Sonntag, 1. August 2010

Drei Prüfungen und drei Fragen an verunsicherte Wissenschaftler

Neulich, als ich in Kushalnagar Obst kaufte, war dort eine große Aufregung, weil ein sehr großer Affe im Dorf herum lief. Ich sah ihn gerade noch behände über eine Mauer springen und danach hinter dieser Mauer die Strommasten und die dünneren Bäume schwanken. Hin und wieder war er noch zu sehen, während er sich im Zickzack über die Bäume von der Straße, auf der ich mich befand, entfernte.

Vor einigen Wochen kam Khen Rinpoche Geshe Losang Palden, unser Abt, zurück aus Taiwan von einer Reise und gab dann für viele Tage jeden Morgen eine Stunde Lamrim Unterweisungen, die unsere reguläre Debattierphase unterbrach. Seinen starken Kham-Dialekt fand nicht nur ich schwer zu verstehen, sondern auch die große Mehrheit der tibetischen Mönche mit denen ich darüber sprach. Die schäpprige Lautsprecher Installation, die wir auf dem Debattierhof haben, hat nicht sehr geholfen. Dennoch freute ich mich sehr darüber, denn die neuen Mönche, die teilweise ohne eine buddhistische Vorbildung hier ankommen, können mit einem solchen Überblick viel besser einsortieren, was sie gerade lernen.
Ungefähr zur gleichen Zeit brachte mir jemand aus Deutschland etwas Brot und Käse mit, worüber ich mich enorm freute!

Vor einer Weile begleitete ich für einen Tag meinen Lehrer Geshe Tsewang Tobden nach Mysore, wo wir darauf zu sprechen kamen, dass ich Ume, die tibetische Schreibschrift, die mich etwas an Steno erinnert, lernen will und für das Studium hier auch muss, und er zufällig ganz besonders gute Fähigkeiten darin hat und mich neben dem normalen Studium noch darin ausbilden kann. Das freute mich sehr und wir begannen kurz darauf damit. Kein Bisschen zu spät, wie ich bald feststellen durfte, denn eines Tages in der Morgendebatte wurden wir zusammengerufen für eine Ansage über die drei uns bevorstehenden Prüfungen. Eine Auswendiglern-Prüfung, eine Debattier-Prüfung und eine schriftliche, in welcher auch auf das Beherrschen eben dieser Schreibschrift geprüft wird. Die Prüfungen beginnen Mitte August. Schon jetzt bekam jeder einen Papierschnippsel, auf dem der eigene Name und eine Nummer stehen, die wir bei der Anmeldung und bei der eigentlichen Prüfung angeben müssen. Wenn alles gut geht, steige ich danach eine Klasse auf, von der "unteren kleinen Düdra" in die "kleine Düdra".
Inzwischen hat meine Klasse (auch ich) das erste Buch ("Der kleine Pfad der logischen Beweisführung") abgeschlossen und ist in der Mitte des zweiten Buches ("Der mittlere Pfad der logischen Beweisführung") angelangt. Zur Zeit bremst die Regenzeit uns etwas, denn oft fällt jetzt die Debatte aus, weil es zu stark regnet. Passend zur Regenzeit hat nun auch unsere jährliche Regenklausur begonnen. [Erläuterungen zu diversen Themen die ich hier anschneide finden sich in älteren Beiträgen dieses Weblogs.]

In den letzten Monaten war die Stromversorgung in Sera so schlimm wie, laut den Anderen, seit vielen Jahren nicht mehr. Teilweise war unser Haus für ein bis zwei Wochen am Stück komplett ohne Elektrizität. Lange genug ohne Strom verschwindet auch immer zuverlässig das fließende kalte Wasser. (Wie man in Indien die Toiletten benutzt ist sicherlich bekannt...) Hindernisse die langsam beginnen weniger Einfluss auf meinen Geisteszustand zu nehmen.

Während es mir kürzlich erstaunlich oft vor kam, dass sich im Gespräch mit mir Inder über Indien und vor allem aber die Inder als solche beschwerten und Hitler dafür lobten, so tolle "Regeln" eingeführt zu haben die von den Deutschen so super eingehalten würden, und die meisten Tibeter eine Zeit lang von wenig anderem als der Fußballweltmeisterschaft sprachen und mich trotz bekundeten Desinteresses darüber auf dem Laufenden hielten wie es Deutschland dabei erging, vollendete der von mir in diesem Weblog schon viel gelobte Sönam Wangden, mein Tibetischlehrer, mit dem ich leider Probleme habe gemeinsame Zeit für Unterricht zu finden, unbeirrt sein neues Buch und veröffentlichte es genau zum Geburtstag Seiner Heiligkeit, des 14. Dalai Lama. Dieses Buch ist etwas ganz besonderes. Doktor Samdong Rinpoche Lobsang Tenzin, der tibetische Premierminister und ein sehr großer, geachteter Gelehrter, dessen viele Errungenschaften kaum in einem Leben unterzubringen scheinen, hatte einst darauf hingewiesen, wie wichtig für das Überleben der tibetischen Kultur das Überleben der Sprache sei, und dass es kein Werk über das Verfassen von Texten gäbe, welches die literarischen und sprachlichen Entwicklungen der letzten Jahrhunderte und vor allem Jahrzehnte berücksichtige. Er forderte dann auf ein solches Buch zu verfassen, eine große Aufgabe die Sönam Wangden jetzt ganz nebenbei erfolgreich zum Abschluss brachte. Das Resultat ist ein tibetisches Buch wie ich es sonst noch nicht gesehen habe, in Layout, Aufbau und Inhalt. Er hat sich sehr stark von westlichen Lehrbüchern und der Art über Grammatik zu schreiben inspirieren lassen. Das ganze Buch sieht vom Cover bis zu jeder einzelnen Seite so professionell aus, als wäre es von einem Deutschen Verlag für viel Geld hergestellt worden. Und anstatt alles in einem kaum unterbrochenen Fließtext unterzubringen und aufzuzählen, wie es üblich gewesen wäre, verwendet er viele übersichtliche Diagramme, unterschiedliche Schriften und mathematische Symbole um grammatikalische Strukturen zu verdeutlichen. Ich bin sehr angetan!

