nichts sehen. Dafür fand ich Bodh Gaya, den Geierberg und Nalanda extrem beeindruckend und inspirierend. Hier sind einige Bilder der Reise:

Eventuell werden nicht auf Anhieb alle Bilder angezeigt sondern wieder von  vorne begonnen, weil nicht schnell genug geladen werden konnte. Die letzten Bilder tragen den Titel "Rückreise". Fängt es also vor der "Rückreise" wieder von vorne an, bitte Geduld üben.




Die Zugfahrt zurück dauerte 3 Tage und dann war es wirklich schön endlich wieder hier im Kloster anzukommen. Einige Tage nach uns kamen auch die Nalanda-Mönche hier an, weil Sera eine Station ihrer Pilgerreise ist. Geshe Jamphel lud mich dann direkt ein bei ihnen im Tsetang Kangtsen am Essen teilzunehmen für die gesamten 8 Tage die sie hier sind. Ich war bisher 3 mal beim Mittagessen dabei. Sie haben einen sehr angesehenen Koch angestellt, können aber das Essen selbst nur wenig genießen, weil die gesamte Gruppe sich eine Lebensmittelvergiftung am Flughafen zugezogen hat. Vor letztem Mittwoch habe ich Zeit mit meinen Debattiertutoren verbracht um mich auf das offizielle Beitreten der neuen Debattierklasse vorzubereiten, aber seit Mittwoch ist dafür keine Zeit mehr, weil wir einen Lung von Chöden Rinpoche bekommen. Es ist etwas ziemlich besonderes, weil er die gesammelten Werke von Jetsun Choekyi Gyaltsen, also die hier in Sera studierten Texte, überträgt, was so vollständig hier noch nie passiert ist, weil es nur ganz wenige Lehrer gibt, welche die gesamte Übertragung am Stück geben können. Da es genau unsere hier studierten Texte sind, ist es für jeden hier studierenden Mönch ein fast schon Pflicht hin zu gehen. So sitzen wir den ganzen Vormittag und den ganzen Nachmittag zusammen im Tempel und hören den Lung während jeder mit einem Buch vor der Nase da sitzt und studiert was auch immer er gerade möchte. Ich nutze die Zeit um neben meinem Tibetischlehrer zu sitzen und teilweise Debattiertexte durchzuarbeiten und teilweise meine Grammatikkenntnisse zu verbessern.

Abends findet dann das alljährliche Hayagriva-Retreat statt.

Morgen allerdings ist eine Unterbrechung dieser Aktivitäten, da Gyudmed Khensur Rinpoche Geshe Lobsang Tenzin als neuer Jangtse Choeje inthronisiert wird.

Nach all dem hin und her reisen hoffe ich jetzt wieder regelmäßiger dazu zu kommen, hier Einträge zu verfassen, auch wenn meine Zeit und Energie gerade von meinem Studium vollständig absorbiert werden.

Samstag, 31. Oktober 2009

Debatte und deren Prüfungen

Dieser Oktober war vollständig damit gefüllt, dass die anderen Mönche sich stark auf ihre Debattierprüfungen vorbereiteten und diese dann innerhalb von fünf Tagen, bis vorgestern, abhielten. In der Vorbereitungszeit und auch jetzt noch, fand zu fast jeder freien Minute eine mündliche Textübertragung, ein Lung, von Chöden Rinpoche statt, zu den Texten die speziell in Sera Jey zum Studienprogramm gehören.
Die Debattierprüfungen finden zeitlich getrennt statt, von den anderen Prüfungen die es hier gibt, wie die Auswendiglernprüfung, die Grammatikprüfung und die schriftliche Prüfung mit Fragen zum Verständnis. 5 Tage lang versammeln sich die Mönche morgens und nachmittags einige Stunden lang auf dem Debattierhof. In großen Kreisen sitzen alle um die Prüfer, die nur zuhören und das Ende der Prüfung für den jeweiligen Prüfling signalisieren, und die beiden Debattierenden. In den ersten drei Jahren darf man sich seine Debattierthemen noch selbst aussuchen und vorbereiten. In den restlichen Jahren zieht man sich Themen direkt vorher aus der Gesamtheit aller Themen des letzten Jahres. Die Reihenfolge, in der man dran kommt, geht in den ersten drei Jahren danach, wann man sich für die Klasse angemeldet/eingeschrieben hat. Danach ist die Reihenfolge dementsprechend sortiert, wie gut man im vorherigen Jahr war. Dadurch debattieren dann immer ungefähr gleich gute Mönche miteinander. Jeder steht jeweils einmal als "Angreifer" in der Mitte, wo man dann einige Minuten Zeit bekommt seine Debatte am jeweiligen Thema zu entfalten, und sitzt einmal als "Verteidiger" in der Mitte, wo man dann versucht möglichst ohne sich in Widersprüche zu verstricken, auf diese Thesen zu antworten. Am Ende werden die Bewertungen öffentlich bekannt gegeben. Trotz der mehrstündigen Prüfungen morgens und nachmittags, finden abends regulär die gewöhnlichen Debattiersitzungen statt.

Jetzt sind die Prüfungen zwar zu ende und der normale Rhythmus ist wieder etwas mehr hergestellt, aber dennoch durchziehen den Tag die Sitzungen mit Chöden Rinpoche, zu der aber nicht alle Mönche hingehen. Dank des bis oben hin gefüllten Zeitplan, der sich für die Mehrheit der Mönche so ergibt, hat leider mein Tibetischlehrer auch weiterhin keine Zeit sich mit mir zu treffen, wie schon den ganzen Monat. Das ist aber kein großes Hindernis, denn eine Sprache wie Tibetisch zu lernen, erfordert eh hauptsächlich Dinge wie Lernen von Vokabeln oder das Sprechen mit den Tibetern. Zumindest für mich auf der Ebene, auf der ich mich zur Zeit bewege. Die Grammatik ist nicht so sehr kompliziert, dass ich sie nicht auch aus den Büchern verstehen könnte, so dass sich selten Fragen ergeben die mir von ihm beantwortet werden müssten. Wir haben aber vorher eine Strategie für mich entwickelt, die es mir ermöglicht zur Zeit Fortschritte auch und gerade allein zu machen. Wenn sich dann doch Fragen ergeben sollten - meistens eher dazu wie bestimmte Ausdrücke korrekt benutzt werden als zur Grammatik - dann kann ich sie mir entweder aufschreiben und sammeln oder am Abend kurz für eine halbe Stunde zu ihm kommen und ihn fragen. Da ich aber weiß wie wenig Zeit er gerade hat, werde ich dies nur tun wenn es wirklich sein muss.