Wo ich gerade über Dinge schwärme die meine Lehrer tun, möchte ich noch kurz erwähnen wie mich Gen Tsewang Tobden verblüffte, als er mir von einer Konferenz hier im Kloster erzählte, bei dem die hohen Lehrer sich mit einigen Wissenschaftlern zu einem Dialog trafen. Während des Vortrags darüber wie sich diese Wissenschaftler die Welt und das Weltall vorstellen und die physikalischen Zusammenhänge, hatte er die Gelegenheit drei Zwischenfragen zu stellen. Ganz simple Fragen, die mich vor allem dadurch beeindrucken wie mutig einfach sie sind, das Grundlegendste hinterfragen. Auf seine Frage, wie zu beweisen sei, dass die Erde um die Sonne kreise, zeigten sie ein Modell aus Bällen, der mittlerste die Sonne. Genla konterte, man könne genauso gut den mittleren Ball als Erde deklarieren, - das Modell könne sie Sichtweise erklären aber sie nicht beweisen. Ob sie ihm Videos zeigen könnten als Beleg, auf denen man es unzweideutig erkennen könnte, wurde verneint und sie scheiterten auch daran es anderweitig zu beweisen, was sie schließlich zugeben mussten. Er zweifelt natürlich nicht ernsthaft an der Tatsache, aber gerade deshalb imponiert mir wie er nach Beweisen fragt, wo ich als Westler nur blind akzeptiere. Er ging noch weiter und die von seinen cleveren Fragen ausgelöste Ratlosigkeit führte zu viel Gelächter. Die folgenden beiden Fragen waren dann wesentlich ausgefeilter und hinterfragten Ansichten der Neurologie und der Atomphysik.

Sonntag, 13. Juni 2010

Unser Premierminister zu Gast im Kloster

Nachdem ich die Aufnahme des inspirierenden Vortrags von meinem kostbaren spirituellem Vater und Lehrer Geshe Pema Samten im Völkerkundemuseum gehört habe, in welchem er unter anderem von seiner Studienzeit in Sera erzählt, drängt es mich noch mehr Fleiß in mein eigenes Lernen zu legen, und so habe ich nun arrangiert doch wieder Tibetischunterricht von Sönam Wangden zu erhalten, den ich zu Gunsten des philosophischen Studiums zunächst ausgesetzt hatte. Mit etwas mehr Anstrengung schaffe ich sicher dann doch beides gleichzeitig, und wenn ich dafür wie Genla noch früher aufstehen muss, um heimlich im Maisfeld zu üben.
Das Maisfeld brauche ich dafür wahrscheinlich noch nicht mal aufzusuchen.
Alleine durch das Studium, welches natürlich vollständig in Tibetisch stattfindet, verbessert sich zwar mein Sprachverständnis, aber da das alltägliche Konversationstibetisch so verschieden ist von der philosophischen Sprache, sowohl in Vokabular als auch Grammatik, halte ich eine gesonderte Anstrengung für die ansonsten vernachlässigte Alltagssprache für wichtig.

 Vor einigen Tagen kamen einige neue Mönche aus Australien, die dort frisch ordiniert wurden. Somit ist die Zahl der "Westlichen" Mönche nun auf sagenhafte 14 gestiegen. 10 davon leben zusammen im IMI-Haus und die restlichen, so wie ich, in verschiedenen Häusern bei den Tibetern. Hoffentlich halten sie eine Weile hier aus und treten wie geplant nächstes Jahr dem Studienprogramm bei. Wie es mein Lehrer, Gen Tsewang Tobden, sagte, es gibt so wenige Westler die es her schaffen, und davon schaffen es so wenige lange hier zu bleiben, und von denen die lange hier bleiben schaffen es nur wenige das Studium zu vollenden. Je mehr also her kommen, desto größer die Chance am Ende einige ausgezeichnete Gelehrte zu hervorzubringen, die so dringend gebraucht werden.

Seit gestern Abend regnet es durchgehend. Ich freue mich darüber, es weht ein ziemlich kühler Wind, die dichte Wolkendecke hindert die Sonne daran ihre heißen Strahlen bis runter zu uns zu schicken, überall gibt es ein dezentes Prasseln und Plätschern als Geräuschkulisse, die Luft riecht nass und lebendig, die Pflanzen nutzen ihre Chance zur grünen Explosion und alles glitzert und schimmert. Am meisten freut mich die Abkühlung, während die Tibeter meines Hauses frieren, stelle ich mich in den nass-kalten Wind, schließe die Augen und denke: Nordsee.
Wenn es regnet fällt die Debatte aus oder ist wenigstens nicht obligatorisch. Manche gehen dennoch, debattieren dann unter einem schmalen, länglichen, überdachten Bereich des Debattierhofs. In diesem drängen sich dann viele hundert Mönche eng aneinander und müssen sich wegen der Lautstärke und des Halls gegenseitig in die Ohren schreien um sich zu hören. So wäre ich gestern auch beinahe ertaubt, weil es keine Mitte zwischen den Extremen zu geben schien; sich gar nicht zu hören oder die Vibrationen und den Luftausstoß des Debattierpartners als Schmerz auf meinem Trommelfell zu spüren. Zusätzlich ergab es sich auch noch, dass ich an einen Amdopa geriet, dessen Dialekt sehr stark ausgeprägt war. Der Dialekt aus Amdo wird glaube ich generell als derjenige akzeptiert, der für andere am schwersten zu verstehen ist. Später setzte sich Puntsog, ein Khampa meines Hauses, zu uns, und versuchte an dem Gespräch teilzunehmen, scheiterte aber daran kein Wort des Amdopas zu verstehen. Er wandte sich bei jedem Satz mit verzweifeltem Blick an mich, damit ich für ihn zwischen den beiden tibetischen Dialekten übersetzen sollte. Ich bin vielleicht geübter darin, aus einzelnen verstandenen Worten und dem Kontext einen passenden Gesprächsbeitrag zu erraten.
Bevor die Debatte begann, versammelten wir uns an der Straße entlang in einer langen Reihe mit weißen Schals und Blumen, um unseren Premierminister Samdong Rinpoche Lobsang Tenzin willkommen zu heißen, der unter den Tibetern überall als großer Gelehrter mit so vielen akademischen Errungenschaften gepriesen wird, dass man sie kaum innerhalb eines Lebens erreichen kann. Er ist für eine große Konferenz in Sera, zu welcher Repräsentanten aus den großen Klosteruniversitäten und den Tantra-Kollegs sowie Politik und Wissenschaft geladen sind. Die Themen sind unter anderem Wissenschaft und Buddhismus, Abschätzungen des Nutzens für die Klöster und den Buddhismus von mehr wissenschaftlicher Ausbildung in den Klöstern, eines "modernen Buddhismus". Da fast alle Exilklöster unserer Tradition und die tibetische Exilregierung repräsentiert sind, kann am Ende eine einheitliche Position vertreten werden.

Montag, 31. Mai 2010

Saka Dawa, Stromlos, Nudelüberraschung

Einen schönen Saka Dawa wünsche ich nachträglich allen Lesern. Der eigentliche Feiertag war Donnerstag (27.5), aber der ganze Monat gilt als Glück verheißend. Donnerstag hatten wir einen schönen großen gelben Vollmond in einem schwarzen Himmel mit wenigen Wolken, die in ein bezauberndes Licht getaucht wurden. Dies als Hintergrund, stehen die mit bunten Lichterketten dezent geschmückten, großen Tempel des Klosters in angemessenem Rahmen. 
Die Lichterketten werden von Batterien gespeist, die über Solarpanele aufgeladen werden, denn sonst wären sie dunkel wie der Rest des Klosters, da wir zur Zeit mehrere Tage pro Woche überhaupt keinen Strom haben, und wenn doch, dann nur sehr kurz (wenige Minuten). Die Stromversorgung ist instabiler geworden in letzter Zeit, noch mehr als zuvor. Es ist allerdings sehr oft nur unser Haus betroffen, unsere Nachbarn und der Rest des Klosters hat die normalen 6 Stunden Strom pro Tag, meistens. Ich bin versucht zu meinen "leider nur unser Haus", denn das reduziert die Chancen auf Reparatur sehr. Man müsse nur die richtigen Inder bestechen, dann würde es repariert, sagen die einen. Wenn ich versuche herauszufinden, wer die richtigen Inder sind, sagen die anderen, das könne ich nicht tun, denn sobald ich ihnen einmal Bestechungsgeld gegeben habe damit sie die Leitung reparieren, werden sie nie wieder ohne diesen Anreiz kommen, und zusätzlich eventuell sogar die Leitung mutwillig beschädigen um öfter gerufen zu werden. So bleiben mir nur Dunkelheit, Kerzenlicht und der Wunsch auf eine Solaranlage, denn Sonne haben wir mehr als genug.

Im letzten Eintrag erwähnte ich meine Lebensmittelvergiftung. Diese war offenbar doch noch nicht vorbei, denn kurz darauf hatte ich einen Rückfall, zwar schwächer als zuvor, aber dennoch Zeit raubend. Vor ungefähr zwei Wochen wurden Ehrungsfeiern für diverse Mönche abgehalten, die in die Lharamklasse eingetreten sind, unter anderem auch der Lehrer unseres Hauses Yama Dorje. Wir befinden uns allerdings gerade in verminderter Besetzung in unserem Haus, da noch immer viele Mönche in Sikkim sind. Sie kommen vermutlich in der ersten oder zweiten Juni Woche zurück nach Sera.

Seit einer Weile hat sich noch eine zweite Eidechse in meinem Zimmer niedergelassen. Es ist mir eine große Freude den beiden zuzuschauen, leider sind sie sehr scheu, schon eine schnelle Kopfbewegung meinerseits kann sie verschrecken. Da die beiden etwas unterschiedlich groß sind, habe ich sie Tsangchen und Tsangchung (von rtsangs pa) getauft. Ich hoffe sie bleiben hier wohnen, denn sie bringen mich häufig zum Lachen. Neulich jagte Tsangchen eine Kakerlake hinter meinem Schreibtisch hervor. Die meisten Kakerlaken sind deutlich größer als die Eidechsen, aber diese war noch sehr jung. Die Eidechse jagte offenbar nicht um die Kakerlake tatsächlich zu fangen, denn sie hielt einen konstanten Abstand. Ich weiß nicht ob Eidechsen Territorien haben, aber so sah es für mich aus. Ich nutzte die Gelegenheit um die Kakerlake, die völlig abgelenkt war, einzufangen und raus zu bringen. Die ausgewachsenen Kakerlaken werden hier gut Zeigefinger groß, die Eidechsen sind eher kleiner.

Apropos Kakerlaken. Neulich kochte ich Nudeln und von der Tüte ins kochende Wasser fielen ein paar Kakerlakenbeine. Ich erschrak, sie mussten wohl an der Außenseite der Tüte geklebt haben. Wir haben reichlich Kakerlaken, also war es nur deshalb verwunderlich, weil ich sie nicht vorher gesehen hatte. Ich fischte die Beine aus dem Topf, zum Glück schwammen sie an der Oberfläche. Als ich dann den Rest des Tüteninhalts in den Topf entleerte, fiel die restliche tote Kakerlake in einem Stück aus der Tüte ins Wasser. Seit dem inspiziere ich die Nudeln sehr genau beim Kauf. Einem anderen Mönch glaubte ich damals nicht recht, dass ihm das gleiche mal mit einer Milchtüte passiert sei. Jetzt schon. 

Ich würde gerne meine (beiden) Leser nochmal dazu auffordern sich zu melden, mir mehr Rückmeldung zu geben. Nur durch Rückmeldungen kann ich einschätzen wie nützlich es tatsächlich ist hier Einträge zu schreiben, und welche Themen von Interesse sind. Ganz besonders würde es mich freuen Fragen oder Themenvorschläge zu bekommen. Welche Aspekte unseres Klosterlebens werden gerne gelesen und welche langweilen?

In der Hoffnung, dass alle Kreisgänger viel Freude an der heilsamen Praxis geistiger Entwicklung haben mögen,
Khedrub.

Dienstag, 4. Mai 2010

Kleine Debattierklasse und Aufforderungen zu mehr Meditation

Wiedereinmal liegt mein letzter Eintrag wesentlich länger zurück als gewünscht, bevor ich nun endlich dazu komme einen neuen zu verfassen. An mangelnden Vorsätzen einen zu verfassen lag es nicht, jedoch ist der einzige Tag, an dem ich eine realistische Chance habe sie umzusetzen, Dienstag, unser einziger freier Tag. Da unter der Woche für nichts Zeit ist außerhalb des Studiums, konzentrieren sich alle anderen Tätigkeiten, vom Waschen bis zum Einkaufen, auf diesen einen Tag.