Im Januar wird Seine Heiligkeit der Dalai Lama in Bodhgaya unterrichten und Rituale anleiten und es wird eine Langlebens-Puja für ihn durchgeführt werden. Viele der Mönche meines Hauses fahren hin. Da ich bisher außerhalb des Klosters noch wenig von Indien gesehen habe und auch gerade Bodhgaya, Varanasi und Saranath und natürlich Seine Heiligkeit erleben möchte, werde auch ich mich anschließen. Auch Mönche aus Nalanda werden vermutlich dort sein, weil sie gerade zu dem Zeitpunkt eine Pilgerreise mit Geshe Jamphel durch Indien veranstalten. Die Fahrt dauert 5 Stunden nach Bangalore und von dort aus zweieinhalb Tage mit dem Zug. (Ich erspare es mir und den Lesern an dieser Stelle Horrorgeschichten über Indische Züge zu schreiben, wenn es derer auch mehr gibt als Sandkörner im Flussbett des Ganges.) Aus Zeitgründen würden Lhawang und ich es nicht schaffen noch rechtzeitig anzukommen, wenn wir mit dem Zug hin führen, weshalb wir auf dem Hinweg fliegen werden und nur auf dem Rückweg mit dem Zug fahren. Da er sich die Reise nicht leisten kann, bezahle ich seine ganzen Reisekosten, die sich wegen des Fluges ganz schön summieren. Für indische Verhältnisse. Aber zum einen kostet der Flug kaum das doppelte von der Zugreise, braucht aber nur 2 Stunden anstelle der zweieinhalb Tage, und zum anderen ist Lhawang in seinem Leben noch nie geflogen, hat selten ein Flugzeug auch nur von außen gesehen, und ist deshalb voller ekstatischer Begeisterung, wie ein kleines Kind, dass er jetzt Ende Dezember tatsächlich selbst einmal in einem mitfliegen darf. Wir kommen dann am letzten Tag dieses Jahres in Bodhgaya an und verbringen dort den Jahreswechsel, dort wo Buddha unter dem Bodhi-Baum die Erleuchtung anzeigte. Wenn dieses Datum auch eher zufällig so ist, und die Inder dem christlichen Jahreswechsel, wie mir versichert wird, keinerlei Bedeutung zumessen, werde ich trotzdem dieses Sylvester als ein besonderes erleben.

Gestern und heute hatten wir mal wieder kein Wasser in unserem Haus. Diese Situation hatten wir zuletzt immer mal wieder einige Tage lang vor dem Monsun, in der richtig heißen Zeit. Das ist besonders unangenehm wenn es darum geht sich zu waschen oder auf Toilette zu gehen, ist aber scheinbar für niemand sonst hier ein sonderlich unangenehmer Umstand. Alles Yogis um mich herum. Warmes Wasser haben wir ja sonst auch nicht, und Strom ungefähr ein knappes Viertel des Tages zu variierenden Zeiten, aber ob wir überhaupt Wasser haben oder nicht macht für mein Wohlbefinden jedenfalls zur Zeit noch einen nicht unerheblichen Unterschied. Aber glücklicherweise kam es vorhin vorläufig zurück.

Es wurde in einem Kommentar gefragt, ob bei all der Debatte hier im Kloster das Studium nicht zu kurz käme. Studium und Debatte sind in unserer Tradition keine voneinander leicht zu trennenden Dinge, ich bin sogar versucht die Debatte als das Studium anzusehen und die restlichen Aktivitäten nur als deren Unterstützung. Die Debatte hat natürlich in dieser Art wenig mit den Monologen zu tun, die wir im Westen darunter verstehen, sondern ist ein intensiver und schneller Dialog, der durch seine genauen Regeln für ein gleichmäßiges Hin und Her zwischen beiden Teilnehmern sorgt. Dabei ist der Nutzen nicht nur, dass man den Stoff immer wieder von allen Seiten durchleuchten muss, durch die ständig wechselnden Partner auch von viel mehr Seiten als man dort alleine in seinem Kämmerlein drauf kommen könnte, wodurch der Stoff selbst und auch das analytische Denken, wie es in der analytischen Meditation dringend gebraucht wird, trainiert wird. Man bekommt zusätzlich einen flexibleren Geist, weil die eigenen Ansichten wieder und wieder widerlegt werden, so dass man sich neue bilden muss, dass man die Konzentration schult, denn Unkonzentriertheit führt unmittelbar zu Selbstwidersprüchen, die mit viel Gelächter auf eigene Kosten quittiert werden, und nicht zuletzt bekommt man ein tieferes Verständnis dafür wie die ganzen Themen alle zusammen hängen, denn in der Debatte kommt man nicht selten vom hundertste ins tausendste, hangelt sich hinab in die Untiefen der Realität, um zu erkunden wo der Fehler in der Logik einer vertretenen Meinung liegen könnte. Kompliziert wird es manchmal vor allem für den "Angreifer", der dann, nachdem in solche Untiefen abgestiegen wurde, den ganzen Pfad rückwärts wieder aufsteigen muss, um darzulegen wie der Selbstwiderspruch des Verteidigers bei dem einen Thema, sich auswirkt auf das ursprüngliche. Dies erfordert einiges an Training und Konzentration.
Die Debatte macht den größten Teil des Verständnisses aus, und naturgemäß bleibt dabei wesentlich mehr, und dies auch wesentlich tiefer, hängen, als wenn man sich lediglich bei einem Vortrag berieseln ließe. Aber auch dies ist komplementär wichtig, um Anregungen für die Debatte zu geben. Dies findet am Nachmittag statt, anfangs 1 Stunde täglich, später dann nicht mehr jeden Tag. Vor allem Nachts bleibt dann noch etwas Zeit auch diverse Kommentare der großen Gelehrten zu lesen, um wiederum neue Ideen zu bekommen und auch seine Stellungnahmen durch Zitate belegen zu können. Um zitieren zu können, ohne ein Buch zur Hand zu haben, muss natürlich viel auswendig gelernt werden, was morgens und Abends ebenfalls geschieht, sogar verpflichtend. Dies alles ist kein Selbstzweck, sondern es sind perfekt zusammen passende Teile eines großen Systems, das meiner Meinung nach eine optimale Methode der Entwicklung von vollständigem und tiefgründigen Verständnis ist.

Dienstag, 29. September 2009

Das Rains Retreat und seine Ferien am Ende

Nachdem das Rains-Retreat offiziell zuende war, sind die Ferien für eine Woche ausgebrochen. Dies steht sogar so im den vom Buddha gelehrten klösterlichen Regeln. Während des Rains Retreats darf eine gewisse Barriere um das Kloster nicht überschritten werden, man darf keine Gartenarbeit verrichten, sollte sich besonders intensiv dem Studium hingeben und auf gar keinen Fall Streitigkeiten aufkommen lassen. Gibt es doch mal Missverständnisse, sind diese nicht vor dem Ende des Rains Retreats anzusprechen, denn Harmonie ist in dieser Zeit eine strikte Regel. Aber hier unter den Tibetern ist auch sonst nichts von Disharmonie zu spüren, und so macht diese Regel zumindest keinen praktischen Unterschied. Nach dem Rains Retreat findet ein Ritual statt und die Mönche sollten dann bewusst die Grenze überschreiten und eine Weile Ferien machen. Die Mönche meines Hauses haben einen schönen, sehr typisch tibetisch verzierten Stoff vom Geländer meines Stockwerks schräg runter auf den Boden, quer über den Garten gespannt, so dass man sowohl bei glühendem Sonnenschein (Vormittags/Mittags) als auch bei leichtem Regen (Nachmittags/Abends) gemütlich im Garten sein kann. Oft waren sie dort aber nicht, denn wir hatten erstaunlicher Weise beinahe durchgehend Strom und so wurden auch ungebremst nacheinander im Tempel Videos geschaut. Die Ferienzeit ist ja die einzige Zeit in der es überhaupt gestattet ist Filme zu schauen, den Rest des Jahres ist der Fernseher weggeschlossen.