Meine Debattierklasse ist noch sehr klein, weil das (tibetische) Jahr noch jung ist, aber vor allem wegen des generellen Schrumpfungstrends der neuen Klassen von Jahr zu Jahr. Es wird den Tibetern seit langem zunehmend schwerer gemacht aus Tibet zu fliehen, und ohne den Strom neuer Flüchtlinge bleiben hier auch die neuen Mönche aus. Es ist noch nicht lange her, da war es kaum vorstellbar eine neue Klasse aus unter hundert Mönchen zu haben. Meine Klasse hat zur Zeit zwischen 30 und 50. Zu meiner Erleichterung gehöre ich mit meinen 27 Jahren noch nicht zur Spitze der Alterspyramide, sondern liege beinahe genau im Durchschnitt, der bei Anfang/Mitte 20 liegen dürfte. Es gibt wenige die knapp unter 20 sind und sehr wenige über 30. Dass es überhaupt welche jenseits der 40 gibt, die noch mit dem Studium beginnen, welches nicht zu vergessen inzwischen gut 20 Jahre dauert, finde ich bemerkenswert.

Zur Zeit bin ich der einzige Westler in meiner Klasse, aber mehrere kommen aus der Mongolei, Sikkim, Nepal und so weiter. Teilweise sind deren Kenntnisse der tibetischen Sprache noch sehr schwach, sogar aus meiner Perspektive, und so existiert zwischen uns eine implizite Verbundenheit. Doch auch mit den meisten Tibetern macht mir das Debattieren viel Spaß, sofern sie sich nicht gerade ihrem Dialekt aus Amdo hingeben oder die Definitionen und Unterteilungen nicht gut kennen. Es kann zwar ganz nett, beinahe entspannend sein, wenn der Debattierpartner sich mit jedem zweiten Satz direkt und wiederholt widerspricht, aber neue Denkansätze und Weltbild umstoßende Ideen bringen mir eher diejenigen Debatten, in denen durch cleveres Nachfragen die Lücken im eigenen Verständnis zu Tage gefördert werden.

Saka Dawa als Anlass, werden mehrere Mönche aus Sera, unter anderem auch mein Zimmernachbar Lhawang, für anderthalb Monate nach Sikkim reisen, um dort Pujas durchführen. Und in wenigen Wochen wird leider auch Gen Tsewang Tobden, mein Peti-Gen, für 50 Tage Sera verlassen, weil er nach Taiwan eingeladen wurde. Er berichtete mir, dass er eigentlich gar nicht gehen wolle, weil er so viele Schüler hier allein lassen müsse, und daher versucht hat seine Gastgeber herunter zu handeln, weil sie ihn eigentlich für 90 Tage haben wollten. Mich stellt seine bevorstehende Abwesenheit vor das Problem in der Zeit keinen Unterricht erhalten zu können, der normalerweise die Debatte begleitet und befruchtet. Sönam Wangden, mein (zur Zeit ehemaliger) Tibetischlehrer, hat sich bereit erklärt mir bei Bedarf ersatzweise Erklärungen zu geben. Ich hoffe das wird reichen. Aber irgendwie wird es klappen. In letzter Zeit komme ich immer mehr zu einer sehr entspannten Haltung was mein Studium hier angeht, vor allem durch die Betrachtung des Ganzen als ein unglaublich langer Zeitraum. Selbst wenn mir jetzt aus dem einen oder anderen Grund etwas entgehen sollte, spielt das langfristig keine Rolle, denn es wird wieder und wieder dran kommen. Außerdem ist dieses Studienprogramm, wie mir auch von anderen bestätigt wurde, gar nicht darauf ausgelegt jedem zur gleichen Zeit jede mögliche Betrachtungsweise des aktuellen Gegenstandes bei zu bringen, sondern eher auf einer Meta-Ebene die Art zu denken und zu analysieren beizubringen, den Geist daran zu gewöhnen und ihn zu trainieren, und ihn so zu befähigen später alles selbst zu untersuchen. Zu versuchen jetzt tatsächlich jede mögliche Debatte zu einem Thema einmal zu führen und zu erwarten dies auch zu erreichen, ist also nicht nur vergeblich, sondern auch in gewisser Weise am Thema vorbei. Schließlich geht es hier nicht darum einen Titel zu bekommen, Preise zu gewinnen oder Fachwissen anzuhäufen, sondern ein guter Mensch zu werden und dabei möglichst vertraut mit der Lehre zu werden. Die letzten zwei Wochen, bis gestern, bin ich durch eine Lebensmittelvergiftung vom Studium abgehalten worden, wobei ich aber wenigstens keine Peti verpasst habe, weil Gen Tsewang Tobden eh in Mysore war um etwas zu erledigen und daher mich nicht unterrichten konnte. Doch anstatt mich jetzt zu sorgen, ob ich vielleicht zurückgeworfen sein könnte, freue ich mich darauf meinen Wissensdurst nun wieder am klaren Quellbach des Dharma stillen zu dürfen.

In den letzten Wochen oder Monaten begegnet es mir immer öfter, dass Lehrer hier in Sera uns ganz direkt und von Dringlichkeit beseelt dazu raten mehr zu meditieren. Meditation soll studiumsbegleitend eingeübt werden und wäre sehr wichtig, da ansonsten das Studium sogar ein Gift werden kann. Ohne die Meditation kann es schnell passieren, sobald man auch nur ein klein wenig verstanden hat, dass man stolz entwickelt und auf die anderen herab schaut, vielleicht sogar ärgerlich wird, wenn sie einem widersprechen oder "die eigene Zeit verschwenden". Dann ist das Studium zu einem Gift geworden. Ich fühlte mich tief berührt, als Gen Tsewang Tobden mir zu diesem Thema neulich eine aus seiner eigenen Erfahrung entspringende Belehrung gab. Betreffend meiner Lehrer bin ich durch und durch mit kostbarsten Juwelen überhäuft.

Donnerstag, 11. März 2010

Meine erste Debatte

Ein aufregender und besonderer Tag in meinem Leben. Die erste Debattiersitzung (jedenfalls die erste auf Tibetisch, die offiziell Teil des Studienprogramms ist) gilt generell als etwas ziemlich besonderes; wenn andere Mönche es mitbekommen gibt es häufig den Ausruf "wie Glück verheißend!"
Sehr ungewöhnlich fing mein Tag auch an, nachdem er von einer kurzen, nur durch 3 Stunden Schlaf gewürdigten Nacht angeführt wurde. Ich stand um 5 Uhr auf, scheinbar als erster und, für noch über eine Stunde, einziger meines Hauses. Seltsam, aber erklärbar. Die erste Debattiersitzung um 8 Uhr fest im Auge, machte ich meine morgendliche Praxis, duschte, frühstückte, und so weiter, wobei ich beim Teekochen leider den Glasdeckel meines Zuckerwürfelglases fallen ließ, der in ungewöhnlich viele kleine Teile auf dem Boden zersplitterte. Da man sich hier in den Zimmern ausschließlich Barfuß bewegt, keine uninteressante Angelegenheit, und es war noch zu früh um meinen kleinen Handstaubsauger aus Mysore zu betreiben, aber der Strom wäre bald weg und erst am Nachmittag wieder da. Bis zum Nachmittag also in meinem Zimmer Badelatschenpflicht. Wenigstens die groben Scherben zusammen fegen wollte ich, griff nach dem Bündel zusammengebundener Halme, die meinen Besen darstellen, und schreckte dabei eine Familie Kakerlaken auf, die dieses Bündel für ein gutes Versteck gehalten hatten. Den "Besen" und seine Bewohner bereits in der Hand, öffnete ich rasch die Tür und beförderte beides miteinander in einer schnellen Bewegung hinaus.

Als ich gegen Viertel vor Sieben in meinem Zimmer noch rasch versuchte einige wichtige Debattiervokabeln in meinen Kopf zu füllen, und mir insgeheim ausmalte wie schön es doch wäre, wenn die Debatte erst um 9 beginnen würde, damit ich mehr Zeit hätte auswendig zu lernen, bemerkte ich, dass einige Mönche das Haus verließen, aber ohne Debattierkissen. Sehr ungewöhnlich. Also ging ich raus und fragte den gerade vom Frühstück heimkehrenden Karma Trinley, ob die Debatte etwa erst um 9 stattfinden würde. "Nicht um 9, nur um 6 Uhr abends! Wir haben doch Off-Session." Dass Eintrittsprüfungen auch in Off-Sessions stattfinden, in denen die morgendliche Debatte zu Gunsten des Auswendiglernens aussetzt, war für mich eine Überraschung, aber eine gute. Ich wurde schon etwas nervös bezüglich meines heutigen gedachten Zeitplans, der ohne eine Minute Pause nach der Debatte sofort den Unterricht (Peti) mit Gen Tsewang Tobden vorsah, danach bürokratischen Papierkram, die Nachbereitung des Unterrichts und dann sofort die nächste Debattiersitzung, abgeschlossen vom nächtlichen Auswendiglernen/Rezitieren. Jetzt sah das alles auf einen Schlag sehr viel entspannter aus.


Inzwischen ist mein erster Debattiertag fast zuende, es liegen nur noch 2 Stunden Auswendiglernen vor mir. Als es so weit war und ich mich auf den Weg zum Debattierhof machte, war ich eigentlich gar nicht so nervös oder aufgeregt wie ich erwartet hatte. Ich war etwas früher als die anderen Mönche losgegangen, weil ich vorhatte noch schnell etwas essen zu gehen, worin ich jedoch scheiterte, und kam also eine viertel Stunde vor Beginn an. Es waren noch nicht viele Mönche auf dem Debattierhof eingetroffen. Die beiden recht dicht am Eingang sitzenden fragte ich, wo sich denn die DuChung, also meine Klasse, treffen würde. Auch sie waren offenbar neu, und meinten ich könnte einfach da bei ihnen warten, weil das der gesuchte Treffpunkt wäre. Zum Glück brannte die Sonne um 18 Uhr nicht mehr so stark herunter und stand vor allem in einem Winkel, der es dem Tempel ermöglichte fast dem ganzen Hof Schatten zu spenden. Nach einer ganzen Weile erschienen auch Mönche meines Hauses. Als Losang Puntsog und Tenzin Tsering eintrafen gesellte ich mich zu ihnen, und hielt mich dann auch für den ganzen restlichen Abend an sie. Bald begann die Debatte und erst schaute ich mich etwas hilflos um nach einem Debattierpartner, denn es schien mir beinahe als wäre keiner für mich übrig. Tenzin Tsering lud mich ein mit ihm zu debattieren. Ich hatte große Probleme mit seinem Dialekt und seinem sehr fortgeschrittenen Debattiervokabular, welches erst in späteren Kapiteln unseres Textbuches eingeführt wird. Alleine seine Worte zu hören erforderte viel Anstrengung, wegen der hohen Lautstärke die hunderte von laut rufenden Mönchen um einen herum erzeugen können.



Wir debattierten eine halbe Stunde, bis er mit Puntsog den Platz tauschte. Puntsog spricht etwas dialektfreier, aber hat bisher noch nichts auswendig gelernt und auch noch keinen Unterricht besucht. Er fragte, ohne die strikte Debattierform zu verwenden, danach ob Huhn oder Ei zuerst gewesen wären und ähnliche zusammenhanglose Themen, mit einem peinlich berührten Lachen. Hätten wir Englisch gesprochen wäre ich versucht gewesen ihm zu erklären, dass das Ei ein paar Millionen Jahre vor dem Huhn da war, ließ es dann aber, auch weil es ja bestenfalls eine Unterstützung der Ablenkung vom eigentlichen Thema gewesen wäre. Also übernahm ich die Rolle des Herausforderers und er setzte sich hin zum Verteidigen. Hier ergab sich die Schwierigkeit, dass er nicht nur den Text noch nicht gelernt hatte, sondern auch mit der formalen Art zu Antworten nicht vertraut war und so auf meine Fragen oft unabsichtlich und unbewusst Unsinn antwortete. Die neben uns Debattierenden haben sich ziemlich darüber amüsiert, dass ein Westler bei seiner ersten Debattiersitzung einem Tibeter (bei seiner ersten Sitzung) so Haus hoch überlegen ist, und das obwohl ich wirklich nur die einfachsten Beispieldebatten durchgegangen bin und ein paar Definitionen und Unterteilungen abgefragt habe. Obwohl ich in dieser Situation natürlich nicht viel dazu lernen konnte von ihm, fand ich diese Erfahrung nach der vorhergehenden Debatte mit Tenzin Tsering sehr aufbauend.