Zu Beginn der Ferien war ich mit Tsondru, einem Tibetischen Mönch und einem Italiener, den wir zum Flughafen gebracht haben, in Bangalore, wo Tsondru sich Einrichtung für das neue Haus gekauft, in das er gerade eingezogen ist, und von dem Italiener gebaut wurde, und ich habe mir auch die eine oder andere Kleinigkeit besorgt. Beispielsweise eine Batterie, die in der Lage sein soll eine Stromsparlampe für 7 Stunden zu betreiben (oder drei Stück für 7 / 3 Stunden), einen Wasserkocher, mehrere Luft dichte Gefäße für Zucker und ähnliches und eine Batterie betriebene LED-Schreibtischlampe, damit ich auch Abends/Nachts beim Lernen nicht meine Augen an einer Kerze verderbe. Was mit noch fehlte waren ein Schreibtisch, ein Regal und eine Stehlampe für die neue 7-Stunden Batterie. Auch eine schöne Beleuchtung für den Altar suche noch vergebens. Wo kaufen die anderen wohl ihre Lichterketten? Ich sollte mal eine Umfrage starten.
Leider habe ich am Tag unserer Reise nach Bangalore erfahren, dass ich für mein neues Protected Area Permit, welches ich brauche um mein Visum verlängern lassen zu können, dieses Mal ein Einladungsschreiben des Klosters hätte mitschicken müssen. Dieses konnte ich da aber nicht ausstellen lassen, weil auch im Büro Ferien waren. Der Prozess für solche Dinge ist übrigens gerade um einiges komplizierter geworden; die Tibeter scheinen ihre Bürokratie auf indische Art umstellen. Ich muss mir jetzt von einer anderen Verwaltungsinstanz ein Schreiben ausstellen und woanders bestätigen lassen, dieses dann zum Hauptbüro tragen und dort damit das Einladungsschreiben anfordern, um damit danach zum Abt des Klosters zu laufen und dieses nochmal von ihm persönlich bestätigen zu lassen. Wenigstens wird von mir nicht gefordert diesen Prozess mit inoffiziellen Geldgeschenken am Laufen zu halten.

In den Ferien, auf dem Rasen vor unserem Haus, genau vor meinem Zimmer stand ein provisorischer, brüllend lauter, alter Generator, der zwei drittel des Tages, während wir keinen Strom hatten, einen starken Lärm verursacht hat. Dieser Generator hat es ermöglicht im Tempel weiterhin Filme zu schauen, die Zimmer hatten aber keinen Strom. Ich habe mich dann am Nachmittag oft mit Tsondru getroffen und mit ihm Schach gespielt, Tee getrunken und anschließend den Altar in seinem neuen Haus eingerichtet oder ähnliches. Er hat wirklich hübsche und große Thangkas (Rollbilder für die Wand) und Statuen dort drinnen. Die gehören fast alle nicht ihm sondern dem Besitzer des Hauses. Tsondru wohnt dort in dem Haus, weil der Besitzer nur 3 Monate im Jahr hier sein wird und dort jemand leben muss. Er hat noch keine Gasflasche in dem neuen Haus, also kann er nichts kochen oder sich auch nur Tee machen, weshalb ich ihm meinen neuen Wasserkocher sofort ausgeliehen habe. Er hat auch noch keinen Strom gelegt bekommen, deshalb hat er sich ein über 100 Meter langes Stromkabel vom Nachbarn abgezwackt und zu sich ins Wohnzimmer gelegt. In dieser Woche hatten wir ca. von 14 bis 21 Uhr und dann nochmal von 23 Uhr bis 4 Uhr morgens Strom, also sehr angenehm lange.

Einmal war ich mit einem Mönch meines Hauses viele Stunden in Kushalnagar um einen Zimmermann zu finden. Wir waren bei mehreren, aber ich war ziemlich enttäuscht von den Preisen. Der Mönch, Tenzin Dargye, meinte die Preise in Indien für alles mögliche würden jährlich stark ansteigen. Zwar bekommt man hier noch immer in jedem Restaurant einen Tee für 7 Cent, aber Indien erlebt trotzdem eine große Preissteigerung. Für ein Regal und einen Schreibtisch aus Pressholz musste ich mit 150 bis 200 Euro rechnen. Deutsche Preise bei indischer Qualität. Ich habe mich jetzt für 175 Euro bei einem halbwegs vertrauenswürdig aussehendem Schreiner entschieden. 5 Tage später sollte es abholbereit sein. Letztendlich sind der Schreibtisch und das Regal qualitativ recht mangelhaft ausgefallen. Ganz davon abgesehen wie dreckig sie geliefert wurden, und mancher Dreck lässt sich offenbar nicht mit meinen Mitteln wegputzen, sind auch Stücke des Furniers abgebrochen, die eine Schublade schließt nicht, das Pressholz ist stellenweise gesplittert, das Regal ist höher als abgesprochen, der Magnetverschluss der Glastür ist defekt, weder der obere Teil mit der Glastür noch der untere mit der Holztür schließt vollständig, sondern es ist ein mehrere Millimeter breiter Spalt zu allen Seiten und die eine Holztür ist schon jetzt vom oberen Scharnier abgebrochen. Es sind nur manche Seiten überhaupt furniert, der Rest ist aus Kostengründen nur gelb/braun angemalt. Angeblich sollen die gravierendsten, behebbaren Mängel noch repariert werden, bisher kam der Tischler aber nicht wie abgesprochen vorbei.,
Trotz der Mängel trägt er bereits jetzt zu meinem Lerneifer bei. Auch, da ich mir zur Regel gemacht habe nichts darauf abzulegen, was nicht direkten Bezug zum Lernen hat, um ihn nicht unordentlich werden zu lassen und ihn als Ort des Lernens zu etablieren.

Wie es sich in der Ferienzeit gehört, wurde von den Mönchen unseres Hauses jeden Tag mehrmals für die ganze Hausgruppe gekocht. Die Momos (tibetische gefüllte Teigtaschen) waren die leckersten, die ich je gegessen habe.
Tsondru hatte irgendwann spontan die Idee mit mir nach Mangalore zu fahren, einen Tag hin, dann einen Tag dort und am nächsten Tag wieder zurück. Die Busreise kostet kaum 3 Euro mit dem Bus und das Hotel auch nur 30 Euro, wobei wir uns den Preis ja teilten. Es sind gut 6 bis 7 Stunden Busfahrt quer durch den Jungel, bergauf, bergab. Wir hatten viel Spaß, auch wenn die Busfahrt mit den staatlichen Bussen über so lange Zeiträume in glühender Hitze nur für Leute zu empfehlen ist, die an ihrer Entsagung arbeiten wollen.

Eine sehr lustige Sache die ich inzwischen sowohl in Bangalore als auch in Mangalore gesehen habe ist, wenn Inder, obwohl sie reich genug sind um in die Einkaufszentren gehen zu können, sich partout nicht trauen auf Rolltreppen zu steigen. Es befinden sich immer Trauben von Leuten um die Rolltreppen, die sich nicht überwinden können auf dieses, bei uns seit Jahrzehnten normale, Wunderwerk der Technik zu steigen. Manche schaffen es dann doch, aber die meisten weichen nach einer Weile dann lieber auf Treppe und Fahrstuhl aus.

Nachdem im sechswöchigen Rains Retreat unter vielem anderen keine Garten- oder größeren Hausputzarbeiten stattfinden durften und auch in der anschließenden Ferienwoche daran nicht zu denken war, kam anschließend der große Tag an dem alle das Haus und den Garten auf Vordermann brachten. Tags darauf wurde ein Mönch meines Flures groß gefeiert, wiedermal kamen den ganzen Tag aus ganz Sera Gratulanten und brachten ihm Geldumschläge und Katags. Der Anlass war, dass er jetzt in die Lharampa Geshe Klasse gekommen ist, und also, sofern er in den nächsten Jahren alle Prüfungen besteht, dann auch den höchsten der Geshe Abschlüsse bekommen wird. Alleine schon in diese Klasse aufgenommen zu werden ist eine Auszeichnung und wird entsprechend gefeiert.

Freitag waren die Ferien zuende, aber heute ist wiedermal Dienstag und also schon wieder frei. Gerade, nachdem ich mit Lhawang meinen traditionellen Dienstagsspaziergang hatte, ging ich an dem einem Restaurant vorbei, vor dem an Feiertagen und Dienstagen auf einer Decke ein Buchhändler seine tibetischen Bücher ausstellt, und habe mir bei der Gelegenheit zwei neue Bücher gekauft. Neu ist in sofern übertrieben, als die Bücher dort meist alles andere als neu zu sein scheinen, eher sehr benutzt aussehen, aber diese beiden sind in ordentlichem Zustand. Das eine ist ein Buch an Kinder und "Erwachsene die an ihren Träumen festhalten" und heißt གཡག་ལ་སྤུ་རིད་པོ་ཇི་ལྷར་བྱུང་། (ich hoffe an dieser Stelle werden bei allen Lesern die tibetischen Schriftzeichen korrekt angezeigt) bzw. "Wie das Yak zu seinem langen Haar kam", es ist liebevoll bebildert aber vor allem zweisprachig, Tibetisch/Englisch. Es könnte ganz nützlich und unterhaltsam sein. Das andere ist ein kleines handliches Englisch-Tibetisch Wörterbuch. Tibetisch-Englisch gibt es ja recht viele, aber brauchbare in die andere Richtung empfinde ich als selten. Dies hier ist dünn genug um es mit mir herum zu tragen und da zu sein wenn ich schnell etwas spezielles präzise sagen möchte und scheinbar vollständig genug um das hier benötigte alltägliche Vokabular gut abzudecken. Beide Bücher kosteten 180 Rupien, ca. 2,5 Euro.
Bücher sind hier glücklicherweise sehr sehr günstig.
Im Mönchsparadies.

Mittwoch, 9. September 2009

Zurück in Sera und einige Bemerkungen zur Lehrer-Schüler-Beziehung

Liebe Leser,
mein Besuch in Deutschland war sehr schön. Ich habe es sehr genossen Geshe Pema Samten, meine Familie und, vor allem beim Besuch Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama in Frankfurt, die anderen westlichen Ordinierten wieder zu treffen. Es ist eine wundervolle Gelegenheit jedes Jahr für all die Mönche und Nonnen wieder mal zusammen zu kommen, für die inspirierenden Belehrungen Seiner Heiligkeit. Leider konnten nicht alle meiner Brüder aus dem Kloster Nalanda in Südfrankreich kommen, in welchem ich voriges Jahr gelebt habe. Es ergab sich hin und wieder, dass ich mit Gen Pema Samten alleine war und mich mit ihm auf Tibetisch verständigen musste und vor allem konnte. Hin und wieder hat er mir auch neue Worte beigebracht. Es erleichterte mich festzustellen, dass ich in dem knappen Monat meiner Abwesenheit aus Sera mein bisheriges Tibetisch nicht wieder verlernt habe.

Bei meiner Rückkehr nach Indien am Flughafen Bangalore wurden sehr viele Sicherheitsmaßnahmen bezüglich der Schweinegrippe sichtbar. Besonders Leute, die aus gefährlichen Ländern wie Mexiko oder Deutschland einreisten, mussten ziemlich viele Fragen beantworten. Jeder trug eine Atemschutzmaske, und auch ich kaufte mir dann lieber schnell eine solche. In der Zeitung am nächsten Tag konnte ich lesen, dass alleine in Bangalore am Tag meiner Ankunft 38 Neuinfektionen festgestellt wurden. Im Kloster jedoch: alles wie immer. Es hat einige Tage gedauert mich wieder richtig angekommen zu fühlen. Warmes Wasser, Strom, Lebensmittelvielfalt und Internet sind doch etwas, an das ich mich zu schnell wieder gewöhnen konnte. Aber natürlich bin ich auch sehr froh wieder hier sein zu dürfen, hatte Sera in mancherlei Hinsicht auch schon etwas vermisst, und hoffe jetzt mal wieder ein paar Fortschritte auf meinem langen Weg zu machen.

Thutob hat mir kürzlich in seinem Zimmer über die alten Zeiten erzählt, als es den ersten Stock noch nicht gab, Gen Pema Samten unter seinem jetzigen Zimmer wohnte und er sein Zimmernachbar war. Er erzählte, dass es damals diese (auch jetzt noch schlichten, niedrigen und schön harten) Betten und ähnliche Dinge noch nicht gab, sie auch wenig Essen und Trinken hatten. Mit dem Brot konnte man, angeblich, Nägel in den Boden schlagen und musste es, vor dem Essen, eine ganze Weile in Wasser aufweichen lassen. Ich schaute etwas ungläubig, weil es mir übertrieben schien, aber er meinte ich solle in Deutschland Geshe Pema Samten fragen wie es früher gewesen sei. Der Punkt seiner Geschichte aber war der Hinweis auf die große Zufriedenheit und Weite des Geistes die damals trotzdem, vor allem auch bei Geshe Pema Samten, vorhanden war. Immer fröhlich, sanftmütig, gütig. Die drei Juwelen in ihm makellos vereint.