Ich weiß, dass er schon in wenigen Tagen, wenn er angefangen hat zu studieren, mich weit überholt haben wird, auf Grund meines begrenzten Vokabulars. Heute und in den letzten Tagen beim Unterricht habe ich mich Großteils damit über Wasser halten können, dass ich bereits einige Erfahrung mit den Themen und sogar der Debatte selbst in der Englischen Sprache sammeln konnte.

Nach einer Stunde versammelten sich alle Mönche in einem sehr dicht gefüllten Halbkreis bzw. Halboval und rezitierten für eine gute Stunde diverse Gebete, gefolgt von diversen Ankündigungen wann was in den nächsten Tagen stattfindet und ähnliches. Danach durften wir dann wieder debattieren. Ich setzte meine Debatte mit Puntsog fort. Was mir auffiel war die äußerst heitere Stimmung. Scheinbar alle auf dem Debattierhof hatten Spaß bei der Debatte. Vielleicht war das aber lediglich meine Projektion, dank meiner eigenen äußerst positiven Stimmung, ob meines ersten Tages in der Debattierklasse.

Danach gingen Puntsog und ich gemeinsam heim und unterhielten uns noch, er war recht erstaunt über meine Vertrautheit mit den Formalitäten der Debatte und ich erzählte ihm vom Kloster Nalanda in Frankreich, und vom Tibetischen Zentrum in Hamburg, wo schließlich auch von einigen Westlern debattiert wird.

Jetzt muss ich dringend Lernen, besonders Vokabeln, Definitionen und Unterteilungen. Das Handwerkzeug.

Dienstag, 9. März 2010

Eintritt in die Debattierklasse

Nach dem ich mir lange überlegt habe, bei wem ich Unterricht (Peti) nehmen soll und mir von vielen Mönchen Empfehlungen angehört habe, fiel letztendlich meine Entscheidung auf Gen Tsewang Tobden. Er spricht ein sehr akzentfreies, langsames und deutliches Tibetisch und kann sogar einige wenige Worte Englisch. Er hat bereits sehr viele Schüler, weshalb es nicht sehr wahrscheinlich war, dass ich sein Schüler werden konnte, aber es hat zu meinem Glück dann doch geklappt. Seit 4 Tagen erhalte ich jetzt von ihm Unterricht zu den Texten, indem er mögliche Debatten aufzeigt und mich generell in die Texte einführt, sie auch Silbe für Silbe erläutert.  
Heute war das Eintrittsexamen für die Debattierklasse. 
Wir, also die 4 anderen Mönche meines Hauses die der neuen Klasse beitreten, ein Geshe der uns begleitete, und ich, trafen uns um 6:30 vor unserem Haus. Dann gingen wir, mit einer vollen Teekanne und jeweils einem Katag und Geldumschlag zusammen zum Sera Jey Dratsang. Wir waren die ersten dort und warteten fast eine Stunde, bis endlich auch die eintretenden Mönche der anderen Häuser sich versammelten. Insgesamt waren es dann gut 30 Mönche. Schließlich durften wir rauf und uns auf dem Obergeschoss in einer Reihe aufstellen. Wir wurden einzeln aufgerufen und gingen dann im Gänsemarsch die Treppe hinauf, in den Vorraum von Ken Rinpoche Geshe Losang Paldens Zimmer. Er konnte leider nicht anwesend sein, nur sein Stellvertreter. Ich stellte überrascht fest, dass einige der anderen Mönche viele Ermahnungen brauchten, bis sie es schafften ihre Kleidung halbwegs respektvoll in Ordnung zu bringen. Nach 3 Niederwerfungen übergaben wir die Katags und Geldumschläge auf den Thron von Ken Rinpoche, die mitgebrachten Teekannen wurden übergeben und wir setzten uns gesittet in 3 Reihen an die Seite des Raums. Kaum saßen alle, irgendwie zusammen gequetscht, wurden wir gleich wieder aufgescheucht uns anders hin zu setzen, in Richtung des Throns, an einer anderen Wand. Diesmal landete ich in einer Ecke neben einem Staubsauger, dessen Präsenz mich ziemlich erstaunte. Es wurden Pappbecher ausgeteilt und mit einem Schluck Buttertee befüllt, aus den mitgebrachten Teekannen. Ein Schluck ist keine Untertreibung, der Tee bedeckte kaum den Boden des Bechers, zu meinem Glück, denn ich mag Buttertee nicht sonderlich. Es folgten die Rezitationen der Gebete, die der Gegenstand dieser Prüfung waren. Offenbar ging es aber weniger darum die Textfestigkeit der Einzelnen Teilnehmer zu prüfen, als eher das Zustandebringen einer vernünftigen Rezitation als Gruppe.
Anschließend gingen wir zusammen zum Disziplinar. Er schien überrascht, gar überrumpelt zu sein, und als wir uns dann nach einiger Wartezeit vor seinem Haus, in seinen Hauseingang hinein begeben durften, hielt er uns, in Unterrock und gelber Mönchsweste, eine lange Rede über die Vorteile des fleißigen Studierens und guten Verhaltens und die Konsequenzen vom Gegenteil, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Wir knieten alle zusammengedrängt vor ihm und alle schauten auf den Boden, weil es offenbar unschicklich wäre ihm in die Augen zu sehen, was mir jedoch einige Mühe bereitete, denn ich finde es schwierig zuzuhören ohne Augenkontakt zu suchen, besonders in einer Sprache die von mir viel Konzentration erfordert. Plötzlich sprach er mich an und fragte woher ich komme, in welchem Haus ich wohne, wer mein Lehrer sei. Dann erhielt ich Lobpreis von ihm für das, was aus mir mal werden könnte, welch großen Nutzen es hat wenn ich später im Westen unterrichte. Unverdiente Vorschusslorbeeren aber ein Ansporn mich anzustrengen. Danach ging meine zukünftige Klasse auseinander, jede Gruppe zu ihrem respektiven Khangtsen. Im Tehor Khangtsen gingen wir zu unserem eigenen Disziplinar, knieten zu siebent vor ihm, sagten unsere Namen und Hausnummern. Auch er hielt dann eine Rede über die Vorteile des guten Studierens und ähnliches, und ließ es sich nicht nehmen immer mal wieder auf mich anzuspielen, beispielsweise als Verdeutlichung von wie weit her die Mönche anreisen um hier studieren zu können. Als wir seinen Raum verließen gab er uns jeweils eine Hand voll Bonbons, dann gingen wir zu unserem Haus zurück. 
Lhawang sah uns kommen und sagte mir "jetzt bist du ein wirklicher Sera Mönch", obwohl er dann keine Antwort wusste, als ich ihm nahe legte, dass seiner Aussage an Durchdringung fehle, da ich ein Sera Mönch war seit ich dem Kloster formell beitrat vor über einem Jahr.
Morgen ist der Jahrestag des Tibetischen Aufstandes gegen die Chinesische Besetzung, weshalb erst übermorgen, also Donnerstag, die Debatte beginnt.Jetzt bin ich also im unteren Dü-Chung.