Ab 21:30 Uhr wird täglich von uns erwartet auf den Fluren oder dem Garten auf und ab zu gehen und dabei durch sehr lautes Rezitieren auswendig zu lernen. Eben sah ich zum ersten Mal die als "Lama Polizei" bezeichnete Patrouille mit der Taschenlampe durch unseren Garten gehen, um zu prüfen, ob dieser Verpflichtung auch nachgegangen wird. Eine Taschenlampe ist nötig, weil hier unten, so nah am Äquator, rund um das Jahr die Sonne zur gleichen Zeit unter geht, nämlich zwischen 18 und 19 Uhr. Deshalb wird hier übrigens keine Umstellung zwischen Sommer- und Winterzeit benötigt.

Letzten Freitag war Sojong und danach musste ich nach Mysore zum Superintendant of Police, um mich zurück zu melden. Da immer noch alle mitten in den Prüfungen stecken und besonders rigoros lernen, fuhr ich natürlich alleine. Der für die Studenten-Visums-Registrierungen zuständige Sachbearbeiter Mr. Singh machte einige spaßige Bemerkungen über die Sicherheitsmerkmale der Deutschen Reisepässe, als er versuchte eine Kopie davon zu machen und sich das lächel-freie Passbild anschaute. Ich erklärte ihm, dass wir in Deutschland auf Passphotos nicht mehr Lächeln dürfen, wegen der Raster. Dies kommentierte er mit einem Vergleich zu unserem Wappentier, dem Adler, dessen Schnabel in einer solchen Weise verbogen ist, als fletschte er die Zähne (obwohl Vögel bekanntlich keine haben) und verzieht dabei ziemlich wütend das Gesicht. Der wütende deutsche Bundesadler. Ich musste sehr darüber lachen, da es auch für mich tatsächlich so aussieht. Er riet mir schließlich noch, schon jetzt mein neues Protected Area Permit zu beantragen, damit danach so rasch wie möglich eine Visa-Verlängerung in Erwägung gezogen werden kann. Ende Januar laufen Visum und PAP nämlich aus und danach bin ich, bis zur eigentlichen Gewährung einer Verlängerung, nur noch "Under Consideration", darf also Aus- aber dann nicht wieder Einreisen. Leider ist dies alles nicht nur mit einem spürbaren finanziellen Aufwand verbunden, sondern auch mit sehr viel Papierarbeit und Warten auf Stempel bei Ämtern und Banken. Das Prozedere hatte mich zwischen Januar und März schon einige Wochen gekostet.

Die Briefe, die ich von Lesern dieses Weblogs bekommen habe, sind inzwischen alle beantwortet, insofern sie einen Absender enthielten. Wer mir also einen mit Absender ausgestatteten Brief geschrieben hat und darauf in den nächsten Wochen noch keine Antwort erhalten hat, wird damit rechnen können, dass entweder der eigene Brief oder meine Antwort darauf in der indischen oder deutschen Post verloren gegangen ist. Ich habe aber bewusst ein vielfaches des Portos bezahlt um den Versand zu versichern, und hoffe daher etwas berechtigter auf einen reibungsloses Ankommen.

Die Geshe-Examen sind beinahe zu Ende und wir nähern uns, wie mir zu meiner Überraschung mitgeteilt wurde, der zweiten Ferienperiode, die, genauso wie das tibetische Neujahr, ungefähr eine Woche gefeiert wird. Es ist das Ende des Rains-Retreat. Dann wird wieder der Ausnahmezustand ausbrechen, niemand studiert oder debattiert mehr sondern es werden Fernseher aufgestellt und Rekorde im Dauer-Actionfilm-Schauen aufgestellt, nur unterbrochen von Stromausfällen, die mit Carom-Spielen ausgefüllt werden. Mir war zuvor bloß die eine Ferienzeit bekannt, eben die Woche nach Losar. Da ich diese aber sehr genossen habe, denn so pausenlos die Tibeter auch ansonsten fleißig studieren können, so rigoros entspannen sie sich in den Ferienzeiten auch, freue ich mich schon auf diese bevorstehende Ferienwoche. Wobei ich hier wieder mal anmerken möchte, dass der bewundernswerte Fleiß der Tibeter nicht mit einem engen oder überspannten Geist einher geht, sondern sie sich in einem Zustand befinden, in welchem sie zwar jede Minute für das Studium nutzen, sich jedoch auch die Zeit für andere nehmen, die Arbeit beiseite legen und sich ganz auf den anderen einlassen, sollte man sich zu ihnen setzen und Gesprächsbedarf anzeigen. Völlig unverkrampft und unverbissen, dafür tatkräftig und offenherzig. In den Ferien ist es ebenso, nur dass sich die Tätigkeit ein anderes Objekt sucht.