Morgen hören wir gemeinsam eine Rede von Seiner Heiligkeit dem 14. Dalai Lama an und machen einen Protestmarsch mit Kerzen.

PS. Es waren nur ca. 30 Mönche heute morgen, weil im Laufe des Jahres noch mehr und mehr neue Studenten hin zu kommen werden, und weil durch die verschärften Grenzkontrollen der Chinesen immer weniger Tibeter fliehen können und den Klosteruniversitäten beitreten. Die Klassen werden von Jahr zu Jahr kleiner, wegen der wenigen Neuankömmlinge aus Tibet.

Sonntag, 14. Februar 2010

Frohes Neues Jahr 2137

Frohes Neues Jahr!
Heute ist das Tibetische Neujahr, Losar. Willkommen 2137, Eisen-Tiger-Jahr. Wie beginnt ein solcher, vermutlich der größte Feiertag hier im Kloster? Am Tag vorher wird das Kloster geputzt, um das Neue Jahr willkommen zu heißen. Der erste Tag des neuen Jahres, also Losar selbst, beginnt nicht mir einer Puja oder zwei, sondern mit vier Stück, angefangen um 4 Uhr morgens. Man begeht das neue Jahr direkt mit einer gemeinschaftlichen, nein mit vier gemeinschaftlichen Dharmaaktivitäten. Sehr gut, aber anstrengend. Manche der Mönche haben bis kurz vor 1 Uhr Nachts reingefeiert und das neue Jahr dann mit lauten Grußrufen empfangen. Gut 2 Stunden später stand man dann wieder auf. Wenn ich von Feiern spreche, meine ich entspanntes Zusammensitzen, reden, Filme schauen.
Auch heute wieder ist die Sehnsucht nach dem Heimatland für die Tibeter besonders stark, öfters hört man Dinge wie "Losar ist so schön, in Tibet!", gefolgt von Schwärmereien über die Kälte, das gute Essen, die gute Luft... Paradoxer Weise frieren die Tibeter, zumindest die die schon eine Weile hier in Indien leben, sehr schnell und beschweren sich schon bei +10° Celsius, wie in Bodh Gaya, bereits sehr über die Kälte. Jedoch bleiben die schönen Erinnerungen an die Heimat davon unangetastet. 
Zur Zeit ist es aber auch wirklich sehr heiß tagsüber.

Vor einigen Tagen kam mir zu Ohren, dass hier kürzlich auf einem nahe gelegenen Fluss eine Gruppe Mönche verunglückt ist und drei Kinder aus unserem Kloster dabei ums Leben kamen. 

Ich wünsche allen Praktizierenden und deren Objekten des Mitgefühls ein schönes Jahr, in dem sie es schaffen ihre Wünsche und Hoffnungen ohne große Hindernisse zu verwirklichen!

Mittwoch, 10. Februar 2010

Ferien im Kloster

Zur Zeit, da Ferien sind, wohnen hier einige Kinder die mit Mönchen aus unserem Haus verwandt sind. (Ob die Mädchen auch direkt im Kloster wohnen oder nur die Tage hier verbringen weiß ich aber nicht.) Die Mädchen wohnen im YigaChöling Gästehaus, sind aber tagsüber durchgehend hier. Das zurückhaltende und dennoch frech-fröhliche Lächeln der kleinen tibetischen Mädchen hat auf mein Herz die gleiche unmittelbare Wirkung wie das Maunzen eines hungrigen Katzenbabys. Ihre schönen tibetischen Gesichtern umrahmen ein Strahlen, das von kleinen aber weit aufgerissenen, die Welt aufsaugenden Augen ausgeht.

Die wenigen, kurzen Ferien die es hier gibt werden in solch einer harmonischen Atmosphäre zusammen gefeiert, wie sie zu steigern nicht mehr möglich ist. Die Kinder spielen auf improvisierten Tischtennisplatten oder einem imaginären Badmintonfeld, die älteren spielen entweder Carom (ein Spiel wie Billiard, aber mit kleinen Scheibchen, die mit den Fingern geschnipst werden), sitzen zusammen und reden oder schauen gemeinsam Filme. Kürzlich fiel mir auf, wie diese Art der Entspannung, der Ferien, vollkommen anders ist als ich sie aus dem Westen kenne. Vom Jüngsten bis zum Ältesten sind sich hier alle völlig einig, dass in dieser Zeit nur eins zählt: entspannt zu tun wonach einem der Sinn steht. Wenn ich mir vorstelle wie die erwachsenen Europäer die ich mit meinem Leben kennen gelernt habe zusammen in einem Raum mehrere Tage am Stück Stunden lang Filme schauen sollten... sie würden durchdrehen, und vielleicht zum Teil deshalb, weil sie den Drang hätten produktiv zu sein, trotzdem etwas zu "schaffen"; weil sie sich nicht erlauben könnten bloß zu entspannen. Etwas anderes machen als sonst. Die tibetischen Mönche hier hingegen haben einen solchen Alltag, dass sogar bloß hier sein, entspannen, spielen und Filme schauen etwas völlig anderes ist als ihr Alltag, ein völlig anderes Leben. Ob sie arbeiten, studieren oder feiern, sie machen es mit einer bewundernswerten Konsequenz, zu 100%. Der Tag hat zur Zeit nur wenige Fixpunkte, wenn wir gemeinsam Essen oder süßen Tee Trinken. Für morgen habe ich einen Wagen mit Speiseeis bestellt, um alle 70 Mönche (und deren Besucher) meines Hauses, wie schon letztes Jahr, zum Eis einzuladen. Ich freue mich auf die fröhlichen Gesichter, vor allem der Kinder und der alten Geshes.