Es wurde gefragt was auch Mönchen wird, wenn sie das Studium abschließen und den Geshe Titel erhalten. Ich glaube dazu muss ich noch einige Hintergrundinformationen geben. Manche Mönche merken im Laufe des Studiums, dass ihnen das viele Studieren eigentlich nicht liegt und melden sich dann vermehrt freiwillig für praktische Arbeiten wie das Betreuen der Klosterverwaltung, der klostereigenen Restaurants oder Kaufläden. Diese sind übrigens nicht profitorientiert sondern sollen nur den Mönchen das Nötigste verfügbar machen, damit sie nicht für jede neue Zahnpasta das Kloster verlassen müssen. Erreicht der eigene Jahrgang, bei welchem man eingeschrieben ist, den Abschluss des Studiums, erhält man selbst ebenfalls den Geshe-Titel, selbst wenn die meiste Zeit damit verbracht wurde für das Kloster zu arbeiten. Diese Geshes haben dann natürlich ein vergleichsweise mageres Wissen erreicht und werden trotz des Titels eher weiter hier arbeiten, als irgendwo als Lehrer eingesetzt zu werden. Die anderen studierten Geshes können dann entweder hier bleiben und je nach Qualifikation eine angemessene Tätigkeit finden, oder beispielsweise an ihre Heimatklöster zurückkehren und dort beispielsweise unterrichten oder sich zur Meditation zurück ziehen. Dann gibt es noch eine ganz andere Art, denn die aller besten Studenten bekommen die Chance einige Jahre vor dem Abschluss des eigentlichen Geshe-Studiums in die Lharam-Klasse einzutreten. In dieser werden einige sehr komplexe Themen nochmal enorm vertieft, so dass sich quasi eine Elite bildet. Diese Klasse endet, einige Jahre nachdem die anderen des ursprünglichen Jahrgangs bereits den Geshe Titel erlangt haben, mit dem Abschluss des Lharampa Geshe. Traditionell gehen die Lharam-Geshes danach erstmal für einige Zeit in ein Tantra-Kloster um dort die Feinheiten der Rituale und deren Bedeutungen zu erlernen. Um diese wenigen, in höchstem Maße qualifizierten Gelehrten reißen sich anschließend natürlich alle, um sie als Lehrer gewinnen zu können. Das Tibetische Zentrum (in Hamburg) war ja seit je her in der glücklichen Position, von Lehrern dieses Kalibers stetigen Unterricht empfangen zu dürfen.
Es wurde auch gefragt, wie das Lehrer-Schüler-Verhältnis aussieht. Das ist eine so komplexe Angelegenheit, dass ich kaum ihre Oberfläche zu überblicken vermag. Hier gibt es natürlich verschiedene Ebenen, da es viele verschiedene Arten von Lehrern/Meistern gibt. Beim Eintritt in den Orden gibt es für die verschiedenen Stufen der Ordination verschiedene Arten von Meistern und Äbten, dann gibt es Lehrer die im Kloster für dein korrektes Verhalten zuständig sind und andere die dich unterrichten, und schließlich die tantrischen Lehrer/Meister, die Initiationen, Transmissionen und Unterweisungen geben. Man kann also nicht sagen jeder Schüler hätte genau einen Lehrer, denn es ist, zumindest für uns, ein ganzer Blumenstrauß an Lehrern, die alle unterschiedliche Funktionen und Bedeutungen haben. Der Stellenwert, dem man den verschiedenen Lehrern beimisst, ist sehr individuell. In meinem Fall sind mein Ordinationsabt und -meister und mein Tantrischer Guru glücklicherweise die gleiche Person, bei der ich niemals eine Schwierigkeit hatte sie als leibhaften Buddha anzusehen. Jedoch ist dieser gütige und gelehrte Lehrer bisher nicht derjenige, bei dem ich den meisten formellen Dharma-Unterricht erhalten habe. Dies bildet jedoch nicht unbedingt einen Widerspruch, besonders wenn man es schafft die Lehrer als Emanation des eigenen Gurus zu begreifen. Diese Situation mit den Massen an verschiedenartigen Lehrern ist hier in einer Klosteruniversität natürlich auch die Spitze getrieben. Doch auch hier gibt es trotz allem den eigenen hochverehrten Lehrer meist den einen, mit dem man eine ganz spezielle und besonders tiefe Verbindung eingeht. Auf dieses heikle Thema möchte ich an dieser Stelle ungern tiefer eingehen, und es abschließen mit einem Zitat des Dalai Lama aus "The Union of Bliss and Emptiness": "If the buddhas are engaged in helping all sentient beings, including oneself, it is definitley only through the guru that they perform these activities."

Es gab noch eine Frage zur Debatte, doch um diese zu beantworten werde ich vermutlich weiter ausholen müssen, und verschiebe die Antwort noch etwas.

Dieser Eintrag, sowie alle anderen hier verfassten, stellt nur einen kleinen Ausschnitt meiner subjektiven Wirklichkeit dar. Für die vielen Fehler, Missverständnisse und Ungenauigkeiten bitte ich um Verzeihung und stelle sie nur aus der vagen Hoffnung dennoch in den öffentlichen Raum, dass doch ein Leser trotzdem Inspiration zum Heilsamen daraus gewinnen möge.

Samstag, 18. Juli 2009

Vom Monsun in den Westen

Der Tag meines Aufbruches nach Deutschland ist nahe. Obwohl ich während meines Heimatbesuches sicherlich die Zeit finden könnte neue Einträge zu verfassen, wird es doch in meiner Abwesenheit nichts neues für mich über das Leben in Sera zu berichten geben. Kommen allerdings Fragen seitens der Leser dieser Einträge, werde ich sie gerne beantworten.

Der Monsun verdient sich gerade seinen Ruf, es regnet in einer Intensität die mir unbekannt war. Verlässt man überdachte Bereiche ist es, als hätte man einem den Wasserhahn über dem Kopf aufgedreht, es dauert keine drei Sekunden bis zur vollkommenen Durchweichung. Trägt man in der heißen Zeit keine Socken, weil es zu warm wäre, so vermeidet man sie jetzt, weil sie ständig nass blieben. Beim Waten durch die Bäche, die einst Straßen waren, sind feste Schuhe sogar im Nachteil gegenüber Sandalen, weil sie sich zusätzlich unvorteilhaft mit Wasser und Schlamm füllen. Kommt man von draußen, werden zuerst mal die Füße gewaschen. Ich genieße es, als Abwechslung zur Hitze. Auf Dauer wäre mir die Unmöglichkeit die Roben zu waschen jedoch unangenehm, nicht zuletzt wegen all der Schlammspritzer. Man wird vorsichtig. Noch vorsichtiger.

Für meine Ausreise musste ich mal wieder nach Mysore, zum Superintendent of Police, um einen Antrag auf Ausreisegenehmigung zu stellen. Einer der vielen Ringe durch die man als Inhaber eines Studentenvisums springen gelassen wird. Das Verfassen des Antrages dauerte drei Minuten, das Warten auf den Stempel sieben Stunden. Ich muss aber nochmal wiederkommen vor meiner Abreise, um weitere Papiere abzuholen, die ich am Flughafen abzugeben habe. Bei der nächtlichen Rückkehr ins Kloster hatte sich eine Schraube meiner Brillen ausreichend gelockert, um das rechte Glas herausfallen zu lassen. Es zerbrach. Dies war bereits die Ersatzbrille, deshalb brach ich am nächsten Tag gleich wieder nach Mysore auf um mir eine neue Brille zu besorgen, denn ohne eine solche sind Augen- und Kopfschmerzen unausweichlich. Diesmal Übernachtung in Mysore, um nicht wieder in der Nacht zurückkehren zu müssen.

Es gibt neue, frisch gebackene Geshes in Sera und unser Haus hat ebenfalls einen, Päldsche Dorje. Große Freude allerseits, gründlicher Hausputz und feierliche Katag-Übergabe von unzähligen Gratulanten, die wieder den gesamten Tag in Anspruch nimmt.

Rührend, wie mich jeder Mönch hier einzeln fragt wann ich fliege und vor allem wann ich zurück kehre, mit der herzlichen Bitte ganz schnell nach Sera zurück zu kommen. Dann, wie um Nachdruck zu verleihen, die Begründung in Form von Auflistung meiner angeblichen Qualitäten. "Kehre schnell zu uns zurück!"
Vorhin auch: Mönche unseres Hauses sitzen zusammen und preisen in Anekdoten und Beschreibungen Geshe Pema Samtens große Qualitäten. Im Vordergrund: trotz seiner großen Autorität niemals ein zorniges Wort zu seinen Schülern oder allgemein, immer sein herzliches Lachen und schier unendliche Geduld, Liebe, Mitgefühl!