Samstag, 30. Januar 2010

Indische Bürokratie und Reisen an heilige Orte

Ein frohes neues Jahr allerseits.
Es ist schon eine Weile her seit meinem letzten Eintrag. Zwischenzeitlich hatte ich einige male begonnen einen neuen Eintrag für das Blog zu verfassen, bin dann aber nicht dazu gekommen sie zu vollenden und nach einiger Zeit waren sie dann schon nicht mehr aktuell.
Mein ursprüngliches 1-Jahres-Studenten-Visum konnte ich Ende letzten Jahres leider nicht verlängern lassen, weil mein Protected Area Permit (PAP) für 2010 nicht rechtzeitig aus Delhi gekommen ist, um die Verlängerung des Visums fristgerecht zu beantragen. Von der Existenz der Frist (90 Tage vor dem Ablauf des Visums) habe ich auch erst erfahren, als sie schon verstrichen war. Mir wurde also vom Registrations Officer im Superintendant of Police Office of Mysore gesagt, ich müsse zurück nach Deutschland um ein vollständig neues Visum zu beantragen. Daher war ich 3 Wochen im Dezember, günstiger Weise über Weihnachten, in Deutschland. Das neue Visum hätte ich beinahe nicht ausgestellt bekommen, weil das Konsulat es sehr seltsam fand, dass mein Visum nicht in Indien verlängert wurde und deshalb erstmal einen Nachweis der Registrierung des Klosters bei der Indischen Regierung verlangt hat. Sie scheinen die indische disfunktionelle Bürokratie nicht mehr zu kennen. Zusätzlich wurde ich in meiner Zeit in Hamburg am Fuß operiert, denn es musste eine größere Hautfläche in der nähe des Knöchels entfernt werden. Dies geschah ca. anderthalb Wochen vor meiner Abreise, und die Wunde ist bis jetzt noch nicht wieder geschlossen. Von der ca. 5 cm Narbe sind knapp 2 cm noch offen, bzw. wieder, weil ich hier in Indien wenig die Gelegenheit habe den Fuß still zu halten und zu schonen. Am 27.12 flog ich zurück, kam am 28. wieder im Kloster an, und am 29. reisten wir direkt wieder ab nach Bodh Gaya, zum Dorje Dün, eine Woche Unterweisungen mit Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama.

Dort traf ich einige der Mönche aus dem Kloster Nalanda in Südfrankreich wieder, in dem ich 1 Jahr gelebt habe, die gerade eine Pilgerreise durch Indien machen. Ich habe versucht meinen Fuß zu schonen, und nach 2 Wochen war er auch etwas besser, aber am Tag vor unser Abreise nach Saranath und Varanasi, von wo aus unsere Zugfahrt ins Kloster starten würde, besuchten wir noch kurz den Geierberg und die Ruinen der großen Klosteruniversität Nalanda, wo leider die Wunde wieder weit auf riss. Saranath und Varanasi habe ich mir dann strikte Bettruhe verordnet und konnte so leider von diesen heiligen Plätzen fast nichts sehen. Dafür fand ich Bodh Gaya, den Geierberg und Nalanda extrem beeindruckend und inspirierend. Hier sind einige Bilder der Reise:

Eventuell werden nicht auf Anhieb alle Bilder angezeigt sondern wieder von  vorne begonnen, weil nicht schnell genug geladen werden konnte. Die letzten Bilder tragen den Titel "Rückreise". Fängt es also vor der "Rückreise" wieder von vorne an, bitte Geduld üben.




Die Zugfahrt zurück dauerte 3 Tage und dann war es wirklich schön endlich wieder hier im Kloster anzukommen. Einige Tage nach uns kamen auch die Nalanda-Mönche hier an, weil Sera eine Station ihrer Pilgerreise ist. Geshe Jamphel lud mich dann direkt ein bei ihnen im Tsetang Kangtsen am Essen teilzunehmen für die gesamten 8 Tage die sie hier sind. Ich war bisher 3 mal beim Mittagessen dabei. Sie haben einen sehr angesehenen Koch angestellt, können aber das Essen selbst nur wenig genießen, weil die gesamte Gruppe sich eine Lebensmittelvergiftung am Flughafen zugezogen hat. Vor letztem Mittwoch habe ich Zeit mit meinen Debattiertutoren verbracht um mich auf das offizielle Beitreten der neuen Debattierklasse vorzubereiten, aber seit Mittwoch ist dafür keine Zeit mehr, weil wir einen Lung von Chöden Rinpoche bekommen. Es ist etwas ziemlich besonderes, weil er die gesammelten Werke von Jetsun Choekyi Gyaltsen, also die hier in Sera studierten Texte, überträgt, was so vollständig hier noch nie passiert ist, weil es nur ganz wenige Lehrer gibt, welche die gesamte Übertragung am Stück geben können. Da es genau unsere hier studierten Texte sind, ist es für jeden hier studierenden Mönch ein fast schon Pflicht hin zu gehen. So sitzen wir den ganzen Vormittag und den ganzen Nachmittag zusammen im Tempel und hören den Lung während jeder mit einem Buch vor der Nase da sitzt und studiert was auch immer er gerade möchte. Ich nutze die Zeit um neben meinem Tibetischlehrer zu sitzen und teilweise Debattiertexte durchzuarbeiten und teilweise meine Grammatikkenntnisse zu verbessern.

Abends findet dann das alljährliche Hayagriva-Retreat statt.

Morgen allerdings ist eine Unterbrechung dieser Aktivitäten, da Gyudmed Khensur Rinpoche Geshe Lobsang Tenzin als neuer Jangtse Choeje inthronisiert wird.

Nach all dem hin und her reisen hoffe ich jetzt wieder regelmäßiger dazu zu kommen, hier Einträge zu verfassen, auch wenn meine Zeit und Energie gerade von meinem Studium vollständig absorbiert werden.