Mein Tibetischlehrer wird mir in der Zeit meiner Abwesenheit Fragen per Email beantworten, jeden Dienstag. Es freut mich sehr, dass wir diese wöchentliche Korrespondenzveranredung haben.
Eigentlich hätte ich nicht viel Gepäck gehabt, nur eine kleine Tasche Handgepäck. Da aber sehr viele Mönche mir Geschenke für Geshe Pema Samten, ihre Sponsoren und andere Leute mitgaben, muss ich jetzt doch mit einem schweren - wahrscheinlich zu schweren, das werde ich am Flughafen sehen weil ich hier keine Wage habe - Koffer reisen, der zu über 80% aus Transportgut für andere besteht. Ich hoffe nur der Koffer geht nicht verloren und ist nicht schwerer als erlaubt.

Lhawang begleitet mich nach Bangalore zum Flughafen. Obwohl ich eigentlich nur kurz verreise, sind Katag-Übergabe und ähnliche Bräuche bei der Verabschiedung und Rückkehr quasi obligatorisch. Ich bin gespannt auf mündliche Rückmeldungen bezüglich meines Blogs wenn ich in Deutschland auf Leser treffen sollte.

Freitag, 3. Juli 2009

Sponsorenbriefe, eine kleine Pilgerreise und Lhamo

Mit zunehmendem Systemausfall meines Schreibgerätes steigen die Schwierigkeiten hier Einträge zu verfassen. Deshalb ist es diesmal fast schon ein ganzer Monat, seit ich zum Letzten mal geschrieben habe. Ich bin zuversichtlich diese Probleme beheben zu können, wenn ich Ende Juli bis August Deutschland besuche.

Im August stehen diverse Prüfungen an, deshalb sind die Mönche noch fleißiger und beschäftigter als sonst schon. Jetzt fängt man bereits zwischen 5 und 5:30 Uhr mit dem Rezitieren bzw. Auswendiglernen an, geht von 6:30 Uhr bis 7 Uhr zur Morgenpuja, in der das Frühstück ausgeteilt wird, und lernt danach sofort weiter. Für die nächste Zeit ist sogar die morgentliche Debattiersitzung ausgesetzt, so dass ein realistisches Ausmaß an Zeit zum notwendigen Auswendiglernen gegeben ist. Da Auswendiglernen eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit ist, reicht dieses Ausmaß an Zeit aber wirklich nur dann, wenn man ausgesprochen gut darin trainiert ist. Ich hoffe nicht, dass es notwendig ist an dieser Stelle die enormen Vorzüge des auswendigen Beherrschens der Texte mit all den Definitionen, Unterteilungen, Beispielen und Erklärungen zu beschreiben, doch da wir Westler in unserer Kultur das Auswendiglernen verbannt haben und es schlicht kaum noch können, stoße ich oft auf den Kommentar, Verstehen sei besser als Auswendiglernen, und ich möchte für diesen Fall nur zu bedenken geben, dass Auswendiglernen und Verständnis nicht im Gegensatz zueinander stehen, sondern sich gegenseitig fördern und ab einem bestimmten Punkt ein tieferes Verständnis kaum noch entwickelt werden kann, ohne die Basis einer exzellenten Textkenntnis. Es wird nicht eine „korrekte“ Lehrmeinung auswendig gelernt, so dass ein Verständnis obsolet wird, sondern alle denkbaren Lehrmeinungen werden verinnerlicht und in der Debatte versucht zu verteidigen und anzugreifen, bis man für sich selbst einen Standpunkt gefunden hat, den man in der Debatte erfolgreich halten kann, ohne sich selbst zu widersprechen. So ein komplexes Verfahren ist undurchführbar ohne stabile, zitierbare Textkenntnis der Begründer der grundlegenden Lehrmeinungen.

Wenn die Mönche meines Hauses Briefe von ihren Sponsoren bekommen freuen sie sich enorm. Neulich hat Lhawang beispielsweise mit meiner Hilfe extra einen Emailaccount für sich angelegt, weil eine Sponsorin ihre Emailadresse geschrieben hatte. Nachdem er mir zwei Emails für sie diktiert hat, die ich dann ins Englische für ihn in die Email übersetzt habe, kam er wochenlang ständig zu mir und wollte, dass ich für ihr schauen gehe, ob eine Antwort eingetroffen ist. Seine fast schon nervöse Hoffnung mit der auf eine Antwort wartete, war richtig rührend. Er konnte es kaum erwarten. Gestern kam ein tibetischer Junge, auch Mönch unseres Hauses, auf mich zu und hielt mir einen Brief hin und fragte mich, ob das Deutsch sei oder Englisch. Es war Deutsch. Es gibt in unserem Haus nur einen tibetischen Mönch der ein bisschen Englisch kann, und dann noch meinen auf der anderen Seite von Sera wohnenden Tibetischlehrer. Es ist schon ein großer Aufwand für die Tibeter, wenn sie Briefe bekommen die nicht auf Tibetisch sind. Wenn sie jemanden gefunden haben der ihnen sagt was drin steht, denn eine schriftliche Übersetzung würde noch mehr Zeit und Qualifikation erfordern, müssen sie sich den Inhalt merken und dann irgendwann viel später, wenn sie wieder jemanden gefunden haben der sogar Englisch schreiben kann, aus dem Gedächtnis beantworten. Im Internetforum des Tibetischen Zentrums wurden einstmals Verwunderungen geäußert, weshalb die meisten Paten-Mönche auf Briefe nicht oft und wenn nur oberflächlich antworten würden. Die Erklärung ist also nicht nur die wenige freie Zeit, die die Mönche dafür zur Verfügung haben, sondern auch der dafür benötigte Aufwand, der nicht selten 3 Mönchen pro Brief Zeit kostet. Für Brieffreundschaften keine gute Voraussetzung. Für die Chance auf einen regeren Austausch müssten entweder müssten die Briefe daher auf Tibetisch verfasst werden, oder noch ein oder zwei Jahrzehnte abgewartet, bis mehr Mönche in der Schule Englisch gelernt haben.

Zu dem Thema Briefkontakt: es freut mich sehr, dass ich inzwischen noch ein paar Briefe bekommen habe. Ich habe vor die Briefe noch zu beantworten, bitte aber um Geduld. Es kann durchaus eine Weile dauern, bis ich dazu komme, da ich es sorgfältig tun will.

Dienstag (30.06.2009) haben Lhawang, Tsondru und ich, nach einer morgentlichen Tara-Puja für Geshe Pema Samten unseres Hauses, einen heiligen Berg in der Nähe bestiegen; eine Miniatur-Pilgerreise gemacht. Der Weg dorthin dauert ungefähr 2 Stunden, bestehend aus Rickshaw, Bus und Fußweg, und der Aufstieg auch nochmal einige Stunden. Der Berg ist sowohl für Hindus als auch für Buddhisten ein Heiligtum. Diverse hinduistische Tempel und Tempelruinen liegen auf dem Berg verteilt. Den Gipfel darf man nur ohne Schuhe betreten. Für Buddhisten ist er heilig, weil ein großer Buddhistischer Meister dort meditiert und seine Schüler unterrichtet hat. Da leider keiner von uns ortskundig war, konnten wir die Meditationshöhle zwar nicht finden, hatten aber trotzdem eine schöne Zeit. Auf dem Gipfel liegt einer der alten Hindutempel und nachdem wir ihn umrundet hatten setzten wir uns und führten eine spontane Lama Chöpa durch und rezitierten den Lobpreis an die 21. Taras und das Herzsutra auf Tibetisch. Um den Berg herum gewitterte es und in der weiten Ferne konnte man zwei sehr helle, silbern aus dem Regen heraus leuchtende Punkte sehen: die goldenen Dächer der Haupttempel vom Kloster Sera.
Als wir den Abstieg begannen verschwand das Gewitter um den Berg herum wieder, so dass wir den ganzen Tag ein ziemliches Glück mit dem Wetter hatten.

Lhawang on the mountain Tsondru, Lhawang and Khedrub after Puja on the mountaintop Tsondru, Lhawang, Khedrub after spontaneous mountaintop puja Lhawang, Tsondru, Khedrub at mountaintop temple

Bereits am Dienstag vor zwei Wochen wollten Lhawang und ich eigentlich zu diesem Berg pilgern, es kam aber derzeit ein Festessen dazwischen, welches unserem Haus gesponsert wurde, an dem er sehr gerne teilnehmen wollte. Um zur Freude des Tages beitragen hatte ich die Idee, den Mönchen meines Hauses Eis zu kaufen. Einige Tage zuvor hatte ich nämlich zufällig, als ich mit Lhawang in Kushalnagar war, entdeckt, dass es dort an manchen Läden Eis am Stiel zu kaufen gibt, und Lhawang, als ich ihm eins kaufte, von diesem ziemlich begeistert war. Also fuhr ich mit Lhawang nach Kushalnagar und kaufte für die an diesem Tag 65 anwesenden Mönche 85 Eis am Stiel, von mehreren verschiedenen Läden, da niemand so viele vorrätig hatte. Ich kaufte absichtlich zu viele, damit manche bei Bedarf auch zwei essen konnten. Diese Rechnung ging auf, denn als wir wieder im Kloster ankamen und ich das Eis nach dem Essen reihum verteilte, konnten alle die wollten zwei Stück haben und es waren noch welche übrig um den Kindern sogar drei zu geben. Besonders die Kinder und die alt ehrwürdigen Geshes haben sich ganz besonders sichtlich gefreut. Obwohl ich versucht habe das beste und teuerste Eis zu kaufen, das ich finden konnte, kostete das gesamte Eis nur knapp 20 Euro, die sich als sehr lohnende Investition herausstellten. Diese Art von Luxus ist sehr ungewöhnlich hier.

An dem darauf folgendem Dienstag ging ich Nachmittag zum IMI-Haus, also dem Haus wo die restlichen Injis („Engländer“ - also für die Tibeter alle Westler) leben, jedenfalls fast alle, und wir hatten Tee und Kekse und super Gespräche, vor allem über die tibetische Sprache und das Zusammenleben mit den Tibetern. Es ist immer wieder sehr erfrischend für mich die Erfahrungen der anderen, als sie die Sprache selbst noch neu lernten, mit meinen eigenen zu vergleichen und daraus meine Lehren zu ziehen. Zusätzlich bekomme ich ganz konkrete Vorschläge, beispielsweise welche Vokabeln zwar in den Büchern stehen aber nie verwendet werden und anders herum.
Danach gingen Tsondru und ich spazieren – mein Haus und das IMI-Haus sind sehr nahe der, ja bilden fast die, Grenze von Sera – zu den nahen Hügeln außerhalb des Klosters, auf der Seite auf der ich noch nie spazieren war. Eine sehr schöne Landschaft. Der Weg führte uns an dem Stein vorbei, auf dem die toten Mönche verbrannt werden. Sehr interessant zu sehen, aber der Geruch war etwas aufdringlich dort. Irgendwo setzten wir uns dann hin, auf einem wiesigen Abhang mit grandioser Aussicht und einem frischen Wind, der von dem ca. 100 Kilometer entfernten Ozean herüber getragen wurde. Bei der starken Nachmittagsonne, unterbrochen von gelegentlichem Nieselregen, war die Mischung sehr angenehm, und um die Atmosphäre zu perfektionieren führten wir angeregte Gespräche über den Dharma.

Derzeit versuche ich intensiv Konversation zu trainieren und das klappt auch schon ziemlich gut oder sogar sehr gut, wenn mein Gesprächspartner sich Mühe gibt von mir verstanden zu werden und möglichst dialektfrei spricht.
Eines Abends ging ich mit Thu-tob, einem Mönch meines Hauses, einen Tee trinken, in einem Restaurant das so versteckt gelegen ist, dass ich es in dem halben Jahr, das ich schon hier bin, noch nie entdeckt habe. Es wird, welch' Ironie, von meinem Zimmernachbarn betrieben. Dort hatten wir zu siebt eine vielschichtige lange Unterhaltung, selbstverständlich vollständig auf Tibetisch, und es ging wirklich flüssig. Natürlich mache ich diverse Grammatikfehler, vor allem beim schnelleren Reden, aber ich kann mich ausdrücken, werde verstanden und verstehe. Nicht jedes Wort, aber genug um zusammen mit dem Kontext folgen und passend antworten zu können. Vor allem aber lerne ich endlich neues Vokabular hinzu durch die bloße Unterhaltung. Es ist ein großer Spaß Zeit mit meinen tibetischen Brüdern zu verbringen und schon dadurch Neues zu lernen und Gelerntes zu üben. Ein Höhepunkt für mich war aber, als dann auch noch der, in dem Restaurant beheimatete Kater kam, und Schnur stracks auf mich zu ging und zu schmusen anfing. Die anderen, die sich schwer um seine Aufmerksamkeit bemühten, ignorierte er, und verbrachte 1 Stunde auf meinem Schoss, bis wir wieder Heim gingen. Es war sehr schön für mich alten Katzen-Narren mal wieder so angeschnurrt zu werden. Der Kater heißt angeblich Lhamo, auch wenn ihm der Name, wie mir scheint, spontan im Scherz gegeben wurde. Seltsam: er ist 16 Jahre alt und trotzdem wenig größer als normale europäische Katzenbabys und sieht auch noch total jung aus. Ich hätte ihn auf 1 Jahr geschätzt, niemals auf 16. Alle Katzen hier sind sehr klein, was wohl mit den Lebensbedingungen zu tun hat. Menschen wurden ja in der Geschichte auch nur größer wenn es genügend und gutes Essen gab.
Wenn ich hier im Haus spontan mal keinen Gesprächs(übungs)partner finde, gehe ich seit dem Abend oft in dieses Restaurant, denn dort finde ich nicht nur fast garantiert jemanden der Zeit hat zu reden, sondern auch noch den zahnlosen Lhamo.